2.Wie Bogdanow Marx korrigiert und „weiterentwickelt" | Inhalt | 4. Parteien in der Philosophie und philosophische Wirrköpfe
3. Von den Suworowschen „Grundlagen der sozialen Philosophie"
Die „Beiträge ,zur' Philosophie des Marxismus", die mit dem obengenannten Artikel des Gen. S. Suworow abschließen, stellen gerade wegen des kollektiven Charakters des Buches eine ungewöhnlich stark wirkende Blütenlese dar. Wenn an uns in trauter Gemeinschaft Leute vorüberziehen wie Basarow, der sagt, daß nach Engels „die Sinnesvorstellung eben die außer uns existierende Wirklichkeit ist"; Berman, der die Dialektik von Marx und Engels für Mystik erklärt; Lunatscharski, der sich bis zur Religion versteigt; Juschkewitsch, der den „Logos in den irrationellen Fluß des Gegebenen" hineinträgt; Bogdanow, der den Idealismus als Philosophie des Marxismus bezeichnet; Gelfond, der J. Dietzgen vom Materialismus säubert, und endlich S. Suworow mit seinem Aufsatz „Die Grund-
lagen der sozialen Philosophie" - dann spürt man sofort den „Geist" der neuen Linie. Quantität ist in Qualität umgeschlagen. Die „Suchenden", die bis dahin jeder für sich in einzelnen Aufsätzen und Büchern suchten, traten hier mit einem regelrechten Pronunziamento auf. Ihre Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen werden allein durch die Tatsache ihres kollektiven Auftretens gegen die (und nicht „zur") Philosophie des Marxismus verwischt, und die reaktionären Züge des Machismus als Strömung treten offen zutage.
Suworows Aufsatz ist unter diesen Umständen um so interessanter, als der Verfasser weder Empiriomonist noch Empiriokritiker ist, sondern einfach „Realist" - ihn verbindet also mit der übrigen Gesellschaft nicht das, was Basarow, Juschkewitsch, Bogdanow als Philosophen unterscheidet, sondern was ihnen allen gegen den dialektischen Materialismus gemeinsam ist. Ein Vergleich der soziologischen Betrachtungen dieses „Realisten" mit denen des Empiriomonisten wird uns dazu verhelfen, ihre gemeinsame Tendenz zu umreißen.
Suworow schreibt: „In der Gradation der den Weltprozeß regulierenden Gesetze lassen sich die besonderen und komplizierten auf allgemeine und einfache zurückführen, und sie alle sind dem Universalgesetz der Entwicklung - dem Qesetz der Ökonomie der Kräfte - unterworfen. Das Wesen dieses Gesetzes besteht darin, daß ein jedes Kräftesystem desto befähigter ist, sich zu erhalten und zu entwickeln, je geringer in ihm der Verbrauch, je größer die Akkumulation ist und je besser der Verbrauch der Akkumulation dient. Die Formen des Bewegungsgleichgewichts, die von jeher die Idee der objektiven Zweckmäßigkeit hervorgerufen haben (das Sonnensystem, der Kreislauf aller irdischen Erscheinungen, der Lebensprozeß), bilden und entwickeln sich gerade kraft der Einsparung und Akkumulation der in ihnen vorhandenen Energie, kraft ihrer inneren Ökonomie. Das Gesetz der Ökonomie der Kräfte ist das verbindende und regulierende Prinzip jeder Entwicklung, sowohl der anorganischen als auch der biologischen und sozialen." (S. 293; Hervorhebungen vom Verfasser.)
Wie merkwürdig leicht doch unsere „Positivisten" und „Realisten" „Universalgesetze" backen! Nur schade, daß diese Gesetze um nichts besser sind als diejenigen, die ebenso leicht und flink Eugen Dühring gebacken hatte. Das „Universalgesetz" Suworows ist eine ebenso inhaltlose,
gespreizte Phrase wie die Universalgesetze Dührings. Man versuche einmal, dieses Gesetz auf das erste der drei vom Verfasser bezeichneten Gebiete anzuwenden: auf die anorganische Entwicklung. Man wird sehen, daß es nicht gelingen wird, hier irgendeine „Ökonomie der Kräfte", außer dem Gesetz der Erhaltung und Verwandlung der Energie, anzuwenden, geschweige denn „universal" anzuwenden. Aber das Gesetz der „Erhaltung der Energie" hat ja der Verfasser bereits ausgesondert, hat es bereits vorher (S. 292) als ein besonderes Gesetz angeführt.* Was blieb denn außer diesem Gesetz auf dem Gebiet der anorganischen Entwicklung übrig? Wo sind die Ergänzungen oder Komplizierungen, wo die neuen Entdeckungen oder neuen Tatsachen, die es dem Verfasser gestatteten, das Gesetz der Erhaltung und Verwandlung der Energie in ein Gesetz der „Ökonomie der 'Kräfte" abzuändern (zu „vervollkommnen")? Solche Tatsachen oder Entdeckungen gibt es nicht, und Suworow hat so etwas auch mit keinem Wort erwähnt. Er hat einfach - um der Wichtigkeit halber, wie der Turgenjewsche Basarow zu sagen pflegte - die Feder geschwungen und ein neues „Universalgesetz" der „real-monistischen Philosophie" hingehauen (S. 292). Da seh einer, was für Kerle wir sind! Sind wir etwa schlechter als Dühring?
Nehmen wir das zweite Gebiet der Entwicklung, das biologische. Was
* Es ist charakteristisch, daß Suworow die Entdeckung des Gesetzes der Erhaltung und Verwandlung der Energie114 als die „Aufstellung der Grundsätze der Energetik" bezeichnet (292). Hat unser „Realist", der Marxist sein möchte, etwas davon gehört, daß sowohl die Vulgärmaterialisten Büchner und Co. als auch der dialektische Materialist Engels eben dieses Gesetz für die Aufstellung der Grundsätze des Materialismus gehalten haben? Hat unser Realist darüber nachgedacht, was dieser Unterschied bedeutet? Oh, durchaus nicht! Er ist einfach der Mode gefolgt, hat Ostwald nachgesprochen, und das ist alles. Das ist eben das Malheur, daß derartige „Realisten" vor der Mode kapitulieren, während Engels zum Beispiel den für ihn neuen Terminus Energie sich zu eigen machte und ihn 1885 (Vorwort zur 2. Aufl. des „Anti-Dühring") und 1888 („L. Feuerbach") zu verwenden begann, aber er verwendete ihn gleichbedeutend mit den Begriffen „Kraft" und „Bewegung", abwechselnd mit diesen. Engels verstand es, durch Aneignung einer neuen Terminologie seinen 'Materialismus zu bereichern. Die „Realisten" und sonstige Wirrköpfe haben den neuen Ausdruck aufgegriffen, ohne den Unterschied zwischen Materialismus und Energetik zu bemerken!
ist hier, bei der Entwicklung der Organismen durch den Kampf ums Dasein und die Auslese, universal - das Gesetz der Ökonomie der Kräfte oder das „Gesetz" der Vergeudung der Kräfte? Tut nichts! Um der „realmonistischen Philosophie" willen darf man den „Sinn" eines Universalgesetzes auf einem Gebiet so, auf einem ändern wieder anders verstehen, zum Beispiel als Entwicklung der höheren Organismen aus den niederen. Was tut's, daß das Universalgesetz dadurch zur leeren Phrase wird, dafür ist das Prinzip des „Monismus" gewahrt. Und was das dritte (das soziale) Gebiet betrifft, da kann man das „Universalgesetz" in einem dritten Sinne verstehen, als Entwicklung der Produktivkräfte. Dafür ist es ja ein „Universalgesetz", daß man darunter alles mögliche subsumieren kann.
„Ungeachtet dessen, daß die Gesellschaftswissenschaft noch jung ist, hat sie schon eine solide Basis und abgeschlossene Verallgemeinerungen; im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sie sich zur theoretischen Höhe - und das bildet das Hauptverdienst von Marx. Er erhob die soziale Wissenschaft zum Rang einer sozialen Theorie ..." Engels sagte, Marx habe den Sozialismus aus einer Utopie zur Wissenschaft gemacht115, doch Suworow genügt das nicht. Es wird stärker klingen, wenn wir noch von der Wssenschaft (aber gab es denn eine soziale Wissenschaft vor Marx?) die Theorie unterscheiden werden - was tut's, wenn diese Unterscheidung keinen Sinn hat!
„... nachdem er das Grundgesetz der sozialen Dynamik festgestellt hatte, kraft dessen die Evolution der Produktivkräfte das bestimmende Prinzip aller wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung ist. Die Entwicklung der Produktivkräfte entspricht aber dem Wachstum der Arbeitsproduktivität, dem relativen Sinken des Verbrauchs und dem Steigen der Akkumulation der Energie ..." (Sieh einer an, wie fruchtbringend die „real-monistische Philosophie" ist: sie liefert eine neue, energetische Begründung des Marxismus!) „.. . dies ist ein ökonomisches Prinzip. Somit hat Marx der sozialen Theorie das Prinzip der Ökonomie der Kräfte zugrunde gelegt.. "
Dieses „somit" ist wirklich ohnegleichen! Da es bei Marx eine politische Ökonomie gibt, so wollen wir aus diesem Anlaß an dem Wort „Ökonomie" herumkauen und die Produkte des Wiederkauens „real-monistische Philosophie" nennen!
Nein, Marx legte seiner Theorie kein Prinzip der Ökonomie der Kräfte
zugrunde. Das ist ein Nonsens, erfunden von Leuten, denen die Lorbeeren Eugen Dührings den Schlaf geraubt haben. Marx hat eine ganz exakte Bestimmung des Begriffs Wachstum der Produktivkräfte gegeben und den konkreten Prozeß dieses Wachstums untersucht. Suworow aber hat zur Bezeichnung eines von Marx analysierten Begriffs ein neues Wort erfunden, und zwar sehr ungeschickt, und hat die Sache dadurch nur verwirrt. Denn was „Ökonomie der Kräfte" eigentlich bedeutet, wie man sie messen, wie man diesen Begriff anwenden soll, welche genauen und bestimmten Tatsachen hierzu gehören, das hat Suworow nicht erklärt, und das kann man auch gar nicht erklären, weil es Konfusion ist. Man höre weiter:
„... Dieses Gesetz der sozialen Ökonomie ist nicht nur das Prinzip der inneren Einheit der sozialen Wissenschaft" (verstehen Sie was, lieber Leser?), „sondern auch das Bindeglied zwischen der sozialen Theorie und der allgemeinen Theorie des Seins." (294.)
So, so! S. Suworow hat also die „allgemeine Theorie des Seins" von neuem entdeckt, nachdem sie zu vielen Malen und in den verschiedensten Formen von zahlreichen Vertretern der philosophischen Scholastik entdeckt worden war! Wir gratulieren den russischen Machisten zu der neuen „allgemeinen Theorie des Seins"! Wir wollen hoffen, daß sie ihre nächste Kollektivarbeit ganz der Begründung und Weiterentwicklung dieser großen Entdeckung widmen werden!
Welche Darstellung der Marxsdhen Theorie bei unserem Vertreter der realistischen bzw. real-monistischen Philosophie herauskommt, ist aus folgendem Beispiel ersichtlich. „Im allgemeinen bilden die Produktivkräfte der Menschen eine genetische Gradation" (uff!) „und bestehen aus ihrer Arbeitsenergie, aus untergeordneten Elementarkräften, aus der durch die Kultur veränderten Natur und aus Arbeitswerkzeugen, die die Produktionstechnik bilden . .. Hinsichtlich des Arbeitsprozesses erfüllen diese Kräfte eine rein ökonomische Funktion; sie ersparen Arbeitsenergie und erhöhen die Produktivität ihrer Verausgabung." (298.) Die Produktivkräfte erfüllen eine ökonomische Funktion hinsichtlich des Arbeitsprozesses! Das ist genauso, als wenn man sagte: die Lebenskräfte erfüllen eine Lebensfunktion hinsichtlich des Lebensprozesses. Das ist keine Darstellung von Marx, sondern eine Verunreinigung des Marxismus mit unglaublichem sprachlichem Unrat.
Den ganzen Unrat in dem Artikel Suworows kann man gar nicht aufzählen. „Die Sozialisierung einer Klasse drückt sich in dem Wachstum ihrer kollektiven Macht sowohl über die Menschen als auch über deren Eigentum aus ..." (313.) „Der Klassenkampf ist auf die Errichtung von Formen des Gleichgewichts zwischen den sozialen Kräften gerichtet..." (322.) Soziale Uneinigkeit, Feindschaft und Kampf seien ihrem Wesen nach negative, antigesellschaftliche Erscheinungen. „Der soziale Fortschritt ist seinem grundlegenden Inhalt nach Wachstum der Gesellschaftlichkeit, der sozialen Verbundenheit der Menschen." (328.) Ganze Bände könnte man mit solchen Kollektionen von Plattheiten füllen, und die Vertreter der bürgerlichen Soziologie tun das auch; dies aber für Philosophie des Marxismus auszugeben — das geht doch zu weit. Wäre Suworows Artikel ein Versuch, den Marxismus zu popularisieren, so dürfte man ihn nicht allzu streng beurteilen; jeder würde zugeben, daß die Absichten des Verfassers gut sind, der Versuch aber vollständig mißlungen ist, das wäre alles. Wenn aber eine Gruppe Machisten uns so etwas unter dem Titel „Die Grundlagen der sozialen Philosophie" auftischt, wenn wir dieselben Methoden der „Weiterentwicklung" des Marxismus in den philosophischen Schriften Bogdanows sehen, dann ergibt sich unvermeidlich die Schlußfolgerung, daß zwischen der reaktionären Erkenntnistheorie und den krampfhaften reaktionären Anstrengungen in der Soziologie ein untrennbarer Zusammenhang besteht.
Datum der letzten Änderung : Jena, den: 08.03.2013