5. A. Bogdanows „Empiriomonismus" | Inhalt | 7. Über zweierlei Kritik an Dühring
6. Die „ Theorie der Symbole" (oder Hieroglyphen) und die Kritik von Helmholtz
In Ergänzung dessen, was weiter oben über die Idealisten als Kampfgefährten und Nachfolger des Empiriokritizismus gesagt wurde, dürfte es angebracht sein, auf den Charakter der machistischen Kritik an einigen
in unserer Literatur angeschnittenen philosophischen Thesen hinzuweisen. So haben sich unsere Machisten, die Marxisten sein möchten, zum Beispiel mit besonderer Freude auf Plechanows „Hieroglyphen"89 gestürzt, d. h. auf die Theorie, nach der die Empfindungen und Vorstellungen des Menschen nicht Kopien der wirklichen Dinge und Naturvorgänge, nicht deren Abbilder sind, sondern konventionelle Zeichen, Symbole, Hieroglyphen usw. Basarow macht sich über diesen hieroglyphischen Materialismus lustig, und es ist zu bemerken, daß er recht hätte, wenn er diesen hieroglyphischen Materialismus zugunsten eines nichthieroglyphischen Materialismus ablehnte. Doch Basarow vollführt hier wiederum ein Taschenspielerkunststück, indem er unter der Flagge der Kritik des „Hieroglyphismus" seine Absage an den Materialismus durchschmuggelt. Engels spricht weder von Symbolen noch von Hieroglyphen, sondern von Kopien, Bildern, Abbildern, Spiegelbildern der Dinge. Anstatt das Fehlerhafte der Plechanowschen Abweichung von der Engelsschen Formulierung des Materialismus zu zeigen, verdeckt Basarow vor den Lesern die Engelssche Wahrheit durch den Fehler Plechanows.
Um sowohl den Fehler Plechanows als auch Basarows Konfusion aufzuhellen, wollen wir Helmholtz, einen bedeutenden Vertreter der „Theorie der Symbole" (mit der Ersetzung des Wortes Symbol durch das Wort Hieroglyphe wird an der Sache nichts geändert), nehmen und sehen, wie er von den Materialisten kritisiert wurde und wie von den Idealisten mitsamt den Machisten.
Helmholtz, eine der größten Kapazitäten in der Naturwissenschaft, war in der Philosophie, wie die große Mehrzahl der Naturforscher, inkonsequent. Er neigte zum Kantianismus, vertrat aber auch diesen Standpunkt in seiner Erkenntnistheorie nicht konsequent. Hier zum Beispiel aus seiner „Physiologischen Optik" Betrachtungen zum Thema der Übereinstimmung der Anschauungen und der Objekte: „Ich habe .. . die Sinnesempfindungen nur als Symbole für die Verhältnisse der Außenwelt bezeichnet und ihnen jede Art der Ähnlichkeit oder Gleichheit mit dem, was sie bezeichnen, abgesprochen." (S. 579 der franz. Übers., S. 442 des dtsch. Orig.) Das ist Agnostizismus; doch etwas weiter auf der gleichen Seite lesen wir: „Unsere Anschauungen und Vorstellungen sind Wirkungen, welche die angeschauten und vorgestellten Objekte auf unser Nervensystem und unser Bewußtsein hervorgebracht haben." Das ist Materialis-
mus. Nur stellt sich Helmholtz das Verhältnis zwischen absoluter und relativer Wahrheit nicht klar vor, wie aus seinen weiteren Betrachtungen zu ersehen ist. Etwas weiter unten sagt Helmholtz. zum Beispiel: „Ich meine daher, daß es gar keinen möglichen Sinn haben kann, von einer anderen Wahrheit unserer Vorstellungen zu sprechen, als von einer praktischen. Unsere Vorstellungen von den Dingen können gar nichts anderes sein als Symbole, natürlich gegebene Zeichen für die Dinge, welche wir zur Regelung unserer Bewegungen und Handlungen benutzen lernen. Wenn wir jene Symbole richtig zu lesen gelernt haben, so sind wir imstande, mit ihrer Hilfe unsere Handlungen so einzurichten, daß dieselben den gewünschten Erfolg haben ..." Das ist nicht richtig: Helmholtz gleitet hier zum Subjektivismus ab, zur Verneinung der objektiven Realität und der objektiven Wahrheit. Und er gelangt zu einer himmelschreienden Unwahrheit, wenn er den Absatz mit den Worten schließt: „Vorstellung und Vorgestelltes sind offenbar zwei ganz verschiedenen Welten angehörig ..." So reißen nur die Kantianer Vorstellung und Wirklichkeit, Bewußtsein und Natur auseinander. Doch etwas weiter unten lesen wir: „Was zunächst die Eigenschaften der Objekte der Außenwelt betrifft, so zeigt eine leichte Überlegung, daß alle Eigenschaften, die wir ihnen zuschreiben können, nur Wirkungen bezeichnen, welche sie entweder auf unsere Sinne oder auf andere Naturobjekte ausüben." (S. 581 franz.; S. 444 dtsch. Orig.,- ich übersetze nach der französischen Übersetzung.) Hier geht Helmholtz wieder auf den materialistischen Standpunkt über. Helmholtz war ein inkonsequenter Kantianer, der bald die apriorischen Denkgesetze anerkannte, bald zu der „transzendenten Realität" von Zeit und Raum (d. h. zur materialistischen Auffassung derselben) neigte, der einmal die menschlichen Empfindungen von der Wirkung der äußeren Gegenstände auf unsere Sinnesorgane ableitete, ein andermal die Empfindungen für bloße Symbole erklärte, d. h. für irgendwelche willkürlichen Zeichen, die von der „ganz verschiedenen" Welt der bezeichneten Dinge losgetrennt seien (vgl. Victor Heyfelder, „über den Begriff der Erfahrung bei Helmholtz", Berlin 1897).
In seiner Rede aus dem Jahre 1878 über „Die Tatsachen in der Wahrnehmung" („eine bemerkenswerte Kundgebung aus dem realistischen Lager", wie Leclair diese Rede bezeichnete) legt Helmholtz seine Auffassungen folgendermaßen dar: „Unsere Empfindungen sind eben Wir-
kungen, welche durch äußere Ursachen in unseren Organen hervorgebracht werden, und wie eine solche Wirkung sich äußert, hängt natürlich ganz wesentlich von der Art des Apparats ab, auf den gewirkt wird. Insofern die Qualität unserer Empfindung uns von der Eigentümlichkeit der äußeren Einwirkung, durch welche sie erregt ist, eine Nachricht gibt, kann sie als ein [Zeichen] derselben gelten, aber nicht als ein Abbild. Denn vom Bilde verlangt man irgendeine Art der Gleichheit mit dem abgebildeten Gegenstande . .. Ein Zeichen aber braucht gar keine Art der Ähnlichkeit mit dem zu haben, dessen Zeichen es ist." („Vorträge und Reden", 1884, S. 226 des zweiten Bandes.) Wenn die Empfindungen nicht Abbilder der Dinge, sondern nur Zeichen oder Symbole sind, die „gar keine Art der Ähnlichkeit" mit ihnen haben, dann wird der materialistische Ausgangspunkt von Helmholtz untergraben und die Existenz der äußeren Gegenstände einem gewissen Zweifel unterworfen, denn Zeichen oder Symbole sind auch in bezug auf eingebildete Gegenstände durchaus möglich, und jeder kennt Beispiele solcher Zeichen oder Symbole. Helmholtz stellt, Kant folgend, den Versuch an, so etwas wie eine prinzipielle Trennungslinie zwischen „Erscheinung" und „Ding an sich" zu ziehen. Gegen den direkten, klaren, offenen Materialismus hegt Helmhoitz ein unüberwindliches Vorurteil. Doch sagt er selbst etwas weiter: „Ich sehe nicht, wie man ein System selbst des extremsten subjektiven Idealismus widerlegen könnte, welches das Leben als Traum betrachten wollte. Man könnte es für so unwahrscheinlich, so unbefriedigend wie möglich erklären - ich würde in dieser Beziehung den härtesten Ausdrücken der Verwerfung zustimmen -, aber konsequent durchführbar wäre es ... Die realistische Hypothese dagegen traut der [Aussage] der gewöhnlichen Selbstbeobachtung, wonach die einer Handlung folgenden Veränderungen der Wahrnehmung gar keinen psychischen Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Willensimpuls haben. Sie sieht als unabhängig von unserem Vorstellen bestehend an, was sich in täglicher Wahrnehmung so zu bewähren scheint, die materielle Welt außer uns." (242/243.) „Unzweifelhaft ist die realistische Hypothese die einfachste, die wir bilden können, geprüft und bestätigt in außerordentlich weiten Kreisen der Anwendung, scharf definiert in allen Einzelbestimmungen und deshalb außerordentlich brauchbar und fruchtbar als Grundlage für das Handeln." (243.) Der Agnostizismus von Helmholtz ähnelt ebenfalls einem „verschämten Materialis-
mus" mit kantianischen Ausfällen zum Unterschied von den berkeleyanischen Ausfällen Huxleys.
Albrecht Rau, ein Anhänger Feuerbachs, kritisiert daher Helmhoitz* Theorie der Symbole entschieden als eine inkonsequente Abweichung vom „Realismus". Die Grundanschauung von Helmholtz, meint Rau, sei die realistische Annahme, nach der „wir vermittelst unserer Sinne die objektive Beschaffenheit der Dinge erfahren"*. Die Theorie der Symbole verträgt sich nicht mit einem solchen (wie wir gesehen haben, völlig materialistischen) Standpunkt, denn sie bringt ein gewisses Mißtrauen gegen die Sinnlichkeit, ein Mißtrauen gegen die Aussagen unserer Sinnesorgane mit sich. Gewiß kann ein Abbild dem Modell nie ganz gleich sein, doch ist ein Abbild etwas anderes als ein Symbol, ein konventionelles Zeichen. Das Abbild setzt die objektive Realität dessen, was „abgebildet" wird, notwendig und unvermeidlich voraus. Das „konventionelle Zeichen", das Symbol, die Hieroglyphe sind Begriffe, die ein absolut unnötiges Element des Agnostizismus mit sich bringen. Und darum hat A. Rau völlig recht, wenn er sagt, daß Helmholtz mit seiner Theorie der Symbole dem Kantianismus Tribut zollt. „Wäre Helmhoitz", sagt Rau, „seiner realistischen Auffassung getreu geblieben, hätte er den Grundsatz festgehalten, daß die Eigenschaften der Körper die Beziehungen der Dinge unter sich sowohl als zu uns ausdrücken, so hätte er die ganze Theorie offenbar gar nicht notwendig gehabt; er hätte dann, kurz und bündig ausgedrückt, sagen können: die Sensationen, welche die Dinge in uns bewirken, sind Abbilder vom Wesen dieser Dinge." (Ebenda, S. 320.)
So wird Helmholtz von einem Materialisten kritisiert. Dieser verwirft den hieroglyphischen oder symbolischen Materialismus oder Halbmaterialismus von Helmholtz im Namen des konsequenten Materialismus von Feuerbach.
Der Idealist Leclair (ein Vertreter der „Immanenzschule", von der Mach mit Kopf und Herz eingenommen ist) zeiht Helmholtz gleichfalls der Inkonsequenz, des Schwankens zwischen Materialismus und Spiritualismus („Der Realismus etc.", S. 154). Doch für Leclair ist die Theorie der Symbole nicht zu wenig, sondern zu sehr materialistisch. „Helmholtz meint", schreibt Leclair, „die Wahrnehmungen unseres Bewußtseins böten hinreichende Anhaltspunkte für die Erkenntnis der Zeitfolge, ferner der
* Albrecht Rau, „Empfinden und Denken", Gießen 1896, S. 304.
Gleichheit oder Verschiedenheit der transzendenten Ursachen. Dies reiche" (nach Helmholtz) „hin für die Annahme und Erkenntnis einer gesetzlichen Ordnung in der Transzendenz" (S. 33 - d. h. im Objektiv-Realen). Gegen dieses „dogmatische Vorurteil Helmholtz'" wettert nun Leclair: „Berkeleys Gott", ruft er aus, „als hypothetische Ursache des naturgesetzlidhen Ideenablaufes in unserem Geiste, ist mindestens ebensosehr geeignet, unser Kausalitätsbedürfnis zu befriedigen, als eine Welt von Außendingen." (34.) Eine „konsequente Durchführung der Symboltheorie" ... ist unmöglich „ohne einen ausgiebigen Zusatz von realismus vulgaris" (S. 35) - (d. h. Materialismus).
So wurde Helmholtz im Jahre 1879 von einem „kritischen Idealisten" wegen seines Materialismus verrissen. Zwanzig Jahre später widerlegte Kleinpeter, Schüler Machs und von diesem viel gelobt, in seinem Aufsatz „Über Ernst Machs und Heinrich Hertz' prinzipielle Auffassung der Physik"* mit Hilfe der „neuesten" Philosophie Machs den „veralteten" Helmholtz wie folgt. Lassen wir Hertz (der eigentlich ebenso inkonsequent war wie Helmholtz) vorläufig beiseite und wenden wir uns Kleinpeters Vergleich zwischen Mach und Helmholtz zu. Kleinpeter führt eine Reihe von Zitaten aus beiden Schriftstellern an und sagt nach besonderer Hervorhebung der bekannten Erklärungen Machs, daß die Körper Gedankensymbole für Empfindungskomplexe seien usw., folgendes:
„Folgen wir dem Gedankengange v. Helmhoitz, so stoßen wir auf folgende Grundannahmen:
1. Es gibt Gegenstände der Außenwelt.
2. Eine Veränderung derselben ist undenkbar ohne Einwirkung einer (real gedachten) Ursache.
3. Ursache ist seiner ursprünglichen Wortbedeutung nach das hinter dem Wechsel der Erscheinungen unveränderlich Bleibende oder Seiende, nämlich der Stoff und das Gesetz seines Wirkens, die Kraft.'"
(Zitat Kleinpeters aus Helmhoitz.)
„4. Es ist möglich, alle Erscheinungen aus den Ursachen logisch streng und eindeutig abzuleiten.
5. Die Erreichung dieses Zieles ist gleichbedeutend mit dem Besitze objektiver Wahrheit, deren [Erlangung] somit als denkbar erscheint." (163.)
* „Archiv für Philosophie"90, II, Systematische Philosophie, Band V, 1899, S. 163/164 bes.
Aufgebracht über diese Annahmen, über ihre Widersprüchlichkeit, über die Schaffung unlösbarer Probleme, bemerkt Kleinpeter, daß Helmholtz diese Auffassungen nicht streng durchhält, da er manchmal „Redewendungen gebraucht, die einigermaßen an die rein begriffliche Auffassung dieser Worte von selten Machs erinnern", wie Materie, Kraft, Ursache usw.
„Nun, es ist nicht schwer, die Quelle desselben" (des Unbefriedigtseins durch Helmholtz) „autzuspüren, wenn wir uns Machs so schöne und klare Worte vergegenwärtigen. Die falsche Auffassung der Worte Masse, Kraft etc. ist es, an der die ganze Ableitung von Helmholtz' krankt. Das sind ja nur Begriffe, Gebilde unserer Phantasie, aber keine außerhalb des Denkens existierenden Realitäten. Wir sind ja gar nicht imstande, so etwas zu erkennen. Aus den Beobachtungen unserer Sinne sind wir wegen ihrer Unvollständigkeit überhaupt nicht imstande, auch nur einen eindeutigen Rückschluß zu ziehen. Niemals können wir behaupten, daß wir z. B. [durch Ablesen einer Skala] eine bestimmte Zahl gewinnen, stets sind ihrer - zwischen bestimmten Grenzen - unendlich viele vorhanden, die gleich gut mit dem Tatbestand der Beobachtung übereinstimmen. Und gar etwas außer uns liegendes Reales zu erkennen - dazu fehlt uns jede Möglichkeit. Gesetzt aber den Fall, es wäre möglich und wir hätten Realitäten erkannt; dann dürften wir wieder nicht die Gesetze der Logik auf sie anwenden, die ja unsere Gesetze sind und nur auf unsere Begriffe, unsere" (Hervorhebungen überall von Kleinpeter) „Denkprodukte sich anwenden lassen. Zwischen Tatsachen gibt es keinen logischen Zusammenhang, sondern nur einfache Aufeinanderfolge; es sind da keine apodiktischen Urteile denkbar. Es ist also falsch, zu sagen, daß eine Tatsache die Ursache einer ändern ist, und damit fällt die ganze auf diesem Begriffe aufgebaute Deduktion von v. Helmholtz. Unmöglich ist schließlich die Erreichung einer objektiven, d. h. unabhängig von jedem Subjekt bestehenden Wahrheit, nicht allein wegen der Beschaffenheit unserer Sinne, sondern weil [wir als Menschen] überhaupt niemals eine Ahnung davon erhalten können, was ganz unabhängig von uns existiert." (164.)
Wie der Leser sieht, verwirft unser Machschüler, indem er die Lieblingsausdrücke seines Meisters sowie des sich nicht als Machisten bekennenden Bogdanow wiederholt, die ganze Helmholtzsche Philosophie in Bausch und Bogen, verwirft sie vom idealistischen Standpunkt aus. Die Theorie der Symbole wird von dem Idealisten, der sie für eine unwichtige
und vielleicht zufällige Abweichung vom Materialismus hält, nicht einmal besonders hervorgehoben. Helmholtz aber wird von Kleinpeter als ein Vertreter der „in der Physik allgemein üblichen Anschauungsweise" angesehen, „an die sich noch heute ein großer Teil des physikalischen Publikums hält" (S.160).
Wir gelangen zu dem Ergebnis, daß Plechanow bei der Darstellung des Materialismus zwar einen offenkundigen Fehler gemacht, daß aber Basarow die Sache gänzlich verwirrt hat, indem er Materialismus und Idealismus in einen Topf warf und der „Theorie der Symbole" oder dem „hieroglyphischen Materialismus" den idealistischen Unsinn gegenüberstellte, daß „die Sinnesvorstellung eben die außer uns existierende Wirklichkeit" sei. Von dem Kantianer Helmholtz ebenso wie von Kant selbst gingen die Materialisten nach links, die Machisten nach rechts.
Datum der letzten Änderung : Jena, den: 25.01.2013