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Anmerkungen


1
Die "Zehn Fragen an den Referenten" schrieb W. I. Lenin in der ersten Maihälfte des Jahres 1908 in London, wohin er sich aus Genf begeben hatte, um an dem Buch "Materialismus und Empiriokritizismus" zu arbeiten. Er schickte sie an J. F. Dubrowinski, Mitglied des Bolschewistischen Zentrums und der Redaktion des "Proletari", als Thesen für dessen Diskussionsbeitrag zu dem Referat A. Bogdanows "Abenteuer einer philosophischen Schule", das dieser am 15. (28.) Mai 1908 in Genf hielt.
Bogdanow, Lunatscharski und andere, die auf dem Gebiet der Philosophie machistische Auffassungen vertraten, machten sich die Abwesenheit Lenins zunutze und aktivierten ihre Tätigkeit. Unter dem Deckmantel einer Kritik des "Materialismus Plechanowscher Schule" versuchten sie, die marxistische Philosophie zu revidieren und zu beweisen, daß nicht der dialektische Materialismus, sondern die von Bogdanow begründete Spielart des Machismus, der Empiriomonismus, die Philosophie des Bolschewismus sei.
Bei der Vorbereitung seiner Rede nahm Dubrowinski an der zweiten, dritten und zehnten Frage Abänderungen vor, während er die siebente Frage ganz strich. In seiner Rede, die sich auf die Leninschen Thesen gründete, unterzog Dubrowinski, der unter dem Pseudonym Dorow auftrat, die Anschauungen Bogdanows einer scharfen Kritik, erklärte, daß der Bolschewismus nichts mit dem Empiriomonismus gemein habe, und legte dar, daß die Propagierung des "Gottbildnertums" mit dem dialektischen Materialismus unvereinbar sei.

2
Siehe Friedrich Engels, "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 275/276.

3 Siehe Friedrich Engels, "Einleitung zur englischen Ausgabe" der Arbeit "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschart" sowie "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 22, Berlin 1963, S. 295 bis 298; Bd. 21, Berlin 1962, S. 276.

4
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 41.

5
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 55

6
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 32/33, 106.

7
W. I. Lenin meint das Buch von Ernst Mach "Erkenntnis und Irrtum. Skizzen zur Psychologie der Forschung", das "Wilhelm Schuppe in herzlicher Verehrung gewidmet" ist. Die erste Auflage des Buches erschien 1905 in Leipzig. Die Einschätzung der Immanenzschule durch Lenin siehe in seinem Werk "Materialismus und Empiriokritizismus", insbesondere Kapitel IV, Abschnitt 3 (vorliegender Band, S. 206-214).

8
W. I. Lenin meint das Kapitel "Der Empiriomonismus A. Bogdanows" aus P. S. Juschkewitschs Buch "Materialismus und kritischer Realismus, über die philosophischen Richtungen im Marxismus", St. Petersburg 1908, S. 161-193, russ.

9
W. I. Lenin meint das Buch von Joseph Petzoldt "Das Weltproblem von positivistischem Standpunkte aus".

10
Siehe W.I.Lenins Brief an A. M. Gorki vom 12. (25.) Februar 1908 (Werke, Bd. 13, S. 454-461).

11
Das Buch "Materialismus und Empiriokritizismus. Kritische Bemerkungen über eine reaktionäre Philosophie" wurde von W. I. Lenin in der Zeit von Februar bis Oktober 1908 in Genf und London geschrieben und erschien im Mai 1909 im Verlag "Sweno" in Moskau. Das Manuskript des Buches sowie die vorbereitenden Materialien dazu wurden bisher nicht aufgefunden. Den unmittelbaren Anlaß, das Buch zu schreiben, bildeten die im Jahre 1908 erschienenen Bücher der russischen Machisten, insbesondere der Sammelband "Beiträge zur Philosophie des Marxismus" mit Artikeln von W. Basarow, A. Bogdanow, A. W. Lunatscharski, J. A. Berman, 0. I. Gelfond, P. S. Juschkewitsch und S. A. Suworow, in dem der dialektische Materialismus einer Revision unterzogen werden sollte. "Nunmehr sind die ,Beiträge zur Philosophie des Marxismus' erschienen", schrieb Lenin am 12. (25.) Februar 1908 an Gorki. "Ich habe alle Artikel gelesen, außer dem Suworowsdien (bei dem ich eben bin), und bei jedem neuen Artikel tobte

ich geradezu vor Empörung. Nein, das ist kein Marxismus! Und unsere Empiriokritiker, unser Empiriomonist und unser Empiriosymbolist marschieren geradenwegs in den Sumpf." (Werke, Bd. 13, S. 458.) Lenin hatte die Absicht, sofort eine Reihe von Aufsätzen oder eine besondere Broschüre gegen die neuhumeistischen und neuberkeleyanischen Revisionisten zu schreiben, wie aus seinem Werk "Marxismus und Revisionismus" hervorgeht, das in der zweiten Märzhälfte-Anfang April 1908 entstand (siehe Werke, Bd. 15, S. 22).
Neben der umfangreichen Arbeit, die mit der Herausgabe des "Proletari" (Der Proletarier) und anderer Parteiarbeit verbunden war, beschäftigte sich Lenin in verstärktem Maße mit Philosophie: "Ganze Tage lang lese ich die vermaledeiten Machisten", schrieb er im April 1908 an Gorki (Werke, Bd. 34, S. 380). Die Arbeit an dem Werk "Materialismus und Empiriokritizismus" ging rasch vonstatten. Am 30. Juni (13. Juli) 1908 teilte W. I. Lenin seiner Schwester mit: "Ich habe mich sehr mit den Machisten beschäftigt und denke, daß ich all ihren unbeschreiblichen Plattheiten (und denen des ,Empiriomonismus' auch) auf den Grund gekommen bin." (Werke, Bd. 37, S. 326.) Ende September war die Arbeit im wesentlichen abgeschlossen. Zu dieser Zeit gab Lenin das Manuskript W. F. Gorin (Galkin) zum Lesen. Von September ist auch das Vorwort des Buches datiert. Einen Monat später, am 14. (27.) Oktober, teilte Lenin A. I. Uljanowa-Jelisarowa mit, daß das Manuskript des Buches fertig sei, und bat um eine Adresse für die Übersendung desselben. Anna Iljinitschna gab Lenin die Adresse eines guten Bekannten, des Arztes W. A. Lewizki, der in Podolsk wohnte, wo Lenin ihn im Jahre 1900 vor seiner Abreise ins Ausland kennengelernt hatte. Das Manuskript des Buches (etwa 400 Seiten) gelangte unversehrt an den Adressaten, worüber Lenin von seiner Schwester am 9. (22.) November 1908 informiert wurde. Den "Zusatz zu Abschnitt l des Kapitels IV. Von welcher Seite kritisierte N. G. Tschernyschewski den Kantianismus?" und die Fußnote über Erich Bechers Buch "Philosophische Voraussetzungen der exakten Naturwissenscharten" schrieb Lenin nach Abschluß der Arbeit am Manuskript. Bei der Absendung des "Zusatzes" an seine Schwester betonte Lenin, er halte es für "äußerst wichtig, den Machisten Tschernyschewski entgegenzustellen" (ebenda, S. 359).
Das Werk "Materialismus und Empiriokritizismus" ist das Resultat einer neunmonatigen umfangreichen, schöpferischen wissenschaftlichen Forschungsarbeit. Aus einem Brief Lenins an Gorki vom 12. (25.) Februar 1908 Wissen wir, daß er bereits 1906, nachdem er das III. Buch von Bogdanows "Empiriomonismus" gelesen hatte, eine verhältnismäßig umfangreiche philosophische Arbeit verfaßt hat. Damals schrieb er an Bogdanow "ein Brieflein über Philosophie im Umfang von drei Heften". Im Februar 1908 schrieb er an Gorki: "Ich .., trug mich mit dem Gedanken, sie unter dem Titel ^Betrachtungen eines einfachen Marxisten über Philosophie' zu veröffentlichen, bin aber nicht dazu gekommen." (Werke, Bd. 13, S. 458.) Im Februar 1908 bat Lenin in einem Brief nach Petersburg, sein philosophisches Manuskript ausfindig zu machen. Ob er es erhalten hat oder nicht, ist nicht bekannt. "Es zog mich wieder zu den ,Betrachtungen eines einfachen Marxisten über Philosophie'", teilte er Gorki mit, "und ich griff zur Feder." (Ebenda, S. 458.)
W. I. Lenin arbeitete an dem Werk "Materialismus und Empiriokritizismus" vorwiegend in Genfer Bibliotheken. In dem Bestreben, die zeitgenös- sische philosophische und naturwissenschaftliche Literatur gründlich kennenzulernen, fuhr er im Mai 1908 nach London, wo er etwa einen Monat in der Bibliothek des Britischen Museums arbeitete. Lenin benutzte für sein Werk über 200 Bücher und Artikel verschiedener Autoren und las erneut zahlreiche Werke von Marx und Engels sowie Arbeiten G. W. Plechanows. Die Arbeiten englischer, französischer und deutscher Autoren las er im Original. Die meisten der in "Materialismus und Empiriokritizismus" angeführten Quellen wurden Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben; Lenin greift aber auch auf frühere Schriften, zum Beispiel auf ein Buch von G. E. Schulze aus dem Jahre 1792, auf eine Arbeit von J. G. Fichte aus dem Jahre 1801 und andere zurück. Neben den mehrbändigen Werken von Hegel, Feuerbach, Fichte und Tschemyschewski wird in dem Werk eine große Anzahl einzelner in verschiedenen Zeitschriften erschienener Artikel erwähnt und zitiert. Bei der Arbeit an seinem Buch las Lenin alle Hauptwerke von Mach und Avenarius, den Begründern des Empiriokritizismus, von denen ihm einzelne Arbeiten bereits aus dem Jahre 1904 bekannt waren. In ,dem Buch werden auch Äußerungen anderer Autoren über die Philosophie von Mach und Avenarius angeführt und die für die damalige Zeit neueste naturwissenschaftliche Literatur ausgewertet. Es ist ein Exemplar von J. Dietzgens Buch "Kleinere philosophische Schriften. Eine Auswahl" mit Vermerken W. I. Lenins erhalten geblieben, die zeigen, mit welcher Gründlichkeit Lenin jede Quelle studierte. (Siehe auch Anm. 50.)
Im Zusammenhang damit, daß die Herausgabe des "Proletari" nach Paris verlegt wurde, verließ Lenin im Dezember 1908 Genf und siedelte nach Paris über. Dort las er bis Apri 1909 die Korrektur seines Buches. Aus dem Briefwechsel Wladimir Iljitschs mit seinen Angehörigen in den Jahren 1908/1909 ist ersichtlich, daß die Herausgabe seines Werkes "Materialismus und Empiriokritizismus" in Rußland auf große Schwierigkeiten stieß. Ein Teil der Verlage war nach der Revolution von 1905 von der zaristischen Regierung geschlossen worden, andere hatten ihre Arbeit unter den Bedingungen der herrschenden Reaktion von selbst eingestellt. Der Name Lenins als des konsequentesten revolutionären Marxisten war der Zensur bekannt; deshalb war es schwierig, angesichts der polizeilichen Verfolgungen für die Herausgabe seines philosophischen Werkes einen Verleger zu finden. Seiner Unruhe über das Schicksal des Buches gab Lenin in einem Brief an seine Schwester vom 14. (27.) Oktober 1908 Ausdruck: "Beachte, daß es mir jetzt nicht um das Honorar geht, d. h., ich bin bereit, auch Zugeständnisse (welcher Art immer) zu machen, und erkläre mich einverstanden, daß die Zahlung zurückgestellt wird, bis das Buch Einnahmen bringt - mit einem Wort, der Verleger wird keinerlei Risiko eingehen. Auch was die Zensur betrifft, werde ich zu allen Zugeständnissen bereit sein, denn im ganzen ist in meinem Buch alles unbedingt legal; allenfalls sind einzelne Ausdrücke unpassend." (Werke, Bd. 37, S. 333.) Das Postskriptum zu diesem Brief enthielt die Bitte, den Vertrag zu beliebigen Bedingungen abzuschließen, wenn sich auch nur die geringste Möglichkeit bietet.
Mit der Bitte, bei der Herausgabe des Buches behilflich zu sein, wandte sich Lenin an W. D. Bontsch-Brujewitsch, der in dem 1907 gegründeten Verlag "Shisn i Snanije" (Leben und Wissen) arbeitete. Die Herausgabe in diesem Verlag stieß Jedoch im Hinblick auf dessen damals noch wenig stabile Lage auf beträchtliche Schwierigkeiten. Auch von P. G. Dauge, bei dem mehrere Bücher philosophischen Inhalts erschienen waren, darunter die von Lenin redigierte und mit einem Vorwort Lenins versehene russische Übersetzung der Briefe von Marx an Kugelmann, Schriften von J. Dietzgen u. a., wurde die Herausgabe des Leninschen Buches auf Grund finanzieller Schwierigkeiten nicht unterstützt. W. I. Lenins Werk wurde schließlich mit Unterstützung I. I. Skworzow-Stepanows, der überhaupt aktiv an der Herausgabe des Leninschen Buches mitwirkte, von dem privaten Verlag "Sweno" von L. Krumbügel angenommen. W. I. Lenin, der unter den damaligen Bedingungen wenig Hoffnung auf ein schnelles Erscheinen seines Buches hatte, erklärte sich mit der Herausgabe im Verlag "Sweno" einverstanden und bat seine Schwester in den folgenden Briefen, ihm zur Eintragung von Abänderungen und Ergänzungen sowie zur Vermeidung von Auslassungen und Druckfehlern die Korrekturbogen zu schicken. Lenin bat Anna Iljinitschna, so rasch wie möglich den förmlichen Vertrag abzuschließen und auf die baldige Herausgabe zu drängen. "Wenn möglich, sollte die unverzügliche Herausgabe als Bedingung in den Vertrag aufgenommen werden." (Ebenda, S. 339.) In dem gleichen Brief riet Lenin der Schwester, den Vertrag auf seinen Namen abzuschließen, um zu verhindern, daß sie nach den Pressegesetzen zur Verantwortung gezogen würde. Dennoch wurde der Vertrag auf den Namen A. I. Uljanowa-Jelisarowas abgeschlossen und von ihr unterschrieben
. In den unveröffentlichten Erinnerungen L. Krumbügels, mit dem sich das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU 1926, 1930 und dann im Dezember 1940 in Verbindung gesetzt hatte, ist nichts genaues über das Schicksal des Leninschen Manuskripts enthalten. Es ist dort davon die Rede, daß die Buchhandlung und der Verlag "Sweno" häufig von bekannten Professoren und populären Schriftstellern aufgesucht wurden. Lenins Buch wurde in der Druckerei von A. S. Suworin gedruckt. Nach den Aussagen des Verlegers wurden am Manuskript fast keine Änderungen vorgenommen. Da Lenin dem Verleger die Entscheidung darüber überlassen hatte, unter welchem Namen das Buch erscheinen sollte, wählte Krumbügel von den ihm damals bekannten drei Pseudonymen Wladimir Iljitschs - Lenin, Tulin und Iljin - das letztere, und zwar mit der Begründung, daß durch die beiden ersten das Erscheinen des Buches gefährdet werden könnte. Ein Artikel Tulins ("Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung und die Kritik an ihr in dem Buch des Herrn Struve") war bereits von der Zensur verboten worden. Iljin hingegen war der auf dem Büchermarkt bekannteste Name und der bequemste zur Umgehung der Zensur. Unter diesem Namen waren die Sammelbände "Die Agrarfrage", "12 Jahre" und zweimal "Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland" erschienen.
In seinen Erinnerungen vermerkt Krumbügel auch die Hartnäckigkeit, mit der sich A. I. Uljanowa-Jelisarowa für alles einsetzte, was mit dem Buch "Materialismus und Empiriokritizismus", insbesondere mit seinem raschen Erscheinen, zusammenhing. Bekanntlich bat Lenin, der die "Vernichter" des Marxismus in seinem Werk mit aller Schärfe kritisiert hatte, seine Schwester, die Formulierungen nicht zu mildem, und erklärte sich nur aus Zensurgründen schweren Herzens zu einigen Änderungen bereit. Der Charakter der Zugeständnisse, die W. I. Lenin im Hinblick auf die Zensur machte, ist aus seinen Briefen an A. I. Uljanowa-Jelisarowa zu ersehen. In dem Brief vom 6. (19.) Dezember 1908 betonte Lenin: "Was Basarow und Bogdanow betrifft, so bin ich einverstanden, den Ton zu mildem, aber in bezug auf Juschkewitsch und Walentinow soll man es nicht tun. Was den "Fideismus" usw. betrifft, so bin ich nur gezwungenermaßen einverstanden, d. h. bei einer ultimativen Forderung des Verlegers." (Ebenda, S. 341.) Im Brief vom 24. Februar (9. März) 1909 bittet Lenin, die Stellen gegen Bogdanow und gegen das Pfaffentum Lunatscharskis nicht zu mildem, da die Beziehungen zu ihnen "gänzlich abgebrochen" seien. Im Brief vom 8. (21.) März bat er, im Abschnitt zur Kritik des Kantianismus den Vergleich der Machisten mit Purischkewitsch nicht herauszunehmen.

W. I. Lenin las äußerst sorgfältig die Korrekturbogen, wovon die Listen der Druckfehler und Korrekturen, die er den Briefen an seine Schwester beilegte, beredtes Zeugnis ablegen; er beachtete die Bemerkungen, die Anna Iljinitsdhna beim Lesen der Korrekturbogen machte, und drängte auf die Herausgabe des Buches. In einem an sie gerichteten Brief vom 24. Februar (9. März) bedankte sich Lenin bei Skworzow-Stepanow für dessen Bereitschaft, beim Lesen der Korrektur zu helfen, und schrieb: "Vor allem kommt es mir auf das baldige Erscheinen des Buches an." (Ebenda, S. 352.) Im gleichen Sinne schrieb er am 26. März (8. April): "Für mich ist es eine K a t a s t r o p h e, wenn das Erscheinen des Buches bis in die zweite Aprilhälfte hinausgezögert wird." (Ebenda, S. 366.)
Erst im Mai 1909 erschien Lenins Buch "Materialismus und Empiriokritizismus" in 2000 Exemplaren. Der Autor war mit der Ausgabe zufrieden. Am 4. (17.) Mai 1909 schickte Lenin ein Exemplar des Buches an Rosa Luxemburg mit der Bitte, sein Erscheinen in der "Neuen Zeit" anzuzeigen, was auch geschah. (Siehe "Die Neue-Zeit", 28. Jahrgang, 1909/1910, l. Band, Nr. 1, S. 64.) Als Geschenk erhielten das Buch auch I. I. Skworzow-Stepanow und W. F. Gorin (Galkin). Reaktionäre bürgerliche Philosophen wie Bulgakow, Iljin und andere liefen Sturm gegen Lenins Werk "Materialismus und Empiriokritizismus" und veröffentlichten negative Rezensionen in mehreren Zeitschriften und Zeitungen. In einer Front mit ihnen traten auch die Revisionisten unter Führung von Bogdanow gegen Lenins Buch auf.
Anders verhielten sich diejenigen zu dem Buch, die im Kampf gegen die machistische Revision des Marxismus Lenins Verbündete waren. Im Juni 1909 schrieb W.W.Worowski im "Odesskoje Obosrenije" (Odessaer Rundschau), daß "Lenins Kritik des Machismus ... von besonderem Wert für Rußland ist, wo eine ganze Serie Bogdanows, Basarows, Juschkewitschs, Bermans und Co., die vom historischen Materialismus abgewichen sind, ein Chaos in den Hirnen der Leser anrichten, indem sie ,ein so unglaublich wirres, verdrehtes und reaktionäres Zeug' für Marxismus ausgeben und angeblich gegen PIechanow, in Wirklichkeit aber gegen Marx und Engels auftreten". Eine positive Einschätzung des Buches gab nach Aussagen W. F. Gorins (Galkins) auch PIechanow: "Beltow hat sich lobend darüber geäußert, obgleich es ihm darin tüchtig an den Kragen geht." (Zentrales Parteiarchiv des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU.) Lenins Werk trug dazu bei, die philosophischen Ideen des Marxismus unter den Massen der Parteimitglieder zu verbreiten, und half dem Parteiaktiv und den fortgeschrittenen Arbeitern, sich den dialektischen und historischen Materialismus anzueignen.

Nach der Sozialistischen Oktoberrevolution wurde Lenins Buch erstmalig im Jahre 1920 in einer Auflage von 30 000 Exemplaren neu herausgegeben. Im Vorwort zu dieser Ausgabe, die sich - abgesehen von einigen textlichen Verbesserungen - nicht von der vorigen unterschied, schrieb Lenin, daß er nicht die Möglichkeit gehabt habe, die letzten "Werke Bogdanows zu lesen, weshalb im Anhang des Buches ein Aufsatz W. I. Newskis gegen die reaktionären Ansichten Bogdanows veröffentlicht wurde, der einen kritischen überblick über dessen Schriften gibt.
W. I. Lenins Werk "Materialismus und Empiriokritizismus" wurde sowohl in der UdSSR als auch im Ausland in Massenauflagen verbreitet. In der UdSSR wurde es von 1917 bis 1960 in einer Gesamtauflage von über 5 Millionen Exemplaren herausgegeben. Im Ausland erschien es in 20 Sprachen. In der Deutschen Demokratischen Republik kamen von 1949 bis 1971 fünfzehn Auflagen mit insgesamt 248 000 Exemplaren heraus.

12
In seinem Brief an A. I. Uljanowa-Jelisarowa vom 26. Oktober (8. Novem- ber) 1908 schrieb W. I. Lenin: "Falls man ... im Hinblick auf die Zensur einen sehr strengen Maßstab anlegen sollte, könnte man das Wort 'Pfaffentum' überall durch das Wort ,Fideismus' ersetzen und dieses in einer Fußnote erläutern (,Fideismus ist eine Lehre, die den Glauben an die Stelle des Wissens setzt oder überhaupt dem Glauben eine gewisse Bedeutung beilegt'). Das für alle Fälle - damit Du über den Charakter der Zugeständnisse, auf die ich mich einlassen würde, 'Besdieid weißt." (Werke, Bd. 37, S. 334.) In einem anderen Brief an seine Schwester schlug Lenin vor, das Wort "Pfaffentum" durch das Wort "Schamanentum" zu ersetzen, worauf diese antwortete: " ,Schamanentum' kommt bereits zu spät. Aber wäre es denn besser?" (Ebenda, S. 621.) Aus dem Text des Buches "Materialismus und Empiriokritizismus" ist ersichtlich, daß das anfangs im Leninschen Manuskript stehende Wort "Pfaffentum" durch das Wort "Fideismus" ersetzt worden ist, an einigen Stellen jedoch wurde es nicht geändert. Die von Lenin vorgeschlagene Anmerkung wurde in der ersten Auflage des Buches als Fußnote gebracht und in den folgenden Auflagen beibehalten.

13
Lenin meint das sogenannte "Gottbildnertum", eine dem Marxismus feindliche religiös-philosophische Strömung, die in der Periode der Reaktion unter einem Teil der nach der Niederlage der Revolution von 1905-1907 vom Marxismus abgefallenen Parteiintelligenz entstanden war. Die "Gottbildner" (A. W. Lunatscharski, W. Basarow und andere) predigten die Schaffung einer neuen, "sozialistischen" Religion und suchten den Marxismus mit der Religion zu versöhnen. Eine Zeitlang stand ihnen auch A. M. Gorki nahe. Die Beratung der erweiterten Redaktion des "Proletari" (1909) verurteilte das "Gottbildnertum" und erklärte in einer besonderen Resolution, daß die bolschewistische Fraktion "mit einer derartigen Entstellung des wissenschaftlichen Sozialismus" nichts gemein habe. Lenin prangerte das reaktionäre Wesen des "Gottbildnertums" in seiner Arbeit "Materialismus und Empiriokritizismus" sowie in seinen Briefen an Gorki aus der Zeit von Februar bis April 1908 und von November bis Dezember 1913 an.

 

14
W. I. Lenin meint offensichtlich die Kommentare Franz Mehrings zu den Artikeln von Karl Marx und Friedrich Engels aus der "Neuen Rheinischen Zeitung" und der "Neuen Rheinischen Zeitung. Politisch-ökonomische Revue". (Siehe "Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle. Herausgegeben von Franz Mehring. Dritter Band. Gesammelte Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels. Von Mai 1848 bis Oktober 1850", Stuttgart 1902, S. 3-86, 269/270, 273-288, 479 bis 480.) In seinen 1902 (d. h. mehr als 50 Jahre später) geschriebenen Kommentaren zu den Artikeln von Marx und Engels hebt Mehring die Behauptungen hervor, die sich im Verlauf der historischen Entwicklung nicht bestätigt haben, insbesondere die Frage nach dem Schicksal der slawischen Völker, die zum österreichischen Kaiserreich gehörten, sowie die Frage nach dem Tempo der Entwicklung der Revolution.

"Im ganzen und großen war nun die Neue Rheinische Zeitung", schreibt Mehring, "immer mit den großen Kulturvölkern, deren Interesse sie sorgsamer behütete als die Interessen der kleinen Nationalitäten. In den Revolutionsjahren hatte diese Auffassung auch ihre volle Berechtigung; ließen sich die Tschechen, die Kroaten und andere südslawische Völkerschaften als Werkzeuge der habsburgischen Gegenrevolution mißbrauchen, so gab es für ihren Verrat an der Revolution keine Verzeihung. Immerhin aber erlitt durch diese subjektiv berechtigte Leidenschaft die objektive Richtigkeit des historischen Urteils eine gewisse Einschränkung; so summarisch, wie die Neue Rheinische Zeitung wird heute niemand über die Zukunft der südslawischen Völkerschaften den Stab brechen." (Ebenda, S. 77.) Marx und Engels schätzten die Bedeutung dieser oder jener nationalen Bewegung entsprechend der Rolle ein, die sie in der Entwicklung der europäischen Revolution spielte? darum war, wie Lenin schrieb, die Unterscheidung zwischen "reaktionären" und "revolutionären demokratischen" Nationen, die Verurteilung der ersten und die Unterstützung der zweiten in der Zeit der Revolution von 1848/1849 die einzig richtige Position (siehe Werke, Bd. 22, S. 152). In den Artikeln der "Neuen Rheinischen Zeitung" zur nationalen Frage, die, wie sich später herausstellte, von Engels verfaßt waren, wurde die Ansicht geäußert, daß die zu Österreich gehörenden slawischen Völker angeblich schon

nicht mehr fähig seien, in der weiteren historischen Entwicklung eine progressive Rolle zu spielen, und als selbständige Völker dem Untergang geweiht seien; in diesen Artikeln wurde der Prozeß der Unterwerfung einer Reihe slawischer Völker durch die Deutschen einseitig als ein progressiver, mit der Verbreitung der Kultur und Zivilisation zusammenhängender Prozeß dargestellt. Diese Ansichten entsprangen unrichtigen Vorstellungen von der Rolle der kleinen Völker im historischen Prozeß und waren darauf zurückzuführen, daß die Erfahrungen der nationalen Bewegungen der kleinen Völker noch relativ gering waren und die marxistische Ausarbeitung der nationalen Frage gerade erst begonnen hatte.

Zur Frage des Entwicklungstempos der Revolution schreibt Mehring: "Marx hat das Tempo der historischen Entwicklung, die er in ihren treibenden Kräften richtig erkannte, für schneller erachtet, als es sich tatsächlich ausweisen sollte." ("Aus dem literarischen Nachlaß von Karf Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle", Bd. III, S. 84.) An anderer Stelle weist er auf die von Engels schon früher geäußerten falschen Hoffnungen hinsichtlich einer Erhebung des Pariser Proletariats im Februar und des Beginns einer Handelskrise im April 1850 hin. Lenin schrieb über derartige "Irrtümer" von Marx und Engels: "Jawohl, Marx und Engels irrten viel und häußg in der Bestimmung der Zeitspanne bis zur Revolution, in ihren Hoffnungen auf den Sieg der Revolution (z.B. 1848 in Deutschland), in dem Glauben an die nahe bevorstehende deutsche ,Republik'... Sie irrten im Jahre 1871, als sie dabei waren, ,das südliche Frankreich zum Aufstand zu bringen, und dafür haben' sie ... ,was menschenmöglich ist, gewirkt, geopfert und gewagt'... Aber solche Fehler der Giganten des revolutionären Denkens, die das Proletariat der ganzen Welt über die kleinlichen, alltäglichen Groschenaufgaben zu erheben suchten und erhoben, sind tausendmal edler, erhabener, historish wertvoller und wahrhafter als die banale Weisheit des zopfigen Liberalismus ..." (Werke, Bd. 12, S. 376.)

15
W. I. Newskis Artikel "Der dialektische Materialismus und die Philosophie der toten Reaktion" wurde 1920 als Anhang zur zweiten Auflage des Buches "Materialismus und Empiriokritizismus" sowie in Bd. XIII der zwei- ten und dritten Ausgabe der Werke W. I. Lenins veröffentlicht,

16
Die Idee einer "proletarischen Kultur" hatte A. Bogdanow bereits im Jahre 1909 entwickelt; er verstand darunter, daß sich das Proletariat eine "eigene" Kultur schaffen müsse, die man der Kultur der Vergangenheit entgegenzusetzen suchte, in erster Linie eine "eigene" Philosophie, als die man die idealistische Philosophie von Bogdanow selbst hinzustellen trachtete. Bogdanow und seine Anhänger verbreiteten die Idee der "proletarischen

Kultur" in den von ihnen organisierten Schulen für Arbeiter auf der Insel Capri (1909) und in Bologna (1910/1911). Offiziell verfolgten die Schulen das Ziel, aus Rußland kommende Arbeiter zu schulen, tatsächlich aber spielten sie die Rolle eines antibolschewistischen fraktionellen Zentrums; ihre ideologisch-politische Richtung bedeutete "den Bruch mit dem Marxismus und die Unterwerfung des Proletariats unter die bürgerliche Ideologie und Politik" (Werke, Bd. 16, S. 271).

Nach der Sozialistischen Oktoberrevolution verlegten Bogdanow und seine Gesinnungsgenossen ihre Tätigkeit in die sogenannte proletarische Kultur- und Bildungsorganisation (Proletkult). Der Proletkult, der bereits im September 1917 als unabhängige, selbständige Arbeiterorganisation entstanden und dessen Führung in den Händen Bogdanows und seiner Anhänger konzentriert war, versuchte auch nach der Revolution, seine "Unabhängigkeit" zu verteidigen, und stellte sich damit dem proletarischen Staat entgegen. Hierdurch wurde es bürgerlichen Intellektuellen ermöglicht, in den Proletkult einzudringen und dort entscheidenden Einfluß zu gewinnen. Der Hauptideologe des Proletkult, Bogdanow, und seine Gesinnungsgenossen begannen, nachdem sie eine günstige Tribüne zur Verfügung hatten, aktiv antimarxistische Anschauungen zu propagieren; sie negierten faktisch die Bedeutung des kulturellen Erbes der Vergangenheit und versuchten, los- gelöst vom Leben, "auf laboratorischem Wege" eine Kultur des Proletariats zu schaffen, das sie den übrigen Werktätigen und insbesondere der Bauernschaft entgegenstellten. Bogdanow, der den Marxismus in Worten anerkannte, propagierte in der Praxis eine subjektiv-idealistische, machistische Philosophie.

W. I. Lenin führte einen konsequenten Kampf gegen den Separatismus und das Sektierertum des Proletkult, gegen die antimarxistischen Anschauungen seiner Ideologen. In der Arbeit "über proletarische Kultur" schrieb Lenin: "Der Marxismus hat seine weltgeschichtliche Bedeutung als Ideologie des revolutionären Proletariats dadurch erlangt, daß er die wertvollsten Errungenschaften des bürgerlichen Zeitalters keineswegs ablehnte, sondern sich umgekehrt alles, was in der mehr als zweitausendjährigen Entwicklung des menschlichen Denkens und der menschlichen Kultur wertvoll war, aneignete und es verarbeitete. Nur die weitere Arbeit auf dieser Grundlage und in dieser Richtung, inspiriert durch die praktische Erfahrung der Diktatur des Proletariats, dieses seines letzten Kampfes gegen jegliche Ausbeutung, kann als Aufbau einer wirklich proletarischen Kultur anerkannt werden." (Werke, Bd. 31, S. 308.) Im Jahre 1920 nahm das ZK der Partei einen speziellen Beschluß an, mit dem der Proletkult dem Volkskommissariat für Bildungswesen unterstellt wurde.Anfang derzwanziger Jahre begannen die

Organisationen des Proletkult zu verfallen, und im Jahre 1932 hört der Proletkult auf zu bestehen.

17
Der Positivismus als philosophische Richtung entstand in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts in Frankreich als Reaktion auf den französischen Materialismus und Atheismus des 18. Jahrhunderts. Sein Begründer Auguste Comte setzte den Positivismus mit wissenschaftlichem Denken gleich, als dessen Hauptaufgabe er die Beschreibung und Vereinfachung der Zusammenhänge der Erfahrungstatsachen betrachtete. Comte trat gegen die Theologie auf, versuchte aber gleichzeitig die Notwendigkeit einer "neuen Religion" zu beweisen. Er bezeichnete jede Theorie, die die Existenz und Erkennbarkeit der objektiven Realität anerkannte, als "Metaphysik" und versuchte zu beweisen, daß der Positivismus sowohl über den Materialismus als auch über den Idealismus "erhaben" sei. Im Hinblick auf dieses Wesensmerkmal des Positivismus schrieb Lenin: "... das alles ist jämmerlicher Brei, die schmähliche Partei der Mitte in der Philosophie, die in jeder einzelnen Frage die materialistische und idealistische Richtung durcheinanderwirft." (Siehe den vorliegenden Band, S. 344.) Weite Verbreitung fand der Positivismus in England, wo seine prominentesten Vertreter John Stuart Mill und Herbert Spencer waren. In den Arbeiten Mills trat deutlich der Empirismus der positivistischen Philosophie zutage, sein Verzicht auf eine philosophische Interpretation der Wirklichkeit. Spencer zog zur Begründung des Positivismus umfangreiches naturwissenschaftliches Material heran; unter dem Einnuß des Darwinismus hielt er für das oberste Gesetz alles Seienden die Evolution, faßte sie jedoch metaphysisch auf, leugnete die Möglichkeit qualitativer Sprünge in Natur und Gesellschaft und betrachtete als universelles Ziel der Evolution die Herstellung eines allgemeinen "Gleichgewichts der Kräfte". In der Soziologie vertrat Spencer eine reaktionäre, die soziale Ungleichheit rechtfertigende "organische Theorie der Gesellschaft", nach der jede soziale Gruppe - analog den Organen des lebenden Körpers - eine genau bestimmte Funktion zu erfüllen hat. Die soziologischen Anschauungen Spencers, die sich auf abstrakte Formeln vom "Progreß", von der "Gesellschaft überhaupt" u. ä. gründen, stehen der wissenschaftlichen Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung feindlich gegenüber.

Anfangs war der Positivismus die Ideologie der liberalen Bourgeoisie und trug dazu bei, die Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis ihren Klasseninteressen anzupassen; in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand er eine ziemlich weite Verbreitung in Europa und Amerika und wurde zu einer Form des ideologischen Kampfes der Bourgeoisie gegen das Proletariat und seine Philosophie.

Die weitere Entwicklung des Positivismus ist mit dem Aufkommen des Empiriokritizismus von Mach und Avenarius verbunden. Verglichen mit den ersten Positivisten waren die Machisten offenere subjektive Idealisten berkeleyanischer Färbung; beiden gemeinsam war die Feindschaft gegenüber dem Materialismus, das Bestreben, ihm eine Philosophie der "reinen Erfahrung", "frei von Metaphysik" (lies: vom Materialismus), entgegenzustellen. Lenin zeigte, wie nahe der Positivismus der Theologie steht und daß das "Wesen der Sache in der prinzipiellen Differenz zwischen dem Materialismus und der ganzen breiten Strömung des Positivismus besteht, innerhalb deren sich sowohl Aug. Comte und H. Spencer als auch Michailowski und eine Reihe Neukantianer, als auch Mach und Avenarius befinden" (ebenda, S.203).

Eine neue Etappe in der Entwicklung des Positivismus stellte der Neopositivismus dar, der in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts aufkam. Die Neopositivisten erklären die Grundfrage der Philosophie zu einer "Pseudofrage" und reduzieren die Aufgabe der philosophischen Wissenschaft auf die logische Analyse der Sprache. Gegenwärtig ist der Neopositivismus eine der verbreitetsten Richtungen in der Philosophie der imperialistischen Bourgeoisie.

18
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd.21, Berlin 1962, S. 275/276.

19
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 22, Berlin 1963, S. 297. 24

20
Neukantianismus - eine reaktionäre Richtung in der bürgerlichen Philosophie, die unter der Losung der Wiedergeburt der Philosophie Kants den subjektiven Idealismus predigt; sie entstand Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland, wo zu dieser Zeit das Interesse für den Kantianismus zunahm. Im Jahre 1865 erschien ein Buch von O. Liebmann, „Kant und die Epigonen", in dem jedes Kapitel mit dem Appell „Zurück zu Kant" schloß. Liebmann stellte die Aufgabe, den „Grundirrtum" Kants zu korrigieren, nämlich die Annahme der Existenz der „Dinge an sich". Zur Wiedergeburt des Kantianismus trugen die Arbeiten von K. Fischer und E. Zeller bei;
einer der frühen Vertreter des Neukantianismus war F. A. Lange, der versuchte, die Physiologie zur Begründung des Agnostizismus auszunutzen.
Später bildeten sich innerhalb des Neukantianismus im wesentlichen zwei Schulen heraus: die Marburger (H. Cohen, P. Natorp u. a.) und die Freiburger oder Badische (W. Windelband, H. Rickert u. a.). Die erste begründete den Idealismus mit der Spekulation auf die Erfolge der Naturwissenschaft, insbesondere auf das Eindringen mathematischer Methoden in die Physik; die zweite stellte der Naturwissenschaft die Gesellschaftswissenschaften gegenüber und bemühte sich nachzuweisen, daß die historischen Erscheinungen völlig individuell sind und keinerlei Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Die Grundfrage der Philosophie ersetzten beide Schulen durch die Frage nach den logischen Grundlagen der Wissenschaft. Die Neukantianer kritisierten Kant „von rechts", indem sie das „Ding an sich" zum „Grenzbegriff" erklärten, dem die Erkenntnis zustrebe. Sie leugneten die objektive Existenz der materiellen Welt und betrachteten als Gegenstand der Erkenntnis nicht die Gesetzmäßigkeiten in Natur und Gesellschaft, sondern lediglich die Bewußtseinserscheinungen. Zum Unterschied von dem Agnostizismus der Naturforscher war der Agnostizismus der Neukantianer kein „verschämter Materialismus", sondern eine Spielart des Idealismus; er behauptete, die Wissenschaft sei ohnmächtig bei der Erkenntnis und Veränderung der Wirklichkeit. Die Neukantianer traten offen gegen den Marxismus auf und stellten ihm einen „ethischen Sozialismus" entgegen. Im Einklang mit ihrer Erkenntnistheorie erklärten sie den Sozialismus für das „ethische Ideal" menschlichen Zusammenlebens, dem die Menschheit entgegenstrebe, das zu erreichen sie jedoch nicht imstande sei. Diese „Theorie" der Neukantianer wurde von den Revisionisten unter Führung von Eduard Bernstein aufgegriffen, der die Losung aufstellte: „Die Bewegung ist alles, das Endziel nichts". Der Neukantianismus war eine der philosophischen Grundlagen der II. Internationale. In Rußland wurden Versuche, den Neukantianismus mit dem Marxismus zu „vereinigen", von den „legalen Marxisten" unternommen. Gegen die neukantianische Revision des Marxismus traten G. W. Plechanow, Paul Lafargue und Franz Mehring auf. W. I. Lenin deckte den reaktionären Charakter des Neukantianismus auf und zeigte seinen Zusammenhang mit anderen Richtungen der bürgerlichen Philosophie (mit den Immanenzphilosophen, dem Machismus, Pragmatismus usw.).
Gegenwärtig gruppieren sich die Vertreter des Neukantianismus um die in Westdeutschland (Köln) erscheinende Zeitschrift „Kantstudien".

21
„Die Neue Zeit" - theoretische Zeitschrift der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die von 1883 bis 1923 in Stuttgart erschien. Bis Oktober 1917 wurde sie von Karl Kautsky, danach von Heinrich Cunow redigiert. „Die Neue Zeit" veröffentlichte erstmalig verschiedene Arbeiten von Marx und Engels: „Kritik des Gothaer Programms" von Marx, „Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891" von Engels und andere. Engels half der Redaktion ständig mit Ratschlägen und kritisierte sie nicht selten, weil sie in der Zeitschrift Abweichungen vom Marxismus duldete. An der „Neuen Zeit" arbeiteten so bekannte Vertreter der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung aus der Zeit Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts mit wie August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Clara Zetkin, Paul Lafargue, G. W. Plechanow und andere. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts eine marxistische Zeitschrift, ging „Die Neue Zeit" mehr und mehr auf zentristische Positionen über. Während des ersten Weltkriegs vertrat die Zeitschrift einen sozialpazifistischen Standpunkt und unterstützte faktisch die Sozialchauvinisten.

22
Enzyklopädisten - eine Gruppe französischer Aufklärer des 18. Jahrhunderts - Philosophen, Naturforscher, Publizisten - die zusammen die „Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers" (Enzyklopädie der Wissenschaften, Künste und Gewerbe) (1751-1780) herausgaben. Ihr Organisator und Leiter war Denis Diderot, sein nächster Mitarbeiter Jean Le Rond d'Alembert. Aktiv beteiligten sich an der Herausgabe der „Enzyklopädie" Paul-Henri Holbach, Claude-Adrien Helvétius und Voltaire. An den ersten Bänden arbeitete Jean-Jacques Rousseau mit. Die „Enzyklopädie" vereinigte einen großen Kreis von Spezialisten der verschiedensten Wissensgebiete. Zu den Verfassern der einzelnen Artikel gehörten die Naturforscher Buffon und Daubenton, die Ökonomen Turgot und Quesnay, der Ingenieur Boulanger, der Arzt Barthez, der Dichter und Philosoph Saint-Lambert u. a. Eine bedeutende Rolle bei der Herausgabe der „Enzyklopädie" spielte ihr faktischer Sekretär L. de Jaucourt. Die Mitarbeiter der „Enzyklopädie" vertraten verschiedene Auffassungen sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik; sie waren sich jedoch einig in der Ablehnung des Feudalismus und der Willkür der Kirche, in ihrem Haß gegen die mittelalterliche Scholastik. Eine führende Rolle unter den Enzyklopädisten spielten die Materialisten, die aktiv gegen die idealistische Philosophie auftraten. Die Enzyklopädisten waren Ideologen der revolutionären Bourgeoisie und spielten eine entscheidende Rolle bei der ideologischen Vorbereitung der bürgerlichen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich.
„Die französischen Materialisten", schrieb Engels, „beschränkten ihre Kritik nicht auf bloß religiöse Dinge; sie kritisierten jede wissenschaftliche Überlieferung, jede politische Institution ihrer Zeit; um die allgemeine Anwendbarkeit ihrer Theorie nachzuweisen, nahmen sie den kürzesten Weg: Sie wandten sie kühnlich an auf alle Gegenstände des Wissens in dem Riesenwerk, nach dem sie benannt wurden, in der ,Encyclopédie'. So wurde denn der Materialismus in dieser oder jener Form - als erklärter Materialismus oder als Deismus - die Weltanschauung der gesamten gebildeten Jugend Frankreichs." (Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 22, Berlin 1963, S.303.)

23
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 32/33.

24
Hier zitiert nach der deutschen Auflage, die der von Lenin benutzten russischen Übersetzung zugrunde gelegen hat: Ernst Mach, „Die Analyse der Empfindungen", Jena 1906, S. 9/10. Im folgenden bringen wir an den entsprechenden Stellen die Seitenzahlen dieser Auflage in eckigen Klammem.

25
„Revue Néo-Scolastique" (Neoscholastische Rundschau) - theologisch-philosophische Zeitschrift, von der katholischen philosophischen Gesellschaft in Leuven (Belgien) (frz. Name Louvain) gegründet; erschien von 1894 bis 1909 unter der Redaktion des Kardinals Mercier. Gegenwärtig erscheint die Zeitschrift unter dem Namen „Revue Philosophique de Louvain" (Philosophische Rundschau von Louvain).

26
„Der Kampf" - theoretische Monatsschrift des Austromarxismus; erschien . von 1907 bis 1934 in Wien, von 1934 bis 1938 in Prag; sie nahm eine opportunistische, zentristische Position ein, die sie hinter linken Phrasen verbarg. Redakteure der Zeitschrift waren O. Bauer, A. Braun, K. Renner, F. Adler und andere.

27
»The International Socialist Review" (Internationale Sozialistische Rundschau) - amerikanische Monatsschrift revisionistischer Richtung; erschien von 1900 bis 1918 in Chikago.

28
Siehe den Artikel von Dr. Friedrich Adler „Friedrich Engels und die Naturwissenschaft", in „Die Neue Zeit", 25. Jahrgang, 1906/1907, I. Band, S.620-638.

29
„Vierteljahrsschrift für wissensdfaftliche Philosophie" - Zeitschrift der Empiriokritiker (Machisten), erschien von 1876 bis 1916 in Leipzig (ab 1902 unter dem Namen „Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philo­sophie und Soziologie"). Die Zeitschrift ist von R. Avenarius gegründet worden und erschien bis 1896 unter seiner Redaktion; nach 1896 wurde sie unter Mitwirkung von E. Mach herausgegeben. Mitarbeiter der Zeitschrift waren W. Wundt, A. Riehl, W. Schuppe und andere. Lenins Einschätzung der Zeitschrift ist in dem vorliegenden Band auf S. 320 enthalten.

30
Spinozismus - System der Anschauungen des holländischen materialistischen Philosophen Benedict Spinoza, der im 17. Jahrhundert lebte. Nach diesem System sind alle Dinge Modi einer einheitlichen, universellen Substanz, die die Ursache ihrer selbst und identisch mit „Gott oder der Natur" ist. Das Wesen der Substanz findet seinen Ausdruck in unzähligen Eigenschaften, Attributen, deren wichtigste Ausdehnung und Denken sind. Als Form der Verknüpfung der einzelnen Naturerscheinungen untereinander betrachtete Spinoza die Kausalität, die er als unmittelbare Wechselwirkung der Körper, deren erste Ursache die Substanz ist, auffaßte. Das Verhalten aller Modi der Substanz, darunter auch des Menschen, vollzieht sich nach strenger Notwendigkeit: die Vorstellung der Zufälligkeit entsteht nur aus Unkenntnis der Gesamtheit aller wirkenden Ursachen. Da das Denken eines der Attribute der universellen Substanz ist, ist die Verknüpfung und Ordnung der Ideen prinzipiell die gleiche wie die Ordnung und Verknüpfung der Dinge, sind die Möglichkeiten der Erkenntnis der Welt durch den Menschen unbegrenzt. Aus eben diesem Grunde ist von den drei Arten der Erkenntnis - der sinnlichen, der verstandesmäßigen und der vernünftig - intuitiven - am zuverlässigsten die letztere, bei der „eine Sache bloß aus ihrem Wesen oder durch die Erkenntnis ihrer nächsten Ursache begriffen wird" (B. Spinoza, „Abhandlung über die Läuterung des Verstandes", Leipzig 1947, S. 12), Dieses Mittel läßt den Menschen auch seine eigenen Leidenschaften erkennen und sie beherrschen; die Freiheit des Menschen besteht in der Erkenntnis der Notwendigkeit der Natur und der Leidenschaften seiner Seele.

Der Spinozismus war eine Form nicht nur des Materialismus, sondern auch des Atheismus, soweit er sich von den Vorstellungen von Gott als einem übernatürlichen Wesen, das die Welt erschaffen hat und sie lenkt, löste.

Gleichzeitig machte er jedoch der Theologie ein Zugeständnis, indem er Gott und Natur gleichsetzte. Dieses Zurückweichen war, ebenso wie der mechanische Charakter des Materialismus Spinozas, einerseits durch den - Stand der Wissenschaften jener Epoche bedingt, anderseits dadurch, daß die junge holländische Bourgeoisie, deren Interessen die Philosophie Spinozas zum Ausdruck brachte, doch nur begrenzt fortschrittlich war. In der Folge entspann sich um das philosophische Erbe des großen holländischen Denkers ein heftiger ideologischer Kampf, der bis in unsere Tage fortdauert. Die idealistische Philosophie, die auf die historisch unvermeidliche Begrenztheit der Ansichten Spinozas spekuliert, entstellt das materialistische Wesen des Spinozismus, der eine bedeutsame Etappe in der Entwicklung der materialistischen Weltanschauung darstellte.

31
„Philosophische Studien" - Zeitschrift idealistischer Richtung, die hauptsächlich psychologischen Fragen gewidmet war,- sie wurde von 1881 bis 1903 in Leipzig von W. Wundt herausgegeben; ab 1905 erschien sie unter dem Namen „Psychologische Studien".

32
Friedrich Engels, „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 263

33
„Mind" (Gedanke) - Zeitschrift idealistischer Richtung, die Fragen der Philosophie und Psychologie gewidmet ist; erscheint seit 1876, zuerst in London, gegenwärtig in Edinburgh; der erste Redakteur der Zeitschrift war Professor G. C. Robertson.

34
Wie aus dem Brief Lenins an A. I. Uljanowa-Jelisarowa vom 6. (19.) Dezember 1908 ersichtlich, wurde die ursprüngliche Fassung des Manuskripts: „Lunatscharski hat sich den lieben Gott ,hinzugedacht'" wegen der Zensurbedingungen gemildert. Lenin schrieb in diesem Zusammenhang: „Er hat sich den lieben Gott hinzugedacht - wird man auswechseln müssen: ,Er brachte es fertig, ... nun, gelinde gesagt, religiöse Begriffe „hinzuzudenken" oder so ähnlich." (Werke, Bd. 37, S. 342.)

35
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 33.

36
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 277/278, 268.

37
Lenin meint die literarische Gestalt aus dem Gedicht in Prosa „Eine Lebensregel" von I. S. Turgenjew.

38
„Archiv für systematische Philosophie" - Zeitschrift idealistischer Richtung; wurde von 1895 bis 1931 in Berlin herausgegeben; bildete die zweite selbständige Abteilung der Zeitschrift „Archiv für Philosophie" (siehe Anm. 90). Der erste Redakteur der Zeitschrift war P. Natorp. Ab 1925 erschien die Zeitschrift unter dem Namen „Archiv für systematische Philosophie und Soziologie".

39
„Kantstudien" - deutsche philosophische Zeitschrift idealistischer Richtung; Organ der Neukantianer, gegründet von H. Vaihinger; erschien mit Unterbrechungen von 1897 bis 1944 (Hamburg-Berlin-Köln). Im Jahre 1953/1954 begann die Zeitschrift erneut zu erscheinen. Unter den Veröffentlichungen nehmen Artikel, in denen die Philosophie Kants kommentiert wird, einen breiten Raum ein. Die Zeitschrift publiziert außer den Neukantianern auch Vertreter anderer idealistischer Richtungen.

40
„Nature" (Natur) - naturwissenschaftliche illustrierte Wochenschrift; erscheint seit 1869 in London.

41
Als die erste Auflage des Buches „Materialismus und Empiriokritizismus" zum Druck vorbereitet wurde, ersetzte A. I. Uljanowa-Jelisarowa die Worte „ehrlicherer literarischer Gegner" durch die Worte „prinzipiellerer literarischer Gegner". Lenin war mit dieser Korrektur nicht einverstanden und schrieb seiner Schwester am 27. Februar (12. März) 1909: „Bitte mildere an den Stellen gegen Bogdanow, Lunatscharski und Co. nichts. Es ist unmöglich zu mildern. Du hast gestrichen, daß Tschernow ein ,ehrlicherer' Gegner ist, als sie es sind, und das ist sehr schade. Es ist nicht die richtige Nuance herausgekommen. Meine Anschuldigungen stehen so nicht im richtigen Verhältnis. Der Angelpunkt ist gerade, daß unsere Machisten unehrliche, gemeine und feige Feinde des Marxismus in der Philosophie sind." (Werke, Bd. 37, S. 355.)

42
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 275, 276.

43
Lenin meint die Gestalt aus I. S. Turgenjews Roman „Rauch", den Typ eines Pseudowissenschaftlers und Buchstabengelehrten. Eine Charakteristik dieses Typs gibt W. I. Lenin in seiner Arbeit „Die Agrarfrage und die ,Marxkritiker' ". (Siehe Werke, Bd. 5, S. 146/147.)

44
Siehe Friedrich Engels, „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 276.

45
Die Mitteilung über die künstliche Herstellung des Alizarins, eines organischen Farbstoffes, den man früher aus reifen Krappwurzeln gewann, wurde von den deutschen Chemikern K. Graebe und K. Liebermann am 11. Januar 1869 auf einer Versammlung der Deutschen Chemischen Gesellschaft gemacht. Das Ausgangsprodukt für die Synthese des Alizarins war Anthrazen, ein Stoff, der im Steinkohlenteer enthalten ist und von diesem bei einer Temperatur von 270°- 400° C abgesondert wird.

46
Karl Marx, „Thesen über Feuerbach" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 3, Berlin 1969, S. 5.

47
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 22, Berlin 1963, S. 296.

48
Siehe Friedrich Engels, „Einleitung zur englischen Ausgabe" der Arbeit „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 22, Berlin 1963, S. 296/297.

49
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 41.

50
Das Zentrale Parteiarchiv des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU ist im Besitz des von W. I. Lenin mit Vermerken versehenen Exemplars von J. Dietzgens Buch „Kleinere philosophische Schriften. Eine Auswahl", Stuttgart 1903. Das Buch enthält 7 Artikel, die in den Jahren 1870-1878 in den Zeitungen „Volksstaat" und „Vorwärts" erschienen waren, sowie die 1887 als Broschüre herausgegebene Arbeit „Streifzüge eines Sozialisten in das Gebiet der Erkenntnistheorie".
Ein bedeutender Teil der Vermerke Lenins stammt aus der Zeit, als er an dem Buch „Materialismus und Empiriokritizismus" arbeitete. Es handelt sich hierbei um Anstreichungen und Bemerkungen im Text und an den Rändern; an manchen Stellen vermerkt Lenin die richtigen Gedanken Dietzgens mit dem Buchstaben „α" und die Abweichungen vom dialektischen Materialismus mit dem Buchstaben „β". Lenins Vermerke beziehen sich auf die von Dietzgen gegebene Charakteristik der Parteilichkeit der Philosophie, des Verhältnisses von Philosophie und Naturwissenschaft, des Gegenstands der Philosophie, der wichtigsten philosophischen Kategorien, der Frage der Erkennbarkeit der Welt, auf die Einschätzung Kants, Hegels, Feuerbachs,. das Verhältnis zu Marx und Engels, sowie auf den streitbaren Atheismus Josef Dietzgens. Zugleich vermerkt er die Unklarheiten Dietzgens hinsichtlich der philosophischen Kategorien, seinen Versuch, den Begriff der Materie „weiter zu fassen“, indem man „alle Erscheinungen der Wirklichkeit, und folglich auch unsere Fähigkeit zu erkennen" usw. in diesen Begriff einbezieht.
Die entsprechenden Seiten aus dem Buch Dietzgens mit den Vermerken W. I. Lenins wurden erstmalig in Bd. 29 der 5. russischen Ausgabe der Werke W. I. Lenins aufgenommen und sind auch in Bd. 38 der deutschen Ausgabe enthalten.

51
Katholizismus - eine der Hauptrichtungen in der christlichen Religion, mit besonderer Auslegung einiger religiöser Glaubenssätze und einer nach dem Prinzip strenger Zentralisation und Hierarchie organisierten Kirche; ihr Zentrum ist der Vatikan, ihr Oberhaupt - der römische Bischof, der Papst.
Im Katholizismus ist die „menschliche Erfahrung" aus der Periode der frühen Entwicklungsstufen der Gesellschaft, d. h. der Glaube an übernatürliche Kräfte, „organisiert". Die katholische Kirche paßte diese „Erfahrung" zunächst den Bedingungen der feudalistischen Gesellschaft und später denen der kapitalistischen Gesellschaft an. In der Feudalgesellschaft war der Katholizismus ein wichtiges Mittel zur ideologischen Versklavung der Werktätigen und diente der Sanktionierung der feudalen Ausbeutung; von der katholischen Kirche wurden die Befreiungsbewegungen der Volksmassen, die infolge der historischen Bedingungen die Form religiöser Ketzerei annahmen, grausam verfolgt. Mit der Herausbildung kapitalistischer Verhältnisse in Europa büßte der Katholizismus in einer Reihe von Ländern seine herrschende Stellung ein. Als die Bourgeoisie jedoch siegte, verband der Katholizismus sein Schicksal mit dem Kapitalismus und begann aktiv gegen die sozialistische Bewegung zu kämpfen. In der feudalistischen Gesellschaft war die katholische Kirche der größte Feudalherr, in der bürgerlichen Gesellschaft wurde sie zum Großkapitalisten.
Der Katholizismus war stets ein unversöhnlicher Feind der Wissenschaft: Im Mittelalter verfolgte die katholische Kirche die Lehre von Nikolaus Kopernikus, ächtete sie Galileo Galilei, ließ Giordano Bruno und viele andere fortschrittliche Denker auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Gegenwärtig läßt die offizielle Philosophie des Katholizismus, der Neothomismus, die mittelalterliche Scholastik Wiederaufleben und benutzt sie zur Verteidigung des Kapitalismus, er ist bemüht, die wichtigsten Entdeckungen der Naturwissenschaft mit den religiösen Glaubenssätzen zu „versöhnen", wobei er das Primat der Religion verteidigt. Der wissenschaftlichen materialistischen Weltanschauung stellt der Katholizismus ein ganzes System religiöser Anschauungen über Natur und Gesellschaft entgegen.

52
Siehe Friedrich Engels, „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 276.

53
Skeptizismus - eine Richtung in der idealistischen Philosophie, die die Möglichkeit der Erkenntnis der objektiven Realität in Zweifel stellt. In der Geschichte der Philosophie spielte der Skeptizismus eine unterschiedliche Rolle, je nachdem, wessen Klasseninteressen er jeweils zum Ausdruck brachte. Als besondere philosophische Schule entstand der Skeptizismus im 4.-3. Jahrhundert v. u. Z., zur Zeit der Krise der Sklavenhaltergesellschaft im alten Griechenland; sein Begründer war Pyrrhon, seine bekanntesten Vertreter Aenesidemus und Sextus Empiricus. Die Anhänger des antiken Skeptizismus zogen aus sensualistischen Voraussetzungen agnostizistische Schlußfolgerungen. Die Skeptiker verabsolutierten die Subjektivität der Empfindungen und verlangten, man solle sich irgendwelcher bestimmten Urteile über die Dinge enthalten; sie waren der Meinung, daß der Mensch die Grenzen seiner Empfindungen nicht zu überschreiten und nicht zu bestimmen vermöge, welche von ihnen wahr sind. Der Verzicht auf Erkenntnis, so lehrten sie, führt zur Gleichgültigkeit den Dingen gegenüber, zur Befreiung von Zweifeln und zur Erreichung eines unerschütterlichen Seelenzustandes („Ataraxie"). Der antike Skeptizismus war gegen die materialistische Linie in der Entwicklung der Philosophie gerichtet.
In der Renaissance benutzten die französischen Philosophen Michel Montaigne, Pierre Charron und Pierre Bayle den Skeptizismus zum Kampf gegen die mittelalterliche Scholastik und gegen die Kirche. Bayle „bereitete", nach Marx' Worten, „nicht nur dem Materialismus und der Philosophie des gesunden Menschenverstandes ihre Aufnahme in Frankreich durch die skeptische Auflösung der Metaphysik vor. Er kündete die atheistische Gesellschaft..." .(Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 2, Berlin 1969, S. 134.) Blaise Pascals Skeptizismus dagegen ist gegen die rationelle Erkenntnis gerichtet und gelangt zu einer gefühlsbedingten Verteidigung der christlichen Religion.
Im 18. Jahrhundert feiert der Skeptizismus seine Auferstehung im Agnostizismus David Humes und Immanuel Kants, und ein Versuch der Modernisierung des antiken Skeptizismus wird von Gottlob Ernst Schulze (Aenesidem-Schulze) unternommen. Zum Unterschied vom antiken Skeptizismus behauptet der moderne Skeptizismus mit aller Bestimmtheit die Unmöglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis. Der Argumentation des Skeptizismus bedienten sich die Machisten, die Neukantianer und sonstige idealistische philosophische Schulen Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts. W. I. Lenin nannte den in Mode gekommenen bürgerlichen Skep­tizismus „tote und tötende Scholastik" und zeigte, daß sein Klasseninhalt zum Ausdruck kommt im „Verzweifeln an der Möglichkeit, die Gegenwart wissenschaftlich zu analysieren", im „Verzicht auf die Wissenschaft", im „Bestreben, auf alle Verallgemeinerungen zu pfeifen, sich vor allen ,Gesetzen' der geschichtlichen Entwicklung zu verstecken ..." (Werke, Bd. 20, S. 194/195). In der bürgerlichen Philosophie der Gegenwart dient der Skeptizismus dem Kampf gegen die konsequente dialektisch-materialistische Weltanschauung.

54
Epikureismus - die Lehre des griechischen materialistischen Philosophen Epikur, der im 4.-3. Jahrhundert v. u. Z. lebte, und seiner Schüler. Als Ziel der Philosophie betrachtete der Epikureismus das Glück des Menschen, seine Befreiung von Leiden und die Erringung der Glückseligkeit. Die Philosophie, so lehrte er, ist dazu berufen, die Hindernisse auf dem Weg zum Glück zu überwinden: die Todesfurcht, die der Unkenntnis der Naturgesetze entspringt und ihrerseits den Glauben an übernatürliche, göttliche Kräfte hervorruft.
Epikur unterteilte seine Philosophie in Physik, Kanonik (Erkenntnislehre) und Ethik. Ausgangspunkt der Physik ist die Anerkennung der materiellen Einheit der Welt, des „Seins der Dinge außerhalb des menschlichen Bewußtseins und unabhängig von ihm" (W. I. Lenin, Werke, Bd. 38, S.281/282).
In der Natur, lehrte Epikur, gibt es nur Atome und den leeren Raum, in dem sich die Atome dank ihrem Gewicht von oben nach unten bewegen. Mit gleicher Geschwindigkeit fallend, weichen die Atome von der gradlinigen Bewegung ab, stoßen zusammen, bleiben aneinander hängen und beginnen so mit der Bildung von Dingen. In seiner Doktordissertation „Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie" zeigt Marx die Rolle, die die Abweichung der Atome in der Lehre Epikurs spielt, und weist auf den Zusammenhang der Physik mit dem zentralen Begriff der epikureischen Ethik, dem Begriff der individuellen Freiheit, hin. (Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Ergänzungsband, Erster Teil, Berlin 1968, S.278-285.)
Epikur anerkannte die Objektivität der Eigenschaften der Dinge, hielt das Universum für unendlich und verstand, daß es sich nicht nach göttlichen, sondern nach natürlichen Gesetzen entwickelt. Er bestritt die Unsterblichkeit und Immaterialität der Seele und hielt sie für „einen besonders feinen Körper, der über den ganzen Organismus verteilt ist". Die Lehre von der Materialität der Seele hängt eng mit dem Atheismus Epikurs zusammen, der die Einmischung von Göttern in die Angelegenheiten der Natur und des Menschen verneinte.
In der Erkenntnistheorie ist Epikur Sensualist. Er vermutete, daß von den Dingen feinste Bildchen, Eidola, ausgehen, die durch die Sinnesorgane in die Seele des Menschen eindringen. Auf Grund der Sinneswahrnehmungen der Seele, in welcher das Gedächtnis lediglich die allgemeinen Merkmale der Bilder aufbewahrt, bilden sich die Begriffe von den Dingen. Das Kriterium der Wahrheit sind für Epikur die Sinneswahrnehmungen selbst, und die Quelle von Irrtümern sah er in der Zufälligkeit einzelner Empfindungen oder in voreilig gebildeten Urteilen. Epikurs Erklärung der grundlegenden Momente des Erkenntnisprozesses ist, wenn auch in sehr naiver Form, materialistisch.
Der epikureischen Ethik liegt die Lehre von der Lust zugrunde, in der sie das natürliche Ziel aller Lebewesen sieht; als höchste Lust des Menschen betrachtet Epikur die Freundschaft und das Wissen, durch welche die Unerschütterlichkeit des Geistes („Ataraxie") und die individuelle Freiheit erreicht werden, die Unabhängigkeit von den Einflüssen der Außenwelt wie auch von den eigenen Leidenschaften. Ausgehend von seiner individualistischen Ethik, betrachtete Epikur die Gesellschaft als Gesamtheit einzelner Individuen, von denen jedes zur Glückseligkeit strebt, und die übereinkommen, sich gegenseitig kein übel zuzufügen.
Der Epikureismus, der im Alten Griechenland weit verbreitet war, wurde im Alten Rom von dem materialistischen Philosophen Titus Lucretius Carus propagiert. Die Anhänger des Epikureismus aus den obersten Schichten der Sklavenhaltergesellschaft jedoch vulgarisierten die Lehre Epikurs in der Folgezeit, indem sie sie ausschließlich als Propagierung sinnlicher Genüsse darstellten. Die christliche Kirche griff den Epikureismus, den sie mit Sittenverderbnis gleichsetzte, scharf an. Der Epikureismus war mehr als andere philosophische Lehren des Altertums Angriffen der Idealisten ausgesetzt, die die Lehre des großen griechischen Materialisten entstellten.
In der von Lenin angeführten Definition des Sensualismus bezeichnet Franck den Epikureismus richtig als eine Abart des Sensualismus, jedoch unterscheidet er ungerechtfertigterweise den Epikureismus vom objektiven, materialistischen Sensualismus. Beim Konspektieren der „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie" von Hegel, der die Lehre Epikurs ebenfalls nicht verstand und sie entstellte, wies Lenin nach, daß der Epikureismus eine Form des altgriechischen Materialismus war. (Siehe Werke, Bd. 38, S. 279 bis 288.)

55
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke. Bd. 20, Berlin 1968, S. 79, 80, 81.

56
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 84/85.

57
Siehe Marx' Brief an Kugelmann vom 5. Dezember 1868, in Karl Marx/ Friedrich Engels, Werke, Bd. 32, Berlin 1965, S. 579.

58
W.I. Lenin meint die „Thesen über Feuerbach" von Marx (1845) und „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" (1888) sowie die „Einleitung zur englischen Ausgabe" (1892) der Arbeit „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" von Engels in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 3, Berlin 1969, S. 5-7; Bd. 21, Berlin 1962, S. 259-307; Bd. 22, Berlin 1963, S. 287-311.

59
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke. Bd. 3, Berlin 1969, S. 5; Bd. 21, Berlin 1962, S. 276; Bd. 22, Berlin 1963, S. 297.

60
„Revue de Philosophie" (Philosophische Rundschau) - idealistische französische Zeitschrift, gegründet von E. Peillaube; erschien von 1900 bis 1939 in Paris.

61
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 20, 21/22, 33.

62
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 293, 295.

63
Hier zitiert nach der 4. deutschen Auflage, die der von. Lenin benutzten französischen Übersetzung zugrunde gelegen hat: Ernst Mach, „Die Mechanik in ihrer Entwicklung", Leipzig 1901, S. 194. Im folgenden bringen wir an den entsprechenden Stellen die Seitenzahlen dieser Auflage in eckigen Klammern.

64
Annalen der 'Naturphilosophie' - Zeitschrift positivistischer Richtung, wurde von 1901 bis 1919 in Leipzig von Wilhelm Ostwald herausgegeben. Zu den Mitarbeitern der Zeitschrift gehörten Ernst Mach, Paul Volkmann und andere.

65
Siehe Friedrich Engels, „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 274-276.

66
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 41.

67
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 48.

68
„Natural Science" (Naturwissenschaft) - Monatsschrift in der Art einer Rundschau; wurde von 1892 bis 1899 in London herausgegeben.

69
„The Philosophical Review" (Philosophische Rundschau) - amerikanische Zeitschrift idealistischer Richtung, gegründet von J. G. Schurman; erscheint ab 1892.

70
In der ersten Auflage des Buches hieß es statt: „ruft nicht ein Lächeln, sondern Ekel hervor" - „ruft nicht nur Lächeln hervor". Nach Durchsicht der Korrekturen bat Lenin A. I. Uljanowa-Jelisarowa, diese Stelle abzuändern oder sie in die Druckfehlerberichtigung aufzunehmen. Die Berichtigung Lenins wurde in dem der ersten Auflage des Buches beigefügten „Verzeichnis der wichtigsten Druckfehler" abgedruckt.

71
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 106.

72
„Subjektive Methode in der Soziologie" - unwissenschaftliches idealistisches Herangehen an den historischen Prozeß, das die objektiven Gesetzmäßig­keiten der gesellschaftlichen Entwicklung leugnet und diese auf die will­kürliche Tätigkeit „hervorragender Persönlichkeiten" zurückführt. In den dreißiger bis vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts zählten zu den An­hängern der subjektiven Schule in der Soziologie die Junghegelianer B. Bauer, D. F. Strauß, M. Stirner und andere; sie erklärten das Volk zu einer „unkritischen Masse", die den „kritisch denkenden Persönlichkeiten" blindlings folgt. Marx und Engels unterzogen die Anschauungen der Jung­hegelianer in der „Heiligen Familie", in der „Deutschen Ideologie" und anderen Werken einer gründlichen und allseitigen Kritik. In Rußland traten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Repräsentanten der subjek­tiven Methode in der Soziologie die liberalen Volkstümler (P. L. Lawrow, N. K. Michailowski u. a.) auf, die den objektiven Charakter der Entwick­lungsgesetze der Gesellschaft leugneten und die Geschichte auf die Tätig­keit einzelner Helden, „hervorragender Persönlichkeiten", zurückführten. Die Subjektivisten „behaupteten nämlich", schrieb W. I. Lenin 1894, „daß man die sozialen Erscheinungen, weil sie so kompliziert und mannigfaltig sind, nicht untersuchen könne, ohne die wichtigen von den unwichtigen ab­gesondert zu haben, für eine derartige Sonderung aber sei der Standpunkt der ,kritisch denkenden' und ,sittlich entwickelten' Persönlichkeit notwendige Voraussetzung" (Werke, Bd. l, S. 425). Die subjektive Methode wird weitgehend von der reaktionären bürgerlichen Philosophie, Soziologie und Geschichte ausgenutzt, um die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung zu verfälschen und den Kampf gegen die marxistisch-lenini­stische Theorie zu führen. Der Marxismus-Leninismus deckte die völlige Haltlosigkeit der subjektiv­idealistischen Richtung in der Soziologie auf und schuf eine wirklich wissen­schaftliche, in sich geschlossene Lehre von der Entwicklung der mensch­lichen Gesellschaft, von der entscheidenden Rolle der Volksmassen in der Geschichte und der Bedeutung des Handelns der einzelnen Persönlichkeit.

73
Kadetten - Mitglieder der Konstitutionell-Demokratischen Partei, der führenden Partei der liberal-monarchistischen Bourgeoisie in Rußland. Die Partei der Kadetten wurde im Oktober 1905 gegründet; ihr gehörten Vertreter der Bourgeoisie, Semstwopolitiker aus den Kreisen der Gutsbesitzer und bürgerliche Intellektuelle an. Führende Vertreter der Kadetten waren P. N. Miljukow, S. A. Muromzew, W. A. Maklakow, A. I. Schingarjow, P. B. Struve, F. I. Roditschew u. a. Um die werktätigen Massen zu betrügen, nannten sich die Kadetten heuchlerisch „Partei der Volksfreiheit", in Wirklichkeit gingen sie jedoch nicht über die Forderung der konstitutionellen Monarchie hinaus. Ihr Hauptziel sahen die Kadetten im Kampf gegen die revolutionäre Bewegung, sie wollten die Macht mit dem Zaren und den feudalen Gutsbesitzern teilen. In den Jahren des ersten Weltkriegs unterstützten die Kadetten aktiv die räuberische Außenpolitik der zaristischen Regierung. Während der bürgerlich-demokratischen Februarrevolution versuchten sie die Monarchie zu retten. Die Kadetten, die in der bürgerlichen Provisorischen Regierung eine führende Stellung einnahmen, betrieben eine volksfeindliche, konterrevolutionäre Politik, die den amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten genehm war. Nach dem Sieg der Sozialistischen Oktoberrevolution traten die Kadetten als unversöhnliche Feinde der Sowjetmacht auf und beteiligten sich aktiv an allen konterrevolutionären bewaffneten Aktionen und Feldzügen der Interventen. Die Kadetten gingen nach der Zerschlagung der Interventen und Weißgardisten in die Emigration und setzten auch hier ihre sowjetfeindliche, konterrevolutionäre Tätigkeit fort.

74
Gemeint ist eine opportunistische Strömung, die sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts innerhalb der deutschen sozial­demokratischen Partei herausgebildet hatte. Die führenden Ideologen dieser Strömung waren K. Höchberg, E. Bernstein und K. A. Schramm, die unter dem Einfluß des Dühringianismus standen. Bernstein und L. Viereck förderten - neben J. Most u. a. - aktiv die Verbreitung der eklektischen Anschauungen E. Dührings innerhalb der deutschen Sozialdemokratie. Höchberg, der sich dank seinem Geld in die Partei „eingekauft" hatte, wie Marx sagte, rief dazu auf, den Sozialismus zu einer „allgemein-menschlichen", auf dem „Gerechtigkeitsgefühl" sowohl der Unterdrückten als auch der Vertreter der „oberen Klassen" beruhenden Bewegung zu machen. Auf Initiative Vierecks wurde in Berlin der „Mohrenklub" gegründet, in dem der Dühringianismus vorherrschend war und dessen Ziel darin bestand, „die Gebildeten" mit dem „Sozialismus" zu verbinden, eine Klassengemeinschaft zwischen den Arbeitern und der Bourgeoisie herbeizuführen. Nach der Annahme des Sozialistengesetzes in Deutschland (1878) siedelten die Führer des „Mohrenklubs" nach Zürich über und setzten dort ihre Versuche, die Bourgeoisie für den „Sozialismus" zu gewinnen, fort.
Der opportunistische, antimarxistische Charakter der Gruppe Höchberg trat deutlich bei der Schaffung eines Zentralorgans der deutschen sozial­demokratischen Partei in Zürich zutage. Höchberg und seine Anhänger waren der Ansicht, die Zeitung dürfe nicht die revolutionäre Politik der Partei vertreten, sondern müsse sich auf die abstrakte Propagierung sozialistischer Ideale beschränken. Die Parteiführung - August Bebel, Wilhelm Liebknecht u. a. - unterschätzte im Grunde genommen die opportunistische Gefahr, indem sie der Züricher Gruppe die Herausgabe der Zeitung anvertraute.
Im Juli 1879 wurde in dem von Höchberg redigierten „Jahrbuch für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik" der Artikel „Rückblicke auf die sozialistische Bewegung in Deutschland" veröffentlicht, in dem die revolutionäre Taktik der Partei verurteilt wurde. Die Verfasser des Artikels - Höchberg, Schramm und Bernstein - beschuldigten die Partei, sie habe durch ihre Ausfälle gegen die Bourgeoisie das Ausnahmegesetz provoziert, sie riefen dazu auf, ein Bündnis mit der Bourgeoisie einzugehen und sich ihr unterzuordnen, da sie der Meinung waren, die Arbeiterklasse sei nicht imstande, sich aus eigener Kraft zu befreien. Diese opportunistischen, reformistischen Anschauungen riefen den scharfen Protest von Marx und Engels hervor, die darin mit vollem Recht einen Verrat an der Partei sahen und im September 1879 den berühmten „Zirkularbrief" veröffentlichten. (Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 19, Berlin 1962, S. 159-166.) W. I. Lenin charakterisierte den Kampf der Begründer des Marxismus gegen den Opportunismus wie folgt: „Der ,ungestüme' Angriff von Marx führte dazu, daß die Opportunisten zurückwichen und ... sich dünne machten. Im Brief vom 14. November 1879 teilt Marx mit, daß man Höchberg aus der Redaktionskommission entfernt habe und daß alle einnußreichen Führer der Partei - Bebel, Liebknecht, Bracke usw. - seine Ideen desavouiert haben." (Werke, Bd. 12, S. 365.)
Später zogen sich Höchberg und Schramm von der Arbeiterbewegung zurück. Bernstein aber, der zeitweilig auf die Propagierung des Opportunismus verzichtete, wurde zu einem der Führer der deutschen Sozialdemokratie. Das theoretische Durcheinander und die von Bernstein Ende der siebziger Jahre bezogene opportunistische Position waren jedoch kein Zufall : nach dem Tode von Friedrich Engels propagierte er offen eine Revision des Marxismus und stellte die opportunistische Losung auf: „Die Bewegung ist alles, das Endziel nichts", die eine Weiterentwicklung der Grundthesen des Artikels von 1879 darstellte.

75
„Le Socialiste" (Der Sozialist) - Wochenzeitung, erschien ab 1885 als theoretisches Organ der französischen Arbeiterpartei, ab 1902 war sie das Organ der Sozialistischen Partei Frankreichs und ab 1905 das Organ der französischen Sozialistischen Partei. Die Zeitung veröffentlichte Auszüge aus Arbeiten von Marx und Engels, Artikel und Briefe von bekannten Vertretern der französischen und der internationalen Arbeiterbewegung Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, z. B. von Paul Lafargue, Wilhelm Liebknecht, Clara Zetkin, G. W. Plechanow und anderen;
1915 stellte die Zeitung ihr Erscheinen ein.

76
Siehe Karl Kautsky, „Ethik und materialistische Geschichtsauffassung", Stuttgart 1906, S. 25/26.

77
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 280.

78
W. I. Lenin meint Engels' Arbeiten „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" (1888) und „Einleitung zur englischen Ausgabe" (1892) der Arbeit „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 276; Bd. 22, Berlin 1963, S. 295-298.

79
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 282.

80
Siehe Friedrich Engels, „Einleitung zur englischen Ausgabe" der Arbeit „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 22, Berlin 1963, S. 295.

81
„Zeitschrift für immanente Philosophie" - reaktionäre deutsche Zeitschrift; wurde von 1895 bis 1900 unter der Redaktion von M. R. Kauffmann und unter Mitwirkung von W. Schuppe und R. v. Schubert-Soldern in Berlin herausgegeben.

82
„L'Année Philosophique" (Philosophisches Jahrbuch) - Organ der französischen „Neokritizisten"; erschien in Paris von 1890 bis 1913 unter der Redaktion von F. Pillon.

83
Lenin meint die verlogene Erklärung des Vorsitzenden des Ministerrats P. A. Stolypin, der das Vorhandensein „schwarzer Kabinette" bei den Postämtern leugnete, deren Aufgabe es war, Briefe von Personen, die der zari­stischen Regierung verdächtig vorkamen, zu perlustrieren.

84
„Revue Philosophique de la Trance et de l'Etranger" (Französische und internationale philosophische Rundschau) - 1876 in Paris von dem französischen Psychologen Th. Ribot gegründete Zeitschrift.

85
Buddhismus (nach dem Namen seines legendären Begründers Gautama Buddha, des „Erleuchteten") - neben dem Christentum und dem Islam eine der am weitesten verbreiteten Religionen der Gegenwart. Der Buddhismus entstand in der Periode des Aufkommens früher Staatengebilde im 6. Jahrhundert v. u. Z. in Indien und war, verglichen mit der damals herrschenden Religion des Brahmanismus eine demokratische Lehre: der Teilung der Gesellschaft in Kasten stellte der Buddhismus die Idee von der Gleichheit der Menschen gegenüber, einer Gleichheit allerdings nur im Sinne der für alle gleichen Möglichkeiten, „Erlösung" zu erlangen. Der Frühbuddhismus verzichtete darauf, die „metaphysischen" Fragen nach der Natur der Welt, nach dem Unterschied zwischen Seele und Geist usw. zu beantworten, und richtete sein Hauptaugenmerk auf ethische Probleme. Als das Wesen des menschlichen Lebens betrachtet der Buddhismus das Leiden, das durch die sinnlichen Triebe und die Unkenntnis der Wahrheit bedingt sei, und sein Ziel sieht er in der Befreiung des Menschen von den Leiden, in der Erleuchtung, in der Erreichung der höchsten Weisheit und der ewigen Seligkeit (des „Nirwanas"). Der Weg, der zum „Nirwana" führt, ist die moralische Selbstvervollkommnung, die Abkehr von der Außenwelt, der Verzicht auf gewaltsamen Widerstand gegen das Böse usw. Dem Frühbuddhismus war eine urwüchsige Dialektik eigen, er stellte sich die Welt als Gesamtheit von Prozessen vor. Als universelles Gesetz des Alls betrachtet der Buddhismus das Gesetz des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung, das er jedoch in religiösem Sinne interpretiert. Nach dem Buddhismus ist der Zustand, in dem der Mensch geboren wird, durch sein Verhalten in früheren Existenzen bedingt, und gute und böse Taten des Menschen haben Einfluß auf die nachfolgenden Generationen. Dieser Einfluß wird durch gewisse geistige und materielle Elemente („Dharma") übertragen, aus deren Kombination angeblich alle Dinge bestehen. In der Folgezeit wurden vorwiegend solche Seiten des Buddhismus entwickelt wie der Agnostizismus, der Pessimismus, der Verzicht auf aktives Handeln, die Lehre vom Verzicht auf gewaltsamen Widerstand gegen das Böse usw. Die urwüchsige Dialektik verwandelte sich in Relativismus, in die „Momentalitätstheorie", nach der die Dinge als solche nur einen „unteilbaren Moment" lang existieren.
Die verschiedenen Schulen des Buddhismus fanden weite Verbreitung auf Ceylon, in Burma, China, Japan und anderen Ländern des Ostens. Im 19. Jahrhundert beeinflußte der Buddhismus verschiedene Philosophen in Europa und in den USA (A. Schopenhauer, E. von Hartmann, H. Bergson u. a.), die einzelne Seiten des Buddhismus für ihre reaktionäre subjektiv­idealistische Philosophie ausnutzten.

86
„The "Monist" (Der Monist) - amerikanische philosophische Zeitschrift idealistischer Richtung; herausgegeben von P. Carus. Die Zeitschrift erschien von 1890 bis 1936 in Chikago.

87
„The Open Court" (Die Offene Tribüne) - Zeitschrift religiöser Richtung; erschien von 1887 bis 1936 in Chikago; herausgegeben von P. Carus.

88
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 294/295.

89
Im Jahre 1892 erschien in Genf die erste russische Ausgabe von Friedrich Engels' Arbeit „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" mit einem Vorwort und Anmerkungen von G. W. Plechanow. Plechanow kommentiert die Engelssche Formulierung der Grundfrage der Philosophie sowie Engels' Charakteristik des Agnostizismus, legt die Erkenntnistheorie verschiedener Richtungen der idealistischen Philosophie (Hume, Kant, Neukantianer u. a.) kritisch dar und stellt ihnen die materialistische Erkenntnistheorie entgegen. Dabei macht er einen Fehler, wenn er sagt: „Unsere Empfindungen sind eine Art Hieroglyphen, die uns davon Kenntnis geben, was in der Wirklichkeit vor sich geht. Die Hieroglyphen stimmen mit den Begebenheiten, die durch sie vermittelt werden, nicht überein. Aber sie können sowohl die Begebenheiten selbst als auch - und das ist das Wichtigste - die zwischen ihnen existierenden Beziehungen völlig richtig vermitteln." (G. W. Plechanow, Ausgewählte philosophische Schriften, Bd. I, Moskau 1956, S. 501, russ.) Im Jahre 1905 erklärte Plechanow in den Anmerkungen zur zweiten Auflage der Arbeit von Engels, er „habe sich noch nicht ganz präzise ausgedrückt" (ebenda, S. 481, russ.). Der Fehler Plechanows war, obgleich er terminologischer Art war, ein Zugeständnis an den Agnostizismus und ein Zeichen dafür, daß Plechanow die Dialektik des Erkenntnisprozesses nicht tief genug erfaßt hatte.

90
„Archiv für Philosophie" - deutsche philosophische Zeitschrift idealistischer Richtung, Organ der Neukantianer und der Machisten; erschien in Berlin von 1895 bis 1931 in zwei gleichlaufenden Abteilungen: die eine, „Archiv für Geschichte der Philosophie", herausgegeben von L. Stein, die andere, „Archiv für systematische Philosophie", herausgegeben von P. Natorp. 1925 wurde die Zeitschrift umbenannt in „Archiv für Philosophie und Soziologie".

91
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 280.

92
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 32, Berlin 1965, S. 579.

93
Die Entdeckung der X- Strahlen, der Becquerel-Strahlen, des Radiums legte den Grundstein zur Entwicklung der Atomphysik.
  X- oder Röntgenstrahlen - elektromagnetische Kurzwellenstrahlung, welche Stoffe durchdringt, die für das sichtbare Licht undurchlässig sind. Die X-Strahlen wurden von dem deutschen Physiker W. C. Röntgen im Dezember 1895 entdeckt, der auch die wichtigsten Eigenschaften der neuen Strahlenart beschrieb. Das Wesen dieser Strahlen wurde erst später aufgedeckt. Im Jahre 1896 bemerkte der französische Physiker A.-H. Becquerel bei der Untersuchung der Einwirkung verschiedener lumineszierender Stoffe auf eine fotografische Platte, daß Uransalz im Dunkeln, auch ohne vorangegangene Belichtung, auf die fotografische Platte wirkt. Weitere Versuche Becquerels zeigten, daß diese Wirkung durch eine neue, von den Röntgenstrahlen unterschiedene Strahlenart hervorgerufen wird.
  Mit der Erforschung der neuen Strahlung befaßten sich Pierre Curie und Marie Sklodowska-Curie, die feststellten, daß es sich um eine bis dahin unbekannte Eigenschaft mancher Stoffe handelt, die sie Radioaktivität nannten. Im Ergebnis ihrer Experimente entdeckte das Ehepaar Curie zwei neue radioaktive Elemente: Polonium und Radium (1898). Im weiteren wurde festgestellt, daß die Becquerelstrahlen aus drei Komponenten (α-, ß- und γ-Strahlen) bestehen.

94
Diese Entdeckung wurde von J. C. Maxwell gemacht, der die Forschungsergebnisse M. Faradays auf dem Gebiet des Elektromagnetismus verallgemeinerte und die Theorie des elektromagnetischen Feldes schuf, der zufolge die Veränderungen des elektromagnetischen Feldes sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Auf Grund seiner Untersuchungen zog Maxwell im Jahre 1865 die Schlußfolgerung, daß das Licht aus elektromagnetischen Schwingungen besteht. Die Theorie Maxwells wurde in den Jahren 1886-1889 experimentell bestätigt von H. Hertz, der die Existenz elektromagnetischer Wellen nachwies.

95
Bei der Untersuchung der radioaktiven Erscheinungen wurden Strahlen besonderer Art, die α-, ß- und γ-Strahlen, entdeckt. Im Jahre 1903 sprachen E. Rutherford und F. Soddy die Vermutung aus, daß die Radioaktivität die spontane Umwandlung bestimmter chemischer Elemente in andere darstellt. Diese Vermutung wurde bald darauf von W. Ramsay und F. Soddy bestätigt, die unter den Produkten des radioaktiven Zerfalls von Radon Helium feststellten (1903). Danach wurde festgestellt, daß sich Helium beim Zerfall des Radiums und anderer radioaktiver Elemente bildet, die über α-Radioaktivität verfügen. Die Tatsache der Bildung von Helium beim Zerfall radioaktiver Elemente diente als wichtiges Argument zugunsten der Theorie der radioaktiven Umwandlungen. Restlos erklären konnte man diese Tatsache nur durch die Annahme, daß die α-Strahlen Kerne von Heliumatomen darstellen, was im Jahre 1909 durch die Versuche von E. Rutherford bestätigt wurde.

96
W. I. Lenin benutzt den Begriff des Äthers, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Physik noch allgemein gebräuchlich war. Der Begriff des Äthers als eines besonderen materiellen Mediums, das den gesamten Raum ausfüllen und Träger des Lichts, der Schwerkraft usw. sein sollte, war im 17. Jahrhundert aufgestellt worden. Später wurden zur Erklärung der verschiedenen Erscheinungen Begriffe verschiedener, voneinander unabhängiger Arten des Äthers (des elektrischen, des magnetischen u. a.) eingeführt. Im Zusammenhang mit den Erfolgen der Wellentheorie des Lichts wurde der Begriff des Lichtäthers am weitesten entwickelt (Ch. Huygens, A. Fresnel u. a.); später kam die Hypothese eines einheitlichen Äthers auf. Mit der Weiterentwicklung der Wissenschaft jedoch geriet der Begriff des Äthers in Widerspruch mit den neuen Fakten. Die Unhaltbarkeit der Hypothese des Äthers als eines universellen mechanischen Mediums wurde durch die Relativitätstheorie nachgewiesen; die rationellen Momente in der Hypothese des Äthers fanden ihren Niederschlag in der Quantenfeldtheorie (Begriff des Vakuums).

97
W. I. Lenin hat mehrfach darauf hingewiesen, daß die Kritik G. W. Plechanows am Machismus begrenzt ist. Im Jahre 1905 schrieb Lenin im Zusammenhang mit dem Vorwort Plechanows zur zweiten russischen Auflage von Friedrich Engels' Arbeit „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie": „Wie oberflächlich sind doch seine Ausfälle und ,Sticheleien' gegen die Machisten! Ich finde sie um so bedauerlicher, als mir Plechanows Kritik an Mach im wesentlichen richtig zu sein scheint." (W. I. Lenin, Briefe, Bd. II, S. 50/51.) 1907/1908 kritisierte Plechanow in den Arbeiten „Grundprobleme des Marxismus", „Materialismus militans" u. a. den Machismus und seine Anhänger in Rußland (Bogdanow, Lunatscharski u. a.) und zeigte die Haltlosigkeit ihrer Versuche, den Marxismus mit der subjektiv-idealistischen Philosophie von Mach und Avenarius in Einklang zu bringen. Jedoch „trachtete" Plechanow hierbei „weniger danach, Mach zu widerlegen, als vielmehr der Fraktion der Bolschewiki Schaden zuzufügen" (siehe den vorliegenden Band, S. 360).
Plechanows Kampf gegen den Machismus spielte eine positive Rolle bei der Verteidigung der marxistischen Philosophie gegen die Angriffe der Revisionisten. Jedoch gab Plechanow keine gründliche theoretische Analyse des Empiriokritizismus, er zeigte nicht den unmittelbaren Zusammenhang des Machismus mit der Krise der Naturwissenschaft, sondern beschränkte sich auf eine Kritik der idealistischen Erkenntnistheorie einzelner Vertreter des Machismus.

98
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 278.

99
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 55.

100
Die Charakteristik des Begriffs Masse, die Henri Poincaré gibt und die von W. I. Lenin angeführt wird, entspricht dem damaligen Entwicklungsstand der Physik. Die der Entdeckung des Elektrons folgende Entwicklung der Elektronentheorie ermöglichte es, die Natur der Elektronenmasse zu erklären. J. J. Thomson stellte eine Hypothese auf, nach der die eigentliche Masse des Elektrons durch die Energie seines elektromagnetischen Feldes bedingt ist ( d. h., das Beharrungsvermögen des Elektrons entspringt dem Beharrungsvermögen des Feldes); es wurde der Begriff der elektromagnetischen Masse des Elektrons eingeführt, die von der Geschwindigkeit seiner Bewegung abhängt; die mechanische Masse des Elektrons aber, ebenso wie die jedes beliebigen anderen Teilchens, galt als unveränderlich. Das Vorhandensein der mechanischen Masse sollte durch Experimente nachgewiesen werden, die man zur Untersuchung der Abhängigkeit der elektromagnetischen Masse des Elektrons von der Geschwindigkeit anstellte. Diese im Jahre 1901/1902 von W. Kaufmann durchgeführten Versuche ergaben jedoch ganz unerwartet, daß das Elektron sich so verhält, als ob seine ganze Masse elektromagnetisch sei. Daraus wurde die Schlußfolgerung gezogen, daß die mechanische Masse, die früher als unabdingbare Eigenschaft; der Materie galt, beim Elektron verschwinde. Dieser Umstand diente als Vorwand für die verschiedenartigsten philosophischen Spekulationen und Erklärungen über ein „Verschwinden der Materie", deren Unhaltbarkeit W. I. Lenin nachwies. Die weitere Entwicklung der Physik (Relativitätstheorie) zeigte, daß die mechanische Masse ebenso von der Geschwindigkeit der Bewegung abhängt und daß die Masse des Elektrons nicht gänzlich auf die elektromagnetische Masse reduziert werden kann.

101
„L'Anneé Psychologique" (Psychologisches Jahrbuch) - Organ einer Gruppe französischer bürgerlicher idealistischer Psychologen; erscheint seit 1894 in Paris. Anfangs wurde es von A. Binet, später von H. Piéron herausgegeben.

102
positives Elektron wurde in der Physik Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ein Teilchen mit elementarer Ladung positiver Elektrizität genannt. Die Existenz des positiven Elektrons im modernen Sinne (Positron) wurde 1928 von dem englischen Physiker P. A. M. Dirac vorausgesagt; 1932 ent­deckte der amerikanische Physiker C. D. Andersen das Positron in der Zusammensetzung der kosmischen Strahlen.

103
Der Gedanke, daß das Atom zusammengesetzt ist, entstand Ende des 19. Jahrhunderts mit der Entdeckung des Periodensystems der Elemente durch D. I. Mendelejew, der elektromagnetischen Natur des Lichtes, des Elektrons, der Erscheinung der Radioaktivität. Es wurden verschiedene Atommodelle entworfen. W. I. Lenin hielt die Ende des 19. Jahrhunderts aufgestellte Hypothese, nach der das Atommodell als eine Art Planetensystem dargestellt wurde, für die wahrscheinlichste. Sie fand ihre experimentelle Bestätigung in den Versuchen von E. Rutherford, der untersuchte, wie die α-Teilchen (positiv geladene Heliumkerne) verschiedene Stoffe durchdringen, und zu der Schlußfolgerung kam, daß sich die positive Ladung im Zentrum des Atoms befindet und einen sehr geringen Teil seines Volumens ausmacht. 1911 unterbreitete er ein Modell, demzufolge sich im Zentrum des Atoms ein positiv geladener Kern befindet, dessen Masse fast der gesamten Masse des Atoms gleichkommt und um den auf verschiedenen Bahnen, ähnlich den Planeten des Sonnensystems, Elektronen kreisen; jedoch konnte dieses Modell die Stabilität des Atoms nicht erklären. Der erste erfolgreiche Versuch, eine Theorie von der Struktur des Atoms zu schaffen, basierte auf dem Modell von Rutherford und stand in Zusammenhang mit der Einführung der sogenannten Quantenpostulate N. Bohrs (1913). Nach dieser ersten Quantentheorie des Atoms bewegt sich das Elektron ohne Lichtausstrahlung auf einer der„stabilen" Bahnen (die bestimmten diskreten Energiewerten entsprechen); zu einer Ausstrahlung oder Absorption einer bestimmten Energiemenge durch das Atom kommt es nur dann, wenn das Elektron von einer Bahn auf eine andere übergeht.
Durch die weitere Entwicklung der Physik wurden die Vorstellungen von der Struktur des Atoms immer umfangreicher. Von großer Bedeutung war hierbei die Voraussage von L. de Broglie über die Welleneigenschaften der Mikroobjekte sowie die darauf folgende Schaffung der Quantenmechanik durch E. Schrödinger, W. Heisenberg u. a. Nach den heutigen Vorstellungen ist der Atomkern von einer Hülle von Elektronen umgeben, die sich auf verschiedenen, bestimmten Energiewerten entsprechenden Bahnen bewegen und zusammen mit dem Kern ein einheitliches, miteinander verbundenes System bilden.
Im Verlauf der Entwicklung der Physik stellte sich heraus, daß der Atomkern aus „Elementar"teilchen, Nuklonen (Protonen und Neutronen), besteht; es wurde entdeckt, daß das Elektron außer Masse und Ladung, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt waren, noch andere Eigenschaften besitzt und sich in andere Teilchen verwandeln kann. Außer dem Elektron wurde eine Reihe neuer, sich durch ihre Eigenschaften voneinander unterscheidender „Elementar"teilchen (Photonen, Protonen, Neutronen, das Neutrino, verschiedene Arten von Mesonen und Hyperonen) entdeckt. Es gelang ebenfalls, Teilchen zu entdecken, bei denen einige Merkmale mit entsprechenden Merkmalen früher bekannter „Elementar"teilchen zusammenfallen, sowie andere Teilchen, die ihnen der Größe nach gleich sind, aber umgekehrtes Vorzeichen besitzen (die sogenannten Antiteilchen).
Die fortschreitende Erkenntnis vom Aufbau des Stoffes führte zur Beherrschung der Kernprozesse und zur Ausnutzung der Kernenergie durch den Menschen; das ist der Beginn einer neuen technischen Revolution, die gewaltige Bedeutung für die Zukunft der gesamten Menschheit hat.

104
„Revue générale des sciences pures et appliquees" (Allgemeine Rundschau der theoretischen und angewandten Wissenschaften) - Zeitschrift, in der naturwissenschaftliche Artikel veröffentlicht werden; ´ erscheint seit 1890 in Paris; die Zeitschrift wurde von L. Olivier gegründet.

105
Offensichtlich ist die mechanische Masse gemeint, die in der klassischen Physik als ewige und unveränderliche Eigenschaft der Materie galt.

106
Neovitalismus - Ende des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die materialistische Weltanschauung, auf den Darwinismus entstandene idealistische Richtung in der Biologie. Seine Vertreter (W.Roux, H.Driesch,J.v.Uexküll u. a.) wollten die unwissenschaftlichen Anschauungen des Vitalismus Wiederaufleben lassen und versuchten, die Lebenserscheinungen und die Zweckmäßigkeit der lebenden Organismen durch das Wirken besonderer nicht­materieller Faktoren („Lebenskraft", „Entelechie" usw.) zu erklären und auf diese Weise die organische Natur von der anorganischen prinzipiell zu trennen. Die Haltlosigkeit und der unwissenschaftliche Charakter des Neovitalismus wurden in den Arbeiten der materialistischen Biologen (E. Haeckel, K. A. Timirjasew, I. P. Pawlow u. a.) dargelegt.

107
„Woprossy Filossofii i Psichologii" (Probleme der Philosophie und Psychologie) - Zeitschrift idealistischer Richtung, gegründet von Professor N. J. Grot; wurde von November 1889 bis April 1918 in Moskau herausgegeben (ab 1894 von der Moskauer Psychologischen Gesellschaft). In der Zeitschrift wurden Artikel über Philosophie, Psychologie, Logik, Ethik, Ästhetik, kritische Notizen und Analysen von Lehren und Werken europäischer Philosophen und Psychologen, Übersichten über philosophische Bücher und ausländische philosophische Zeitschriften sowie andere Materialien veröffentlicht. In den neunziger Jahren waren die „legalen Marxisten" P. B. Struve, S. N. Bulgakow und in den Jahren der Reaktion A. Bogdanow und andere Machisten Mitarbeiter der Zeitschrift. Ab 1894 erschien die Zeitschrift unter der Redaktion von L. M. Lopatin.

108
„Bund des russischen Volkes" - extrem reaktionäre, monarchistische Schwarzhunderterorganisation; bildete sich im Oktober 1905 in Petersburg zum Kampf gegen die revolutionäre Bewegung. Er vereinigte reaktionäre Gutsbesitzer, große Hauseigentümer, Kaufleute, höhere Polizeibeamte, Geistlichkeit, städtisches Kleinbürgertum, Kulaken, deklassierte und kriminelle Elemente. An seiner Spitze standen W. A. Bobrinski, A. I. Dubrowin, P. A. Kruschewan, N. J. Markow II, W. M. Purischkewitsch u. a. Presseorgane der Organisation waren die Zeitungen „Russkoje Snamja" (Reußenfahne), „Objedinenije" (Die Vereinigung) und „Grosa" (Gewitter). In vielen Städten Rußlands schuf sich der „Bund des russischen Volkes" Zweigorganisationen.
Die Organisation verteidigte die Unerschütterlichkeit der zaristischen Selbstherrschaft, den Fortbestand der halbfeudalen Gutsbesitzerwirtschaft und die Erhaltung der Adelsprivilegien; ihre Programmlosung war die monarchistische, nationalistische Losung aus der Zeit der Leibeigenschaft: „Rechtgläubigkeit, Selbstherrschaft, Volkstum". Ihre Hauptmethoden im Kampf gegen die Revolution waren Pogrome und Mord. Unter Beihilfe und Duldung der Polizei schlugen und meuchelten die Mitglieder der Organisation offen und ungestraft fortschrittliche, revolutionäre Arbeiter und Vertreter der demokratisch gesinnten Intelligenz, sie beschossen Kundgebungen und jagten deren Teilnehmer auseinander, organisierten Judenpogrome und entfalteten eine wütende Hetze gegen die nichtrussischen Nationalitäten.
Nach der Auseinanderjagung der II. Duma zerfiel der „Bund des russischen Volkes" in zwei Organisationen: in den unter Leitung von Purischkewitsch stehenden „Erzengel-Michael-Bund", der dafür eintrat, die III. Duma zu konterrevolutionären Zwecken auszunutzen, und den eigentlichen „Bund des russischen Volkes" unter Leitung von Dubrowin, der die Taktik des offenen Terrors fortsetzte. Beide reaktionäre Organisationen wurden während der bürgerlich-demokratischen Februarrevolution 1917 aufgelöst. Nach der Sozialistischen Oktoberrevolution beteiligten sich die ehemaligen Mit­glieder dieser Organisationen aktiv an konterrevolutionären Meutereien und Verschwörungen gegen die Sowjetmacht.

109
„Russkoje Bogatstwo" (Russischer Reichtum) - Monatsschrift, die von 1876 bis 1918 in Petersburg erschien. Anfang der neunziger Jahre ging sie in die Hände der liberalen Volkstümler mit N. K. Michailowski an der Spitze über. Um das „Russkoje Bogatstwo" gruppierten sich Publizisten, die später bekannte Mitglieder der Parteien der Sozialrevolutionäre, der „Volkssozialisten" und der Trudowikigruppen in der Reichsduma wurden. Von 1906 an war das „Russkoje Bogatstwo" Organ der halbkadettischen „Volkssozialistischen Arbeiterpartei".

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Die Worte „wer den Feind...", die Abwandlung eines Vierzeilers von Goethe, entnahm Lenin dem Roman „Neuland" von I. S. Turgenjew.

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Gemeint ist das Vorwort zu Marx' Arbeit „Zur Kritik der politischen Ökonomie" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 13, Berlin 1964, S. 7-11.

112
Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 32, Berlin 1965, S. 685/686.

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Malthusianismus - reaktionäre Lehre, die die Verelendung der werktätigen Massen im Kapitalismus durch ein „natürliches", absolutes Bevölkerungsgesetz zu erklären sucht. Die Lehre ist benannt nach dem englischen bürgerlichen Ökonomen Th. R. Malthus, der 1798 in der Arbeit „An Essay on the Principle of Population" (Eine Abhandlung über das Bevölkerungsprinzip) zu beweisen suchte, daß sich das Wachstum der Bevölkerung angeblich in geometrischer Progression vollzieht (l, 2, 4, 8, 16 ...), während die Existenzmittel in arithmetischer Progression zunehmen (l, 2, 3, 4, 5 ...). Die Anhänger des Malthusianismus rufen dazu auf, die Geburtenziffern zu senken, und halten Epidemien, Kriege usw. für nützlich, da durch sie das Gleichgewicht zwischen der Zahl der Menschen und der Menge der Existenzmittel wiederhergestellt wird.
Karl Marx zeigte die Haltlosigkeit und den reaktionären Charakter des Malthusianismus, er bewies, daß es kein natürliches, allen Entwicklungsstufen der menschlichen Gesellschaft gemeinsames Bevölkerungsgesetz gibt, daß „in der Tat jede besondere historische Produktionsweise ihre besondren, historisch gültigen Populationsgesetze hat" (Karl Marx, „Das Kapital", Bd. I, Berlin 1961, S. 666, oder Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 23, Berlin 1969, S. 660). Der Grund für die Verelendung der werktätigen Massen im Kapitalismus liegt in der kapitalistischen Produktionsweise, die Massenarbeitslosigkeit und andere soziale Nöte erzeugt. Die Praxis des sozialistischen Aufbaus in der UdSSR und in den Ländern der Volksdemokratie widerlegt endgültig den Malthusianismus, der auch jetzt noch von den Ideologen der Bourgeoisie zur Rechtfertigung der aggressiven imperialistischen Politik ausgenutzt wird.

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Die Entdeckung des Gesetzes der Erhaltung und Verwandlung der Energie, die durch die gesamte Entwicklung der Naturwissenschaft, insbesondere durch die Arbeiten M. W. Lomonossows und einer Reihe anderer Gelehrter vorbereitet worden war, fällt in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts (die Arbeiten von R. Mayer, J. Joule, H. Helmholtz). Der Terminus „Energie" in seiner modernen Bedeutung wurde 1853 von W. Rankine eingeführt, fand jedoch erst in den siebziger, achtziger Jahren allgemeine Anwendung. Die meisten Physiker verhielten sich anfangs kritisch zu dem neuen Gesetz, bald jedoch war seine Richtigkeit für alle Gebiete der Naturwissenschaft bewiesen. Friedrich Engels hielt die Entdeckung des Gesetzes der Erhaltung und Verwandlung der Energie für eine der bedeutendsten Errungenschaften der Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert und betrachtete es als allgemeines Naturgesetz, das in der Sprache der Physik die Einheit der materiellen Welt zum Ausdruck bringt. „Die Einheit aller Bewegung in der Natur", schrieb er, „ist nicht mehr eine philosophische Behauptung, sondern eine naturwissenschaftliche Tatsache," („Dialektik der Natur", in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke. Bd. 20, Berlin 1968, S. 468.)
Einzelne Gelehrte zweifelten den allgemeinen Charakter des Gesetzes der Erhaltung und Verwandlung der Energie an und versuchten es in idealistischem Sinne auszulegen. Ernst Mach z. B. wollte es nicht als allgemeines Naturgesetz betrachten, sondern war der Meinung, es laufe auf die Konstatierung der kausalen Abhängigkeit der Erscheinungen hinaus. Wilhelm Ostwald hielt das Gesetz der Erhaltung und Verwandlung der Energie für das einzige allgemeine Naturgesetz, er versuchte die objektive Realität des Stoffes zu leugnen, den Begriff der Materie auszuschalten und zu beweisen, daß Energie ohne Materie existiert, er versuchte alle Erscheinungen der Natur, der Gesellschaft und des Denkens auf Energie zurückzuführen. A. Bogdanow versuchte die gesellschaftlichen Veränderungen als Zu- oder Abnahme von Energie darzustellen.
W. I. Lenin kritisierte den „Energetismus" als eine Erscheinungsform des „physikalischen" Idealismus und bewies die prinzipielle Haltlosigkeit der Versuche, die Gesetze der Naturwissenschaft auf gesellschaftliche Erscheinungen zu übertragen. Die weitere Entwicklung der Naturwissenschaft, die Erforschung der Erscheinungen des Mikrokosmos bestätigten den allgemeinen Charakter des Gesetzes der Erhaltung und Verwandlung der Energie.

115
W. I. Lenin meint offensichtlich folgende Stelle aus Friedrich Engels' Arbeit „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft":
„Diese beiden großen Entdeckungen: die materialistische Geschichtsauffassung und die Enthüllung des Geheimnisses der kapitalistischen Produktion vermittelst des Mehrwerts verdanken wir Marx. Mit ihnen wurde der Sozialismus eine Wissenschaft, die es sich nun zunächst darum handelt, in allen ihren Einzelheiten und Zusammenhängen weiter auszuarbeiten." (Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 19, Berlin 1962, S. 209.)

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Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 27, Berlin 1965, S. 419-421. Als Datum des Briefes wird irrtümlich von Grün der 30., von Lenin der 20. Oktober 1843 angegeben. Der Brief wurde in Wirklichkeit am 3. Oktober 1843 geschrieben.

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Die „ Deutsch-französisdien Jahrbücher" wurden unter der Redaktion von Karl Marx und Arnold Ruge in deutscher Sprache in Paris herausgegeben. Es erschien lediglich eine (Doppel-) Nummer im Februar 1844. In den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern" wurden Marx' Arbeiten „Zur Judenfrage", „Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie. Einleitung" veröffentlicht sowie die Arbeiten von Engels „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" und „Die Lage Englands. ,Past and Present' by Thomas Carlyle". (Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. l, Berlin 1969, S. 347-377, 378-391, 499-524, 525-549.) Diese Arbeiten bedeuten den endgültigen Übergang von Marx und Engels zum Materialismus und Kommunismus. Die Hauptursache dafür, daß die Zeitschrift ihr Erscheinen einstellte, lag in prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten zwischen Marx und dem bürgerlichen Radikalen Ruge.

118
Siehe Karl Marx, „Das Kapital", Bd. I, Berlin 1961, S. 17/18, oder Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 23, Berlin 1969, S. 27/28.

119
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 32, Berlin 1965, S. 686; Bd. 33, Berlin 1966, S. 162.

120
Siehe Friedrich Engels, „Einleitung zur englischen Ausgabe" der Arbeit „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 22, Berlin 1963, S, 295-298.

121
W. I. Lenin meint Engels' Schriften „Anti-Dühring" (1878), „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" (1888) sowie die „Einleitung zur englischen Ausgabe" (1892) der Arbeit „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft", in Karl Marx/ Friedrich Engels, Werke, Bd. 20, Berlin 1968, S. 1-303; Bd. 21, Berlin 1962, S. 259-307; Bd. 22, Berlin 1963, S. 287-311.)

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Die "Wendung zu Hegel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war charakteristisch für die Entwicklung der bürgerlichen Philosophie in einer Reihe europäischer Länder und in den USA. In England begann sie mit dem Erscheinen des Buches von James Hutchison Stirling „The Secret of Hegel" (Das Geheimnis Hegels) im Jahre 1865. In der Periode des Hinüberwachsens des vormonopolistischen Kapitalismus in den Imperialismus konnte die empirische Philosophie (Jeremias Bentham, John Stuart Mill, Herbert Spencer) mit ihrem Prinzip des ethischen Individualismus die Interessen der konservativen Kreise der englischen Bourgeoisie bereits nicht mehr befriedigen. Ihre Ideologen interessierten sich für den absoluten Idealismus Hegels, der große Möglichkeiten für die theoretische Begründung der Religion eröffnet hatte. Es bildete sich eine besondere philosophische Richtung heraus, die die Bezeichnung „Anglo-Hegelianismus" erhielt und deren Vertreter (Thomas Green, die Brüder Edward und John Caird, Francis Bradley u. a.) aktiv gegen den Materialismus und die Naturwissenschaft, insbesondere gegen den Darwinismus auftraten. Die „Anglo-Hegelianer" nutzten die reaktionären Seiten der Lehre Hegels aus, insbesondere den Begriff des absoluten Geistes, des Absoluten. Unter dem Einfluß der subjektiv-idealistischen Tradition Berkeleys und Humes lehnten sie den Hegeischen Rationalismus, seine Idee der Entwicklung ab; Elemente der Hegeischen Dialektik wurden nur ausgenutzt, um den Agnostizismus sophistisch zu rechtfertigen. Bradley z. B., der die Argumentation Kants teilweise wiederholte, zog aus dem widersprüchlichen Charakter des menschlichen Denkens die Schlußfolgerung, daß sich das menschliche Denken nur auf dem Gebiet der Erscheinungen bewegt, da das wirkliche Wesen des Seins angeblich nicht widersprüchlich, sondern harmonisch, absolut sei. Auf dem Gebiet der Soziologie versuchten die „Anglo-Hegelianer" zu beweisen, daß es notwendig sei, einen mächtigen, zentralisierten Staat zu schaffen, dem die Interessen der einzelnen Bürger völlig untergeordnet sind.
In den skandinavischen Ländern nahm der Einfluß der Philosophie Hegels in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenfalls zu. Den Versuch, sie in Schweden zu erneuern, machte Johan Jacob Borelius, der den Hegelianismus der herrschenden subjektiv-idealistischen Philosophie (Christopher Jacob Boström, Sigurd Ribbing u. a.) entgegenstellte. In Norwegen wurde die Philosophie Hegels von den rechten Hegelianern Markus Jakob Monrad, Georg Wilhelm Ling u. a. im Sinne des Mystizismus ausgelegt, die sich über den Rationalismus der Hegeischen Philosophie hinwegsetzten und versuchten, die Wissenschaft der Religion unterzuordnen. Von denselben Positionen wurde die Hegeische Philosophie in Dänemark kritisiert, wo sie schon zu Lebzeiten Hegels verbreitet war.
Die Verbreitung der Hegeischen Philosophie führte nicht zu ihrer Wiedergeburt. Der widersprüchliche Charakter der Philosophie Hegels rief zwei einander entgegengesetzte Richtungen ihrer Kritik hervor: Marx und Engels, zum Teil auch die russischen revolutionären Demokraten, entwickelten die revolutionäre Seite der Hegeischen Philosophie, die Dialektik, weiter; die bürgerlichen Epigonen Hegels entwickelten (vor allem im Sinne des subjektiven Idealismus) verschiedene Seiten seines konservativen philosophischen Systems weiter. Diese zweite Richtung bereitete den Boden für die Entstehung des Neuhegelianismus Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, einer reaktionären Richtung des bürgerlichen philosophischen Denkens in der Epoche des Imperialismus, einer Richtung, die die Philo­sophie Hegels der faschistischen Ideologie anzupassen versuchte.

123
Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 276

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Pragmatismus - subjektiv-idealistische Richtung der bürgerlichen (hauptsächlich amerikanischen) Philosophie der Epoche des Imperialismus; er entstand Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts in den USA als eine Widerspiegelung der spezifischen Merkmale der Entwicklung des amerikanischen Kapitalismus und trat an die Stelle der damals herrschenden religiösen Philosophie. Die Hauptthesen des Pragmatismus wurden von Charles Peirce formuliert; zur selbständigen philosophischen Strömung wurde der Pragmatismus Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts in den Arbeiten von William James und Ferdinand Schiller; seine Weiterentwicklung fand er im Instrumentalismus John Deweys.
Die Pragmatisten halten die Frage der Erlangung wahren Wissens für das zentrale Problem der Philosophie, jedoch wird der eigentliche Begriff der Wahrheit von ihnen völlig entstellt. Schon Peirce hielt die Erkenntnis für einen rein psychologischen, subjektiven Prozeß auf der Grundlage des Glaubens. James ersetzte den Begriff der Wahrhaftigkeit, d. h. der objektiv richtigen Widerspiegelung der Wirklichkeit im Bewußtsein, durch den Begriff der „Nützlichkeit", des Erfolges, des Vorteils. Von seinem Standpunkt aus sind beliebige Begriffe, auch religiöse, wahr, soweit sie nützlich sind. Dewey ging noch weiter und bezeichnete alle wissenschaftlichen Theorien, alle moralischen Prinzipien und sozialen Einrichtungen lediglich als „Instru­mente" zur Erreichung des persönlichen Ziels eines Individuums. Für das Kriterium der „Wahrhaftigkeit" (Nützlichkeit) des Wissens halten die Pragmatisten die Erfahrung, die jedoch nicht als gesellschaftliche Praxis des Menschen aufgefaßt wird, sondern als ununterbrochener Strom individueller Erlebnisse, subjektiver Bewußtseinserscheinungen, diese Erfahrung ist für sie die einzige Realität, und die Begriffe Materie und Geist halten sie für „veraltet". Ebenso wie die Machisten wollen die Pragmatisten eine „dritte Linie" in der Philosophie schaffen, versuchen sie, sich über Materialismus und Idealismus zu stellen, verteidigen aber in Wirklichkeit eine Spielart des Idealismus. Dem materialistischen Monismus stellt der Pragmatismus den „Pluralismus" gegenüber, dem zufolge es im Weltall keinerlei inneren Zusammenhang, keinerlei Gesetzmäßigkeit gibt, sondern das Weltall einem Mosaikbild ähnelt, das jeder Mensch auf seine Art, aus seinen individuellen Erlebnissen zusammensetzt. Daher hält es der Pragmatismus für möglich, ausgehend von den Erfordernissen des jeweiligen Augenblicks, für ein und dasselbe Faktum unterschiedliche, ja sogar einander widersprechende Erklärungen zu geben; eine bestimmte Folgerichtigkeit wird für unnötig gehalten: wenn es für den Menschen von Vorteil ist, kann er Determinist oder In­determinist sein, kann er die Existenz eines Gottes anerkennen oder leugnen usw.
Gestützt auf die subjektiv-idealistische Tradition der englischen Philosophie von Berkeley und Hume bis zu John Stuart Mill und unter Ausnutzung einzelner Seiten der Lehren von Kant, Mach und Avenarius, Nietzsche und Henri Bergson schufen die amerikanischen Pragmatisten eine der reaktionärsten philosophischen Strömungen der Gegenwart, die sehr geeignet ist, die Interessen der imperialistischen Bourgeoisie theoretisch zu verteidigen. Gerade aus diesem Grunde fand der Pragmatismus in den USA sehr weite Verbreitung, wurde er fast zur offiziellen amerikanischen Philosophie. Anhänger des Pragmatismus gab es zu verschiedenen Zeiten in England, Italien, Deutschland, Frankreich, in der Tschechoslowakei und in anderen Ländern.

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„Sagranitschnaja Gaseta" („Gazette Étrangère") [Auslandszeitung] -
Wochenschrift einer Gruppe russischer Emigranten; erschien vom 16. März bis zum 13. April 1908 in Genf. Die vier Nummern, die in dieser Zeit herauskamen, enthielten vorwiegend Artikel über das Leben der russischen Emigranten sowie Materialien über Ereignisse in Rußland und im Ausland. In der zweiten Nummer wurde W. I. Lenins Rede „Die Lehren der Kommune", die er auf einer internationalen Kundgebung in Genf am 18. März 1908 gehalten hatte, veröffentlicht. In der Zeitung wurden auch das „Gottbildnertum" und der Machismus propagiert (Artikel von A. Bogdanow, A. W. Lunatscharski).
W. I. Lenin zitiert aus A. W. Lunatscharskis „Beiträgen zur modernen russischen Literatur", die in den Nummern 2 und 3 der „Sagranitschnaja Gaseta" erschienen waren.

126
„Obrasowanije" (Die Bildung) - legale literarische, populärwissenschaft­liche und sozialpolitische Monatsschrift, die von 1892 bis 1909 in Peters­burg erschien. In den Jahren 1902-1908 veröffentlichte die Zeitschrift Artikel von Sozialdemokraten. In Nr. 2, Jahrgang 1906, wurden die Kapitel V-1X von Lenins Arbeit „Die Agrarfrage und die »Marxkritiker " (siehe Werke, Bd. 5, S. 156-221) veröffentlicht.

127
Lenin meint zwei 1908 erschienene Bücher menschewistischer Machisten: N, Walentinow, „Die philosophischen Konstruktionen des Marxismus" und P. Juschkewitsch, „Materialismus und kritischer Realismus".

128
Das Manuskript „ Zusatz zu Abschnitt I des Kapitels IV. Von welcher Seite kritisierte N. G. Tschernyschewski den Kantianismus?" übersandte Lenin A. I. Uljanowa-Jelisarowa in der zweiten Märzhälfte, als sich das Buch bereits im Druck befand. In dem Brief an seine Schwester vom 10. oder 11. (23. oder 24.) März 1909 schrieb Lenin bezüglich dieses Zusatzes: „Ich schicke einen Zusatz mit. Es lohnt nicht, deswegen den Druck aufzuhalten. Aber wenn noch Zeit bleibt, so füge ihn ganz am Ende des Buches nach dem Schluß in besonderer Schrift, zum Beispiel in Petit, an. Ich halte es für äußerst wichtig, den Machisten Tschernyschewski entgegenzustellen." (Werke, Bd. 37, S. 358/359.)



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Datum der letzten Änderung : Jena, den: 16.02. 2018