1. Die Kritik des Kantianismus von links und von rechts | Inhalt | 3. Die Immanenzphilosophen als Mitstreiter von Mach und Avenarius
2. Wie sich der „Empiriosymbolist“ Juschkewitsch über den „Empiriokritiker" Tschernow lustig machte
„Es ist natürlich lächerlich, zu sehen", schreibt Herr P. Juschkewitsch, „wie Herr Tschernow aus Michailowski, dem agnostischen Positivisten, dem Anhänger Comtes und Spencers, einen Vorläufer von Mach und Avenarius machen möchte." (l. c., S. 73.)
Lächerlich ist hier vor allem die erstaunliche Ignoranz des Herrn Juschkewitsch. Wie alle Woroschilow bemäntelt er diese Ignoranz mit einem Schwall gelehrter Worte und Namen. Der zitierte Satz steht in dem Paragraphen, der das Verhältnis des Machismus zum Marxismus behandelt. Herr Juschkewitsch maßt sich an, darüber zu sprechen, und weiß nicht einmal, daß für Engels (wie für jeden Materialisten) sowohl die Anhänger der Linie Humes als auch die Anhänger der Linie Kants gleichermaßen Agnostiker sind. Den Agnostizismus überhaupt dem Machismus gegenüberstellen, wo sogar Mach selbst sich als Anhänger Humes bekennt, heißt daher einfach ein philosophischer Analphabet sein. Die Bezeichnung „agnostischer Positivismus" ist ebenfalls absurd, denn die Anhänger
Humes nennen sich ja gerade. Positivisten. Herr Juschkewitsch, der sich Petzoldt als Meister auserkoren hat, sollte wissen, daß dieser den Empiriokritizismus direkt zum Positivismus rechnet. Schließlich ist es auch ein Unsinn, die Namen von Auguste Comte und Herbert Spencer hineinzuziehen; denn der Marxismus verwirft nicht das, was den einen Positivisten von dem anderen unterscheidet, sondern das, was ihnen gemeinsam ist, das, was einen Philosophen, zum Unterschied vom Materialisten, zum Positivisten macht.
Diesen ganzen Wortschwall brauchte unser Woroschilow nur, um den Leser „totzureden", um ihn durch Wortgeklingel zu betäuben und seine Aufmerksamkeit vom Wesen der Sache auf nichtige Lappalien abzulenken. Dieses Wesen der Sache aber besteht in der prinzipiellen Differenz zwischen dem Materialismus und der ganzen breiten Strömung des Positivismus, innerhalb deren sich sowohl Aug. Comte und H. Spencer als auch Michailowski und eine Reihe Neukantianer, als auch Mach und Avenarius befinden. Dieses Wesen der Sache brachte Engels in seinem „Ludwig Feuerbach" ganz eindeutig zum Ausdruck, wo er alle Kantianer und Humeisten jener Zeit (d. h. der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts) zum Lager der erbärmlichen Eklektiker, [Flohknacker] usw. rechnete.77 Aber auf wen diese Charakteristik angewendet werden kann und soll, darüber wollten unsere Woroschilow nicht nachdenken. Und da sie nicht denken können, so wollen wir ihnen eine anschauliche Gegenüberstellung vorführen. Engels nannte keine Namen, als er 1888 wie auch 1892 von Kantianern und Humeisten überhaupt sprach.78 Die einzige Stelle, an der Engels ein Buch zitiert, bezieht sich auf die Schrift von Starcke über Feuerbach, mit der er sich auseinandersetzte: „Starcke", sagt Engels, „gibt sich viel Mühe, Feuerbach gegen die Angriffe und Lehrsätze der sich heute unter dem Namen Philosophen in Deutschland breitmachenden Dozenten zu verteidigen. Für Leute, die sich für diese Nachgeburt der klassischen deutschen Philosophie interessieren, ist das gewiß wichtig; für Starcke selbst mochte dies notwendig scheinen. Wir verschonen den Leser damit." („Ludwig Feuerbach", S. 25.)79
Engels wollte „den Leser verschonen", d. h. den Sozialdemokraten die angenehme Bekanntschaft mit den degenerierten Schwätzern, die sich .Philosophen nennen, ersparen. Wer sind aber die Vertreter dieser „Nachgeburt"?
Schlagen wir in dem Buch von Starcke nach (C. N. Starcke, „Ludwig Feuerbach", Stuttgart 1885), so werden wir finden, daß er sich beständig auf die Anhänger "Humes und Kants beruft. Er zieht einen Trennungsstrich zwischen diesen beiden Linien und Feuerbach. Er zitiert dabei A. Riehl, Windelband und A. Lange (S. 3,18/19, 127 ff. bei Starcke).
Schlagen wir in dem 1891 erschienenen Buch von R. Avenarius, „Der menschliche Weltbegriff", nach, so lesen wir auf S. 120 der ersten deutschen Auflage: „Das letzte Ergebnis unserer Analyse findet sich in Übereinstimmung - wenn auch nach Maßgabe der verschiedenen Gesichtspunkte nicht in [durchgehender] - mit demjenigen, zu welchem andere Forscher gelangt sind; wie u. a. E. Laos. E. Mach, A. Riehl, W. Wundt, Vgl. auch Schopenhauer."
Über wen hat sich nun unser Woroschilow-Juschkewitsch lustig gemacht?
Avenarius bezweifelt nicht im geringsten seine prinzipielle Verwandtschaft - nicht in einer Einzelfrage, sondern in bezug auf das „letzte Ergebnis" des Empiriokritizismus - mit den Kantianern Riehl und Laas und dem Idealisten Wundt. Mach erwähnt er zwischen den beiden Kantianern. Und in der Tat, ist es nicht ein und dieselbe Gesellschaft, wenn Riehl und Laas Kant à la Hume, Mach und Avenarius aber Hume à la Berkeley hergerichtet haben?
Ist es da verwunderlich, daß Engels die deutschen Arbeiter „verschonen", ihnen die nähere Bekanntschaft mit dieser ganzen Gesellschaft „flohknackender" Dozenten ersparen wollte?
Engels verstand es, die deutschen Arbeiter zu schonen, die Woroschilow aber schonen den russischen Leser nicht.
Es muß bemerkt werden, daß die dem Wesen nach eklektische Vereinigung von Kant mit Hume oder von Hume mit Berkeley sozusagen in verschiedenen Proportionen möglich ist, indem man bald das eine, bald das andere Element der Mischung besonders hervorhebt. Wir haben oben zum Beispiel gesehen, daß nur ein einziger Machist, H. Kleinpeter, sich und Mach offen als Solipsisten (d. h. als konsequente Berkeleyaner) bezeichnet. Viele Schüler und Anhänger von Mach und Avenarius, wie Petzoldt, Willy, Pearson, der russische Empiriokritiker Lessewitsch, der Franzose Henri Delacroix* u. a., unterstreichen hingegen den Humeismus
* „Bibliothèque du congrès international de philosophie", vol. IV. Henri Drlacroix, „David Hume et la philosophie critique" (Bibliothek des internatio-weiter...
in den Auffassungen von Mach und Avenarius. Wir führen als Beispiel einen besonders bedeutenden Gelehrten an, der in der Philosophie ebenfalls Hume und Berkeley vereinigte, dabei aber die Betonung auf die materialistischen Elemente dieser Mischung legte. Es ist dies der berühmte englische Naturforscher Th. Huxley, der den Ausdruck „Agnostiker" aufgebracht und an den Engels zweifellos vor allem und am meisten gedacht hat, als er über den englischen Agnostizismus sprach. Engels bezeichnete 1892 die Agnostiker dieser Art als „verschämte Materialisten"."80 Der englische Spiritualist James Ward, der in seinem Buch „Naturalismus und Agnostizismus" hauptsächlich den „wissenschaftlichen Führer des Agnostizismus" (vol. II, p. 229) Huxley angreift, bestätigt Engels' Einschätzung, wenn er sagt: „Bei Huxley ist die Neigung, der physischen Seite" (der „Reihe von Elementen" nach Mach) „das Primat zuzuerkennen, oft so stark ausgeprägt, daß man hier überhaupt kaum von Parallelismus sprechen kann. Ungeachtet dessen, daß Huxley die Bezeichnung Materialist als Beleidigung für seinen unbefleckten Agnostizismus heftig zurückweist, kenne ich doch keinen anderen Schriftsteller, der mehr Anspruch auf diesen Namen hätte." (vol. II, p. 30/31.) Zur Bestätigung seiner Meinung führt James Ward folgende Erklärungen Huxleys an: „Jeder, der die Geschichte der Wissenschaft kennt, wird zugeben, daß ihr Fortschritt zu allen Zeiten die Erweiterung des Gebiets dessen bedeutete und jetzt mehr als je bedeutet, was wir Materie und Kausalität nennen, und dementsprechend das allmähliche Verschwinden dessen, was wir als Geist und Spontaneität bezeichnen, aus allen Gebieten des menschlichen Denkens." Oder: „An sich ist es nicht wichtig, ob wir die Erscheinungen (Phänomene) der Materie in den Termini des Geistes oder die Erscheinungen des Geistes in den Termini der Materie ausdrücken werden - beide Formulierungen sind in einem gewissen relativen Sinn wahr" („relativ beständige Elementenkomplexe" nach Mach). „Im Hinblick auf den wissenschaftlichen Fortschritt jedoch ist die materialistische Terminologie in jeder Beziehung vorzuziehen. Denn sie verbindet das Denken mit den anderen Erscheinungen der Welt... während die umgekehrte oder spiritualistische Terminologie
naien Philosophenkongresses, Bd. IV. 'Henri T)elacroix, „David Hume und die kritische Philosophie". Die Ked.). Der Verfasser zählt zu den Anhängern Humes Avenarius und die Immanenzphilosophen in Deutschland, Ch. Renouvier und seine Schule (die „Neokritizisten") in Frankreich.
äußerst inhaltslos (utterly barren) ist und zu nichts führt als zu Unklarheit und Verwirrung ... So besteht wohl kaum ein Zweifel darüber, daß die Naturerscheinungen mit dem Fortschreiten der Wissenschaft immer umfassender und konsequenter durch materialistische Formeln oder Symbole dargestellt werden." (I, 17-19.)
So urteilte der „verschämte Materialist" Huxley, der den Materialismus als „Metaphysik", die unrechtmäßig über die „Gruppen von Empfindungen" hinausgehe, auf keinen Fall anerkennen wollte. Und dieser selbe Huxley schrieb: „Wenn ich zwischen absolutem Materialismus und absolutem Idealismus wählen müßte, wäre ich gezwungen, den letzteren anzunehmen..." „Das einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist die Existenz der geistigen Welt." (J. Ward, II, 216, ebenda.)
Huxleys Philosophie ist ebenso eine Mischung von Humeismus und Berkeleyanismus wie die Philosophie Machs. Nur sind Huxleys berkeleyanische Ausfälle zufällig, und sein Agnostizismus dient als Feigenblatt, um den Materialismus zu verhüllen. Bei Mach ist die „Färbung" der Mischung eine andere, und derselbe Spiritualist Ward, der Huxley wütend bekämpft, klopft Avenarius und Mach liebevoll auf die Schulter.
Datum der letzten Änderung : Jena, den: 31.03.2013