<
 

STATT EINER EINLEITUNG | Inhalt | 2. Die Entdeckung der Weltelemente

31

KAPITEL I
DIE ERKENNTNISTHEORIE
DES EMPIRIOKRITIZISMUS
UND DES DIALEKTISCHEN MATERIALISMUS I

1. Empfindungen und Empfindungsomnplexe

Mach und Avenarius haben die wichtigsten Sätze ihrer Erkenntnistheorie in ihren ersten philosophischen Werken freimütig, einfach und klar dargestellt. Diesen Werken wollen wir uns nun auch zuwenden und behalten uns die Analyse der von diesen Schriftstellern in der Folge vorgenommenen Korrekturen und Streichungen für die weitere Darstellung vor.

"Die Aufgabe der Wissenschaft", schrieb Mach im Jahre 1872, "kann es nun sein: l. Die Gesetze des Zusammenhanges der Vorstellungen zu ermitteln. (Psychologie.) 2. Die Gesetze des Zusammenhanges der Empfindungen (Wahrnehmungen) aufzufinden. (Physik.) 3. Die Gesetze des Zusammenhanges der Empfindungen und Vorstellungen klarzustellen. (Psychophysik.)"* Das ist ganz klar.

Gegenstand der Physik sei also der Zusammenhang der Empfindungen, nicht aber der Zusammenhang der Dinge oder Körper, deren Abbild unsere Empfindungen sind. Im Jahre 1883 wiederholt Mach in seiner "Mechanik" den gleichen Gedanken: "Die Empfindungen sind auch keine ,Symbole der Dinge'. Vielmehr ist das ,Ding' ein Gedankensymbol für

Trenner

* E. Mach, "Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit". Vertrag, gehalten in der K. Böhm. Gesellschaft der Wissenschaften am 15. Nov. 1871, Prag 1872, S. 57/58.

32

einen Empfindungskomplex von relativer Stabilität. Nicht die Dinge (Körper), sondern Farben, Töne, Drucke, Räume, Zeiten (was wir gewöhnlich Empfindungen nennen) sind eigentliche Elemente der Welt."*

Auf dieses Wörtchen "Elemente", das Produkt zwölfjährigen "Nachdenkens", werden wir später noch zurückkommen. Jetzt müssen wir nur feststellen, daß Mach hier offen erklärt, daß die Dinge oder Körper Empfindungskomplexe seien und daß er seine philosophische Auffassung ganz klar der entgegengesetzten Theorie gegenüberstellt, nach der die Empfindungen "Symbole" der Dinge (richtiger müßte es heißen: Bilder oder Abbilder der Dinge) seien. Diese letztere Theorie ist der philosophische 'Materialismus. Der Materialist Friedrich Engels z.B., der nicht unbekannte Mitarbeiter von Marx und Mitbegründer des Marxismus, spricht in seinen Werken ständig und ausschließlich von den Dingen und ihren Gedankenabbildern, wobei es selbstverständlich ist, daß diese Gedankenabbilder nicht anders als aus den Empfindungen entstehen. Man sollte meinen, daß diese Grundauffassung der "Philosophie des Marxismus" jedem, der über diese Philosophie spricht, bekannt sein müßte, besonders aber Jedem, der im Namen dieser Philosophie mit Publikationen hervortritt. Doch sind wir infolge der außerordentlichen Verwirrung, die unsere Machisten angerichtet haben, gezwungen, allgemein Bekanntes zu wiederholen. Schlagen wir den ersten Paragraphen des "Anti-Dühring" nach und lesen wir: "... Dinge und ihre Gedankenabbilder .."**, oder den ersten Teil des philosophischen Abschnitts: "Aber woher nimmt das Denken diese Grundsätze?" (Es ist von den Grundsätzen jeder Erkenntnis die Rede.) "Aus sich selbst? Nein ... Die Formen des Seins ... kann das Denken niemals aus sich selbst, sondern eben nur aus der Außenwelt schöpfen und ableiten ... die Prinzipien sind nicht der Ausgangspunkt der Untersuchung" (wie es sich bei Dühring ergibt, der ein Materialist sein möchte, aber den Materialismus nicht konsequent einzuhalten versteht), "sondern ihr Endergebnis; sie werden nicht auf Natur und Menschengeschichte angewandt, sondem aus ihnen abstrahiert - nicht die Natur und das Reich des Menschen richten sich nach den Prinzipien, sondern die Prinzipien sind nur insoweit

Trenner

* E. Mach, "Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt", 3. Auflage, Leipzig 1897, S. 473.

** Friedrich Engels, "Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft", 5. Auflage, Stuttgart 1904, S. 6.

33

richtig, als sie mit Natur und Geschichte stimmen. Das ist die einzige materialistische Auffassung der Sache, und die entgegenstehende des Herrn Dühring ist idealistisch, stellt die Sache vollständig auf den Kopf und konstruiert die wirkliche Welt aus dem Gedanken..." (Ebenda, S. 2l.)23 Und diese "einzige materialistische Auffassung" hält Engels, wie gesagt, überall und ohne Ausnahme ein, wobei er Dühring für die geringfügigste Abweichung vom Materialismus zum Idealismus schonungslos zur Rechenschaft zieht. Jeder, der den "Anti-Dühring" und den "Ludwig Feuerbach" ein klein wenig aufmerksam liest, wird auf Dutzende von Beispielen stoßen, wo Engels von den Dingen und ihren Abbildern im menschlichen Kopf, in unserem Bewußtsein, Denken usw. spricht. Engels sagt nicht, daß die Empfindungen oder Vorstellungen "Symbole" der Dinge seien, denn der konsequente Materialismus muß hier "Abbilder", Bilder oder Abspiegelung statt "Symbol" setzen, wie wir das an geeigneter Stelle ausführlich zeigen werden. Aber hier handelt es sich einstweilen nicht um die eine oder andere Formulierung des Materialismus, sondern um den Gegensatz von Materialismus und Idealismus, um den Unterschied der beiden philosophischen Grundlinien. Sollen wir von den Dingen aus zur Empfindung und zum Gedanken gehen? Oder vom Gedanken und von der Empfindung zu den Dingen? An die erste, d. h. die materialistische Linie, hält sich Engels. An die zweite, d. h. die idealistische Linie, hält sich Mach. Keine Ausflüchte, keine Sophismen (und wir werden noch einer Unmenge solcher begegnen) können die klare und unbestreitbare Tatsache aus der Welt schaffen, daß die Lehre Ernst Machs von den Dingen als Empfindungskomplexen subjektiver Idealismus, einfaches Wiederkäuen des Berkeleyanismus ist. Wenn die Körper "Empfindungskomplexe" sind, wie Mach sich ausdrückt, oder "Verbindungen von Empfindungen", wie Berkeley sich ausgedrückt hat, so folgt hieraus mit Notwendigkeit, daß die ganze Welt nur meine Vorstellung ist. Von dieser Annahme ausgehend, ist es unmöglich, zu der Existenz anderer Menschen außer sich selbst zu gelangen: das ist reinster Solipsismus. Mögen Mach, Avenarius, Petzoldt und Co. diesen Solipsismus noch so sehr verleugnen, sie können ihn tatsächlich nicht abstreifen, ohne zu himmelschreienden logischen Absurditäten zu gelangen. Um dieses Grundelement der Philosophie des Machismus noch anschaulicher klarzustellen, werden wir einige ergänzende Zitate aus Machs Werken anführen. Hier ein Muster aus der "Analyse der Emp-

34

findungen" (russische Übersetzung von Kotljar, Verl. Skirmunt, Moskau 1907):

"Wir sehen einen Körper mit einer Spitze S. Wenn wir S berühren, zu unserm Leib in Beziehung bringen, erhalten wir einen Stich. Wir können S sehen, ohne den Stich zu fühlen. Sobald wir aber den Stich fühlen, werden wir S an der Haut finden. Es ist also die sichtbare Spitze ein bleiben der Kern, an den sich der Stich nach Umständen wie etwas Zufälliges anschließt. Bei der Häufigkeit analoger Vorkommnisse gewöhnt man sich endlich, alle Eigenschaften der Körper als von bleibenden Kernen ausgehende, durch Vermittlung des Leibes dem Ich beigebrachte ,Wirkungen', die wir ,Empfindungen' nennen, anzusehen..." (S. 20.)24

Mit anderen Worten, die Menschen "gewöhnen sich", auf dem materialistischen Standpunkt zu stehen, die Empfindungen für das Resultat der Wirkung der Körper, der Dinge, der Natur auf unsere Sinnesorgane zu halten. Diese für die philosophischen Idealisten schädliche "Gewohnheit" (die sich die ganze Menschheit und die gesamte Naturwissenschaft angeeignet hat!) mißfällt Mach sehr, und er unternimmt es, sie zu zerstören:

"... Hiermit verlieren aber diese Kerne den ganzen sinnlichen Inhalt, werden zu bloßen Gedankensymbolen ..."

Die alte Leier, verehrtester Herr Professor! Es ist eine buchstäbliche Wiederholung Berkeleys, der behauptete, daß die Materie ein bloßes abstraktes Symbol sei. Bloß läuft aber in Wirklichkeit nur Ernst Mach herum, denn wenn er nicht zugibt, daß die objektive, unabhängig von uns existierende Realität den "sinnlichen Inhalt" ausmacht, so bleibt ihm nur ein "bloßes abstraktes" Ich übrig, ein unbedingt groß geschriebenes und kursiv gedrucktes ICH, = "das taumelnde Spinett, das dachte, es sei das einzige, so auf der Welt vorhanden sei". Wenn der "sinnliche Inhalt" unserer Empfindungen nicht die Außenwelt ist, so existiert also nichts außer diesem bloßen Ich, das sich mit eitlen "philosophischen" Schrullen beschäftigt. Eine törichte und fruchtlose Beschäftigung!

"... Es ist dann richtig, daß die Welt nur aus unsern Empfindungen besteht. Wir wissen aber dann eben nur von den Empfindungen, und die Annahme jener Kerne sowie einer Wechselwirkung derselben, aus welcher erst die Empfindungen hervorgehoben würden, erweist sich als gänzlich müßig und überflüssig. Nur dem halben Realismus oder dem halben Kritizismus kann eine solche Ansicht zusagen."

35

Wir haben nun den ganzen Paragraphen 6 der "Antimetaphysischen Vorbemerkungen" Machs angeführt. Es ist ein einziges Plagiat an Berkeley. Keine einzige Erwägung, kein einziger Einfall, außer daß "wir nur unsere Empfindungen empfinden". Daraus aber läßt sich nur eine Folgerung ziehen, nämlich, daß "die Welt nur aus meinen Empfindungen besteht". Mach ersetzt das Wort "meine" unberechtigterweise durch das Wort "unsere". Er zeigt durch dieses eine Wort schon dieselbe "Halbheit", deren er die anderen beschuldigt. Denn wenn die "Annahme" der Außenwelt "müßig" ist, wenn die Annahme, daß die Nadel unabhängig von mir existiert und daß zwischen meinem Leib und der Nadelspitze eine Wechselwirkung besteht, wenn diese ganze Annahme wirklich "müßig und überflüssig" ist, so ist auch vor allem die "Annahme" der Existenz anderer Menschen müßig und überflüssig. Nur Ich existiere, alle anderen Menschen sowie die Außenwelt aber fallen unter die Kategorie der müßigen "Kerne". Von "unseren" Empfindungen darf man von diesem Standpunkt aus nicht sprechen, und wenn Mach doch von ihnen spricht, so bezeugt das nur seine offenkundige Halbheit. Das beweist nur, daß seine Philosophie aus müßigen und leeren Worten besteht, an die selbst ihr Verfasser nicht glaubt.

Nachstehend ein besonders anschauliches Beispiel der Halbheit und Konfusion bei Mach. In derselben "Analyse der Empfindungen" lesen wir in § 6 des XI. Kapitels: "Denke ich mir, daß, während ich empfinde, ich selbst oder ein anderer mein Gehirn mit allen physikalischen und chemischen Mitteln beobachten könnte, so würde es möglich sein, zu ermitteln, an welche Vorgänge des Organismus Empfindungen von bestimmter Art gebunden sind ..." (S. 197 [198].)

Ausgezeichnet! Also sind unsere Empfindungen an bestimmte Vorgänge im Organismus überhaupt und in unserem Gehirn insbesondere gebunden? Ja, Mach macht diese "Annahme" ganz unzweideutig - es wäre auch recht schwierig, dies vom Standpunkt der Naturwissenschaft aus nicht zu tun. Aber mit Verlaub, das ist doch dieselbe "Annahme" eben jener "Kerne sowie einer Wechselwirkung derselben", die unser Philosoph für überflüssig und müßig erklärt hat! Die Körper, sagt man uns, seien Empfindungskomplexe; darüber hinauszugehen, versichert uns Mach, die Empfindungen für das Resultat der Wirkung der Körper auf unsere Sinnesorgane zu halten, sei Metaphysik, eine müßige, überflüssige Annahme

36

usw. - ganz nach Berkeley. Das Gehirn ist aber ein Körper. Also ist das Gehirn auch nicht mehr als ein Empßndungskomplex. So ergibt sich, daß ich (ich bin aber auch nichts anderes als ein Empfindüngskomplex) mittels eines Empfindungskomplexes andere Empfindungskomplexe empfinde. Eine entzückende Philosophie! Zuerst erklärt man die Empfindungen für "eigentliche Elemente der Welt" und baut darauf einen "originellen" Berkeleyanismus auf, dann aber schmuggelt man heimlich die entgegengesetzten Ansichten ein, daß die Empfindungen an bestimmte Vorgänge im Organismus gebunden sind. Stehen aber diese "Vorgänge" nicht in Beziehung zum Stoffwechsel zwischen dem "Organismus" und der Außenwelt? Könnte dieser Stoffwechsel stattfinden, wenn die Empfindungen des gegebenen Organismus diesem keine objektiv richtige Vorstellung von dieser Außenwelt gäben?

Mach stellt sich keine so unbequemen Fragen. Er verbindet mechanisch Bruchstücke des Berkeleyanismus mit den Auffassungen der Naturwissenschaft, die spontan auf dem Standpunkt der materialistischen Erkenntnistheorie steht... "Zuweilen wird auch gefragt", schreibt Mach in demselben Paragraphen, "ob die (unorganische) ,Materie' empfindet..." Daß die organisdie Materie empfindet, wird also nicht einmal in Frage gestellt? Die Empfindungen sind also nicht etwas Primäres, sondern eine der Eigenschaften der Materie? Mach hüpft über alle Ungereimtheiten des Berkeleyanismus hinweg!... "Wenn man von den geläufigen, verbreiteten physikalischen Vorstellungen ausgeht", schreibt Mach, "nach welchen die Materie das unmittelbar und zweifellos gegebene .Reale ist, "aus welcher sich alles, Unorganisches und Organisches, aufbaut, so ist die Frage natürlich ..." Merken wir uns recht wohl dieses wirklich wertvolle Eingeständnis von Mach, daß nach den geläufigen und verbreiteten pbysikalischen Vorstellungen die Materie für die unmittelbare Realität gehalten wird, wobei nur eine Unterart dieser Realität (die organische Materie) die klar ausgeprägte Eigenschaft des Empfindens besitzt... "Die Empfindung muß ja dann", fährt Mach fort, "in diesem Bau irgendwie plötzlich entstehen oder von vornherein in den Grundsteinen vorhanden sein. Auf unserm Standpunkt ist die Frage eine Verkehrtheit. Die Materie ist für uns nicht das erste Gegebene. Dies sind vielmehr die Elemente (die in gewisser bekannter Beziehung als Empfindungen bezeichnet werden) ..."

Die Empfindungen sollen also das ursprünglich Gegebene sein, obzwar

37

sie nur an bestimmte Vorgänge in der organischen Materie "gebunden" sind! Und Mach, der einen solchen Unsinn vorbringt, möchte dem Materialismus ("den geläufigen, verbreiteten physikalischen Vorstellungen") einen Vorwurf daraus machen, daß die Frage, woher die Empfindung "entsteht", ungelöst ist. Dies ist ein Musterbeispiel dafür, wie der Materialismus von den Fideisten und ihrer Gefolgschaft "widerlegt" wird. Gibt es denn irgendeinen anderen philosophischen Standpunkt, der eine Frage "löst", bevor man für diese Lösung genügend Material gesammelt hat? Sagt Mach selbst nicht in demselben Paragraphen: "Solange diese Aufgabe" (zu entscheiden, "wie weit die Empfindung in der organischen Welt reicht") "auch nicht in einem einzigen Spezialfall gelöst ist, kann hierüber nicht entschieden werden"?

Der Unterschied zwischen Materialismus und "Machismus" besteht also in dieser Frage in folgendem. Der Materialismus betrachtet in vollem Einklang mit der Naturwissenschaft als das ursprünglich Gegebene die Materie, als das Sekundäre - Bewußtsein, Denken, Empfindung; denn die Empfindung ist in klar ausgeprägter Form nur mit den höchsten Formen der Materie (der organischen Materie) verbunden, und in den "Grundsteinen des Gebäudes der Materie" kann man nur die Existenz einer Fähigkeit, die der Empfindung ähnlich ist, annehmen. Dies ist zum Beispiel die Hypothese des bekannten deutschen Naturforschers Ernst Haeckel, des englischen Biologen Lloyd Morgan u. a. - ganz abgesehen von der oben zitierten Vermutung Diderots. Der Machismus steht auf dem entgegengesetzten, idealistischen Standpunkt und führt sofort zu einer Absurdität, denn erstens wird von ihm die Empfindung für das Primäre gehalten, obgleich sie nur an bestimmte Vorgänge in der auf bestimmte Weise organisierten Materie gebunden ist; zweitens aber wird die Grundthese, daß nämlich die Körper Empfindungskomplexe seien, durch die Voraussetzung der Existenz anderer lebender Wesen und überhaupt anderer "Komplexe", außer dem gegebenen großen Ich, verletzt.

Das Wörtchen "Element", das von vielen naiven Leuten (wie wir später sehen werden) für etwas Neues, für eine Entdeckung gehalten wird, verwirrt die Frage in Wirklichkeit nur durch einen nichtssagenden Terminus und erzeugt den falschen Schein irgendeiner Lösung oder eines Fortschritts. Dieser Schein trügt, denn in Wirklichkeit bleibt noch eingehend zu untersuchen, wie die angeblich überhaupt nicht empfindende Materie sich

38

mit einer Materie verbindet, die aus den gleichen Atomen (oder Elektronen) zusammengesetzt ist, zugleich aber eine klar ausgeprägte Fähigkeit des Empfindens besitzt. Der Materialismus stellt klar die noch nicht gelöste Frage, wodurch er auf ihre Lösung und auf weitere Experimentalforschungen hindrängt. Der Machismus, d. h. eine Abart des konfusen Idealismus, verwirrt die Frage und lenkt durch einen bloßen sprachlichen Kunstgriff, das Wort "Element", vom richtigen Wege ab.

Hier eine Stelle aus dem letzten, zusammenfassenden und abschließenden philosophischen Werk Machs, die die ganze Verkehrtheit dieses idealistischen Kniffs aufzeigt. In "Erkenntnis und Irrtum" lesen wir: "Während es keiner Schwierigkeit unterliegt, jedes physisdie Erlebnis aus Empfindungen, also psyd)isd)en Elementen [aufzubauen], [ist keine Möglichkeit abzusehen], wie man aus den in der heutigen Physik gebräuchlichen Elementen: Massen und Bewegungen (in ihrer für diese Spezialwissen- schaft allein dienlichen [Starrheit]) irgendein psychisches Erlebnis [darstellen] könnte."*

Von der Starrheit der Begriffe bei vielen modernen Naturforschem, von ihren metaphysischen (im marxistischen Sinne des Wortes, d. h. antidialektischen) Ansichten spricht Engels wiederholt mit größter Eindeutigkeit. Wir werden weiterhin sehen, daß Mach gerade hierüber gestolpert ist, da er nicht begriffen hatte oder nicht wußte, wie sich Relativismus und Dialektik zueinander verhalten. Doch ist jetzt nicht davon die Rede. Für uns ist wichtig, hier festzustellen, wie offenkundig, ungeachtet der konfusen, angeblich neuen Terminologie, Machs Idealismus in Erscheinung tritt. Es unterliege keiner Schwierigkeit, jedes physische Erlebnis aus Empfindungen, also psychischen Elementen aufzubauen! 0 gewiß, schwierig sind solche Konstruktionen natürlich nicht, denn es sind ja nur reine Wortkonstruktionen, leere Scholastik zu dem Zweck, den Fideismus einzuschmuggeln. Es ist nach alledem nicht zu verwundern, daß Mach seine Werke den Immanenzphilosophen widmet, daß die Immanenzphilosophen, d. h. die Anhänger des reaktionärsten philosophischen Idealismus, Mach um den Hals fallen. Nur daß sich der "neueste Positivismus" von Ernst Mach um zwei Jahrhunderte verspätet hat: Berkeley schon hat zur Genüge gezeigt, daß man "aus Empfindungen, also psychischen Elementen" nichts anderes "aufbauen" kann als den Solipsismus. Was den Materialismus be-

Trenner

* E. Mach, "Erkenntnis und Irrtum", 1. Auflage, 1906, S. 12, Anmerkung.

39

trifft, dem Mach auch hier, ohne den "Feind" offen und klar zu nennen, seine Auffassungen entgegenstellt, so haben wir die wirklichen Auffassungen der Materialisten schon an dem Beispiel Diderots gesehen. Diese Auffassungen bestehen nicht darin, daß man die Empfindung aus der Bewegung der Materie ableitet oder auf die Bewegung der Materie reduziert, sondern vielmehr darin, daß man die Empfindung als eine der Eigenschaften der sich bewegenden Materie betrachtet. Engels stand in dieser Frage auf dem Standpunkt Diderots. Er grenzte sich von den "vulgären" Materialisten Vogt, Büchner und Moleschott unter anderem gerade deswegen ab, weil sie sich zu der Ansicht verirrten, daß unser Gehirn die Gedanken ebenso absondere wie die Leber die Galle. Doch ignoriert Mach, der seine Ansichten beständig dem Materialismus entgegensetzt, selbstverständlich alle großen Materialisten, sowohl Diderot als auch Feuerbach und Marx und Engels, genauso, wie es alle übrigen offiziellen Professoren der offiziellen Philosophie tun.

Um die ursprüngliche und grundlegende Ansicht von Avenarius zu charakterisieren, nehmen wir seine erste selbständige, 1876 erschienene philosophische Arbeit "Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes" ("Prolegomena zu einer Kritik der reinen Erfahrung"). Bogdanow sagt in seinem "Empiriomonismus" (Buch I, 2. Aufl., 1905, S. 9, Anmerkung), daß "in der Entwicklung der Machschen Ansichten der philosophische Idealismus als Ausgangspunkt diente, während für Avenarius von Anfang an die realistische Färbung ghrakteristisch ist". Dies sagte Bogdanow deshalb, weil er Mach aufs Wort glaubte: siehe "Analyse der Empfindungen", russische Übersetzung, S. 288 [S. 295]. Er hat aber Mach zu Unrecht Glauben geschenkt, und seine Behauptung ist der Wahrheit diametral entgegengesetzt. Im Gegenteil, der Idealismus von Avenarius tritt in der genannten Arbeit aus dem Jahre 1876 so klar in Erscheinung, daß Avenarius selbst 1891 gezwungen war, dies einzugestehen. Im Vorwort zum "Menschlichen Weltbegriff" sagt Avenarius: "Der Leser meiner ersten systematischen Schrift ,Philosophie usw.' wird von vornherein vermuten, daß ich die Behandlung der Aufgaben einer ,Kritik der reinen Erfahrung' zuerst vom ,idealistischen' Standpunkte aus versucht haben werde" ("Der mensAliAe Weltbegriff", 1891, Vorwort, S. IX), aber "die Unfruchtbarkeit des philosophisAen Idealismus" braAte miA "zum Zweifel an der RiAtigkeit meines bis-

40

herigen Weges" (S. X). In der philosophischen Literatur ist dieser idealistische Ausgangspunkt von Avenarius allgemein bekannt; ich berufe mich unter den französischen Schriftstellern auf Cauwelaert, der sagt, daß der philosophische Gesichtspunkt der "Prolegomena" von Avenarius ein "monistischer Idealismus" sei.* Von deutschen Schriftstellern nenne ich den Schüler von Avenarius, Rudolf Willy, der meint, daß "Avenarius in seiner Jugend - und insbesondere noch in seiner Präliminarschrift (,Das kleinste Kraftmaß')" (1876) "- [ganz im Banne] des sogenannten erkenntnistheoretischen Idealismus war"**.

Es wäre auch lächerlich, den Idealismus in den "Prolegomena" von Avenarius zu leugnen, denn dort sagt er direkt, daß "nur die Empfindung ' als das Seiende gedacht werden darf" (S. 10 und 65 der zweiten deutschen Auflage; sämtliche Hervorhebungen in den Zitaten von uns). So gibt Avenarius selbst den Inhalt des § 116 seiner Arbeit wieder. Hier der ganze Paragraph: "[Das Seiende] war anerkannt worden als mit Empfindung begabte Substanz; die Substanz fällt weg..." (es ist ja auch "ökonomischer", es beansprucht ein "kleineres Kraftmaß", zu denken, daß es keine "Substanz" und keine Außenwelt gibt!), "... es bleibt die Empfindung: das Seiende wird demnach als Empfindung zu denken sein, welcher [nichts Empfindungsloses] mehr zugrunde liegt."

Also existiert die Empfindung ohne "Substanz", d. h., der Gedanke existiert ohne Gehirn! Gibt es nun wahrhaftig Philosophen, die imstande sind, diese hirnlose Philosophie zu verteidigen? Es gibt sie. Zu ihnen gehört auch Professor Richard Avenarius. Und bei dieser Verteidigung, so schwer es einem Menschen mit gesunden Sinnen auch fallen mag, sie ernst zu nehmen, müssen wir uns etwas aufhalten. Hier Avenarius' Betrachtung in § 89 und § 90 desselben Werkes:

"... So beruht auch der Satz, daß Bewegung Empfindung hervorrufe, auf einer nur scheinbaren Erfahrung. Diese, die Wahrnehmung als Akt umfassend, bestände darin, daß in einer gewissen Art Substanz (dem Hirn) durch übertragene Bewegung (die Reize) und unter Mitwirkung anderer materieller Bedingungen (z. B. des Blutes) Empfindung erzeugt

Trenner

* 7. van Cauwelaert, "L'empirio-criticisme" in "Revue Neo-Scolastique"25, 1907, Februar, S.51.

** Rudolf Willy, "Gegen die Schulweisheit. Eine Kritik der Philosophie", München 1905, S. 170.

41

werde. Allein - abgesehen davon, daß diese Erzeugung niemals ^selbstj erfahren worden ist - es würde zur Konstituierung der angegebenen Erfahrung, als einer in allen ihren Teilen wirklich vorliegenden, wenigstens der empirische Nachweis erforderlich sein, daß die Empfindung, welche durch eine übertragene Bewegung in einer Substanz hervorgerufen sein soll, auch nicht schon vorher in dieser irgendwie vorhanden war; so daß ihr Auftreten nicht anders denn durch einen Schöpfungsakt seitens der eingetretenen Bewegung aufgefaßt werden kann. Nur durch den Nachweis also, daß irgendwo keine Empfindung, etwa als minimale, vorhanden war, wo jetzt solche angetroffen ist, würde eine Tatsache sichergestellt sein, welche, insofern sie einen Schöpfungsakt bedeutet, aller sonstigen Erfahrung widerspricht und alle sonstige ^Naturanschauungj fundamental abändern würde. Jener Nachweis ist jedoch durch keine Erfahrung er- bracht und durch keine Erfahrung erbringbar; vielmehr ist der absolut empfindungsentbehrende Zustand der später empfindenden Substanz nur hypothetisch. Diese Hypothese aber kompliziert und verdunkelt unsere Einsicht, statt sie zu vereinfachen und aufzuhellen.

Hat sich somit die sogenannte Erfahrung, es entstände durch übertragene Bewegung in der alsdann empfindenden Substanz die Empfindung, bei näherem Zusehen als eine nur scheinbare erwiesen, so bliebe doch immer noch in dem restierenden Erfahrungsinhalt, daß nämlich zwar vorhandene, aber latente oder minimale oder sonstwie dem Bewußtsein entzogene Empfindung durch hinzutretende Bewegung befreit oder gesteigert oder bewußt werde, Erfahrungsmaterial genug, ein mindestens relatives Hervorgehen einer Empfindungsbestimmung aus Bewegungsverhältnissen zu konstatieren. Allein auch dieses Stück des restierenden Erfahrungsinhaltes ist nur scheinbar vorhanden. Verfolgen wir durch eine ideale Beobachtung die von der bewegten Substanz A ausgehende, sich über die Reihe der dazwischenliegenden Medien fortpflanzende Bewegung, bis sie die mit Empfindung begabte Substanz B erreicht hat, so finden wir bestenfalles nur, daß gleichzeitig mit der Aufnahme der anlangenden Bewegung die Empfindung in der Substanz B entwickelt oder gesteigert ist - nicht aber, daß dies durd) die Bewegung geschehen sei..."

Wir haben absichtlich diese Widerlegung des Materialismus durch Avenarius ganz wiedergegeben, um dem Leser zu zeigen, mit welch wahrhaft armseligen Sophismen die "neueste" empiriokritische Philosophie zu

42

operieren pflegt. Stellen wir jetzt der Betrachtung des Idealisten Avenarius die materialistische Betrachtung ... Bogdanows gegenüber, sei es auch nur zur Strafe für seinen Verrat am Materialismus!

In längst vergangenen Zeiten, vor vollen neun Jahren, als Bogdanow halb "naturhistorischer Materialist" (d. h. Anhänger der materialistischen Erkenntnistheorie, auf deren Boden die überwiegende Mehrheit der modernen Naturforscher spontan steht) war und erst halb von dem Wirrkopf Ostwald konfus gemacht worden war, schrieb er: "Seit alten Zeiten und noch heute hält man in der beschreibenden Psychologie an der Einteilung der Bewußtseinstatsachen in drei Gruppen fest: das Gebiet der Empfindungen und Vorstellungen, das Gebiet des Gefühls und das Gebiet der Triebe ... Zu der ersten Gruppe gehören die isoliert betrachteten Bewußtseinsbilder der Erscheinungen der Außen- und Innenwelt... Solch ein Bild wird als .Empfindung' bezeichnet, wenn es vermittels der äußeren Sinnesorgane durch eine ihm entsprechende äußere Erscheinung unmittelbar erzeugt wird."* Etwas weiter heißt es: "Die Empfindung... entsteht im Bewußtsein als Resultat irgendeines Reizes aus der äußeren Umgebung, der von den äußeren Sinnesorganen übertragen wird." (222.) Oder ferner: "Die Empfindungen bilden die Grundlage des Bewußtseinslebens, dessen unmittelbare Verbindung mit der Außenwelt." (240.) "Auf Schritt und Tritt findet im Prozesse der Empfindung der Übergang der Energie des äußeren Reizes in eine Bewußtseinstatsache statt." (133.) Und sogar 1905, als Bogdanow es fertig bekam, unter wohlwollendem Beistand von Ostwald und Mach, von dem materialistischen Standpunkt in der Philosophie zum idealistischen überzugehen, schrieb er (aus Vergeßlichkeit!) in seinem "Empiriomonismus": "Wie bekannt, erreicht die Energie eines äußeren Reizes, die im Endapparat eines Nervs in eine noch ungenügend erforschte, doch jeglichem Mystizismus fremde ,telegrafische' Form des Nervenstroms umgewandelt wird, zuerst die Neuronen, die in den sogenannten 'niederen', d. h. in den gangliösen, spinalmedullären, subkortikalen Zentren liegen." (Buch I, 2. Aufl., 1905, S. 118.)

Für jeden Naturforscher, der durch die Professorenphilosophie nicht verwirrt worden ist, sowie für jeden Materialisten ist die Empfindung tat- sächlich die unmittelbare Verbindung des Bewußtseins mit der Außenwelt,

Trenner

* A. Bogdanow, "Die Grundelemente der historischen Naturauffassung", St Petersburg 1899, S. 216.

43

die Verwandlung der Energie des äußeren Reizes in eine Bewußtseinstatsache. Diese Verwandlung hat jeder Mensch millionenfach beobachtet und beobachtet sie tatsächlich auf Schritt und Tritt. Der Sophismus der idealistischen Philosophie besteht darin, daß die Empfindung die Verbindung des Bewußtseins mit der Außenwelt, sondern für eine Scheidewand gehalten wird, für eine Mauer, die das Bewußtsein von der Außenwelt trennt - nicht für das Abbild einer der Empfindung entsprechenden äußeren Erscheinung, sondern für das „einzig Seiende“. Avenarius verlieh diesem alten, schon von Bischof Berkeley strapazierten Sophismus nur eine geringfügige veränderte Form. Da wir noch nicht alle Bedingungen der von uns jeden Augenblick beobachteten Verbindung der Empfindung mit der auf bestimmte Weise organisierten Materie kennen, nehmen wir als das Seiende nur die Empfindung an - darauf läuft der Sophismus von Avenarius hinaus.

Um die Charakteristik der idealistischen Grundthesen des Empiriokritizismus abzuschließen, verweisen wir noch kurz auf die englischen und französischen Vertreter dieser philosophischen Strömung. Von dem Engländer Karl Pearson sagt Mach direkt, daß er sich „mit dessen [erkenntniskritischen] Ansichten in allen wesentlichen Punkten in Übereinstimmung befinde“ („Mechanik“, zit. Aufl., S. IX). K. Pearson seinerseits drückt sein Einverständnis mit Mach aus.* Für Pearson sind die „realen Dinge“ „Sinneseindrücke“ (sense impressions). Jede Annahme von Dingen außerhalb der Sinneseindrücke erklärt Pearson für Metaphysik. Den Materialismus bekämpft er (ohne Feuerbach oder Marx und Engels zu kennen) auf das entschiedenste. Seine Argumente unterscheiden sich in nichts von den oben behandelten. Doch liegt Pearson hierbei jede Absicht, Materialismus zu markieren (eine Spezialität der russischen Machisten), so fern, und er ist so... unvorsichtig, daß er, ohne für seine Philosophie „neue“ Namen zu erfinden, sowohl seine eigenen Auffassungen als auch die Machs einfach für „idealistisch“ erklärt (zit. Aufl., p. 326)! Seinen Stammbaum leitet Pearson direkt von Berkeley und Hume ab. Seine Philosophie ist, wie wir noch mehrmals sehen werden, viel geschlossener und besser durchdacht als die Philosophie Machs.

Mach solidarisiert sich besonders mit den französischen Physikern

Trenner

* Karl Pearson, „The Grammar of Science“, 2nd ed. [Die Grammatik der Wissenschaft, 2. Aufl.], London 1900, p. 326.

44

P. Duhem und Henri Poincaré* Über die philosophischen Ansichten dieser Autoren, die besonders verworren und inkonsequent sind, werden wir Gelegenheit haben, in dem Kapitel über die neue Physik zu sprechen. Hier dürfte die Bemerkung genügen, daß für Poincaré die Dinge „Gruppen von Empfindungen“ sind** und daß auch Duhem*** eine ähnliche Ansicht beiläufig ausspricht.

Trenner

* „Analyse der Empfindungen“, S. 4 (der russ. Ausgabe. Der Übers.). Vgl. Vorwort zu „Erkenntnis und Irrtum“, 2. Aufl.
** Henri Poincaré „La Valeur de la Science“ [Der Wert der Wissenschaft], Paris 1905 (es gibt eine russische Übersetzung), passim.
*** P. Duhem, „La theorie physique, son objet et sa structure“, Paris 1906. Vgl. pp. 6, 10. (Im vorliegenden Band mit einigen Abänderungen zitiert nach der deutschen Ausgabe Leipzig 1908, die unter dem Titel „Ziel und Struktur der physikalischen Theorien“ erschienen ist, S. 4, 7/8. Der Übers.)



Datum der letzten Änderung : Jena, den: 07.08.2013