3. Von den Suworowschen „Grundlagen der sozialen Philosophie" | Inhalt | 5. Ernst Haeckel und Ernst Mach

4. Parteien in der Philosophie und philosophische Wirrköpfe

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Es bleibt uns noch die Frage nach dem Verhältnis des Machismus zur Religion zu untersuchen. Diese Frage erweitert sich aber zu der anderen, ob es überhaupt Parteien in der Philosophie gibt und welche Bedeutung die Unparteilichkeit in der Philosophie hat.

Im Verlauf der ganzen vorangegangenen Darstellung, bei jeder von uns berührten erkenntnistheoretischen Frage, bei jeder philosophischen Frage, die durch die moderne Physik aufgerollt wurde, konnten wir den Kampf zwischen 'Materialismus sund Idealismus verfolgen. Hinter einem Haufen neuer terminologischer Spitzfindigkeiten, hinter dem Schutt gelahrter Scholastik fanden wir immer ausnahmslos, die zwei Grundlinien, die zwei

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Grundrichtungen bei der Lösung der philosophischen Fragen. Ob man als das Primäre die Natur, die Materie, das Physische, die Außenwelt ansieht und Bewußtsein, Geist, Empfindung (nach der heutzutage verbreiteten Terminologie: Erfahrung), Psychisches u. dgl. als das Sekundäre betrachtet - das ist die Grundfrage, die in der Tat nach wie vor die Philosophen in zwei große Lager trennt. Die Quelle der tausend und aber tausend Fehler und der Konfusion auf diesem Gebiet liegt gerade darin, daß man hinter der Äußerlichkeit von Termini, Definitionen, scholastischen Schrullen und Worttüfteleien diese zwei Grundtendenzen übersieht (Bogdanow zum Beispiel will seinen Idealismus nicht zugeben, weil er statt der angeblich „metaphysischen" Begriffe „Natur" und „Geist" die „erfahrungsgemäßen", nämlich Physisches und Psychisches genommen hat. Ein Wort hat er geändert!).

Die Genialität von Marx und Engels liegt gerade darin, daß sie im Laufe einer sehr langen Periode, fast eines halben Jahrhunderts, den Materialismus weiterentwickelt, die eine philosophische Grundrichtung vorwärtsgetrieben, sich nicht bei der Wiederholung bereits gelöster erkenntnistheoretischer Probleme aufgehalten, sondern den Materialismus konsequent durchgesetzt haben - daß sie gezeigt haben, wie man denselben Materialismus auf dem Gebiet der Gesellschaftswissenschaften durchsetzen muß, und den Unsinn, den gespreizten, prätentiösen Galimathias, die zahllosen Versuche, eine „neue" Linie in der Philosophie zu „entdekken", eine „neue" Richtung zu erfinden usw., wie Kehricht schonungslos hinwegfegten. Der rein sprachliche Charakter derartiger Versuche, die scholastische Spielerei mit neuen philosophischen „Ismen", die Verdunkelung des Wesentlichen durch verschrobene Spitzfindigkeiten, das Unvermögen, den Kampf der beiden erkenntnistheoretischen Grundrichtungen zu begreifen und klar darzustellen - das war es, was Marx und Engels während ihrer ganzen Tätigkeit verfolgten und unerbittlich bekämpften.

Wir sagten: im Laufe fast eines halben Jahrhunderts. In der Tat, schon im Jahre 1843, als Marx eben erst begann, Marx zu werden, d. h. zum Begründer des Sozialismus als Wissenschaft, zum Begründer des modernen 'Materialismus, der unermeßlich gehaltreicher und unvergleichlich konsequenter ist als alle vorhergegangenen Formen des Materialismus — schon zu jener Zeit umriß Marx mit erstaunlicher Klarheit die Grundlinien der Philosophie. K. Grün zitiert einen Brief von Marx an Feuerbach vom

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20. Oktober 1843116, in dem Marx Feuerbach auffordert, für die „Deutsch-Französischen Jahrbücher"117 einen Artikel gegen Schelling zu schreiben. Dieser Schelling, schreibt Marx, ist ein Windbeutel, mit seinen Ansprüchen, alle früheren philosophischen Richtungen umfassen und übertreffen zu wollen. „Den französischen Romantikern und Mystikern ruft er" (Schelling) „zu: Ich - die Vereinigung von Philosophie und Theologie; den französischen Materialisten: Ich - die Vereinigung von Fleisch und Idee; den französischen Skeptikern: Ich - der Zerstörer der Dogmatik."* Daß die „Skeptiker" - ob sie sich nun Humeisten oder Kantianer (oder im 20. Jahrhundert Machisten) nennen - gegen die „Dogmatik" sowohl des Materialismus wie des Idealismus zetern, sah Marx damals schon, und ohne sich durch eines der tausend armseligen philosophischen Systemchen ablenken zu lassen, verstand er es, über Feuerbach direkt den materialistischen Weg gegen den Idealismus einzuschlagen. Dreißig Jahre später, im Nachwort zur zweiten Auflage des ersten Bandes des „Kapitals", stellt Marx ebenso klar und eindeutig seinen Materialismus dem Hegeischen, d. h. dem konsequentesten, am weitesten entwickelten Jdealismus entgegen, er lehnt den Comteschen „Positivismus" verächtlich ab und erklärt die zeitgenössischen Philosophen für jämmerliche Epigonen, die sich einbilden, Hegel vernichtet zu haben, während sie in Wirklichkeit zur Wiederholung der vorhegelschen Fehler von Kant und Hume zurückgekehrt sind.118 In seinem Brief an Kugelmann vom 27. Juni 1870 behandelt Marx „Büchner, Lange, Dühring, Fechner usw." nicht minder verächtlich, weil sie Hegels Dialektik nicht zu begreifen vermochten und Hegel geringschätzten.** Man nehme schließlich die einzelnen philosophischen Bemerkungen von Marx im „Kapital" und in anderen Werken, überall findet man ein unveränderliches Grundmotiv: Verteidigung des Materialismus und verächtlichen Spott über jede Vertuschung, jede Konfusion, alle Abweichungen zum Idealismus hin. Um diese beiden grundlegenden Gegensätze drehen sich sämtlidhe philosophischen Bemerkungen von Marx; vom


* Karl Grün, „Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlaß sowie in seiner philosophischen Charakterentwicklung", I. Bd., Leipzig 1874, S. 361.

** über den Positivisten Beesly schreibt Marx in einem Brief vom 13. Dezember 1870: „Professor Beesly ist Comtist und ist als solcher verpflichtet, allerlei crotchets" (Grillen) „geltend zu machen."119 Man vergleiche damit Engels' Einschätzung der Positivisten ä la Huxley im Jahre 1892.120

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Standpunkt der Professorenphilosophie liegt in dieser „Enge" und „Einseitigkeit" eben ihr Mangel. In Wirklichkeit ist gerade dieses bewußte Ignorieren der zwitterhaften Projekte zur Versöhnung von Materialismus und Idealismus das größte Verdienst von Marx, der auf einem exakt bestimmten philosophischen Weg vorwärtsschritt.

Ganz im Geiste von Marx und in enger Zusammenarbeit mit ihm stellt Engels in all seinen philosophischen Arbeiten kurz und bündig in allen Fragen die materialistische und die idealistische Linie einander gegenüber, wobei er weder im Jahre 1878 noch 1888, noch 1892121 die endlosen krampfhaften Bemühungen ernst nahm, die „Einseitigkeit" von Materialismus und Idealismus zu „überwinden", eine neue Linie, irgendeinen „Positivismus", „Realismus" oder einen anderen Professorenscharlatanismus zu verkünden. Den ganzen Kampf gegen Dühring führte Engels vollständig unter der Losung der konsequenten Einhaltung des Materialismus, wobei er den Materialisten Dühring beschuldigte, daß dieser das Wesen der Sache durch Wortschwall verdunkelte, daß er Phrasen drosch, daß er sich einer Betrachtungsweise bediente, die eine Konzession an den Idealismus, den Übergang auf die Position des Idealismus zum Ausdruck brachte. Entweder bis zu Ende konsequenter Materialismus oder die Lüge und Konfusion des philosophischen Idealismus - das ist die Fragestellung, wie sie in jedem Absatz des „Anti-Dühring" gegeben ist und die nur Leute mit einem von der reaktionären Professorenphilosophie bereits angefressenen Hirn übersehen konnten. Und bis zum Jahre 1894, wo das letzte Vorwort zu dem vom Verfasser nochmals durchgesehenen und zum letztenmal ergänzten „Anti-Dühring" geschrieben wurde, beharrte Engels, der sowohl die neue Philosophie als auch die neue Naturwissenschaft ständig verfolgte, mit der alten Entschiedenheit bei seiner klaren und festen Stellungnahme und fuhr fort, den Kehricht der neuen Systeme und Systemchen hinwegzufegen.

Daß Engels die neue Philosophie verfolgte, ist aus seinem „Ludwig Feuerbach" ersichtlich. In der Vorbemerkung vom Jahre 1888 ist sogar von einer solchen Erscheinung die Rede wie der Wiedergeburt der klassischen deutschen Philosophie in England und Skandinavien; für den herrschenden Neukantianismus und Humeismus aber hat Engels (sowohl in der Vorbemerkung als auch im Text des Buches) nur Worte äußerster Ver achtung. Es liegt auf der Hand, daß Engels, der die Wiederholung der

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alten, vorhegelschen, Fehler des Kantianismus und Humeismus in der Mode gewordenen deutschen und englischen Philosophie beobachtete, bereit war, selbst von einer "Wendung (in England und Skandinavien) zu Hegel122 Gutes zu erwarten, in der Hoffnung, daß der große Idealist und Dialektiker dazu verhelfen werde, die seichten idealistischen und metaphysischen Irrtümer zu erkennen.

Ohne sich auf eine Betrachtung der Unmenge von Nuancen des Neukantianismus in Deutschland und des Humeismus in England einzulassen, verwirft Engels von vornherein ihre grundsätzliche Abweichung vom Materialismus. Engels erklärt, daß die gesamte Richtung beider Schulen einen „wissensdiaftlidien Rückschritt" bedeutet. Und wie bewertet er die vom Standpunkt der landläufigen Terminologie zweifellos „positivistische", zweifellos „realistische" Tendenz dieser Neukantianer und Humeisten, von denen er zum Beispiel Huxley gewiß kennen mußte? Den „Positivismus" und den „Realismus", der zahllose Wirrköpfe verführte und verführt, erklärt Engels für ein im besten falle philisterhaftes Verfahren, den Materialismus hinterrücks zu akzeptieren und ihn vor der Welt zu beschimpfen und zu verleugnen!123 Es genügt, über eine solche Bewertung Th. Huxleys, des prominentesten Naturforschers und unvergleichlich realistischeren Realisten und positivistischeren Positivisten, als Mach, Avenarius und Co. es sind, auch nur ein klein wenig nachzudenken, um sich eine Vorstellung zu machen, mit welcher Verachtung Engels die heutige Begeisterung einer Handvoll Marxisten für den „neuesten Positivismus" oder den „neuesten Realismus" usw. aufgenommen hätte.

Marx und Engels waren von Anfang bis zu Ende parteilich in der Philosophie, sie veerstanden es, die Abweichungen vom Materialismus und die Nachgiebigkeit gegenüber dem Idealismus un4 Fideismus in allen möglichen „neuesten" Richtungen aufzudecken. Deshalb bewerteten sie Huxley ausschließlich vom Standpunkt der konsequenten Einhaltung des Materialismus. Deshalb machten sie Feuerbach den Vorwurf, daß er den Materialismus nicht bis zu Ende einhält, daß er den Materialismus wegen der Fehler einzelner Materialisten fallengelassen hat, daß er gegen die Religion kämpfte mit dem Ziel, sie zu erneuern oder eine neue Religion zu schaffen, daß er in der Soziologie nicht vermochte, sich von der idea­listischen Phrase frei zu machen und Materialist zu werden.

Und diese größte und wertvollste Tradition seiner Lehrmeister wußte

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J. Dietzgen vollauf zu schätzen, und er übernahm sie, welcher Art die einzelnen Fehler in seiner Darstellung des dialektischen Materialismus auch sein mögen. J. Dietzgen hat durch seine ungeschickten Abweichungen vom Materialismus viel gesündigt, doch hat er niemals den Versuch gemacht, sich prinzipiell vom Materialismus abzusondern, eine „neue" Fahne zu hissen, stets erklärte er im entscheidenden Augenblick fest und kategorisch: Ich bin Materialist, unsere Philosophie ist die materialistische. „Unter allen Parteien", sagte mit Recht unser Josef Dietzgen, „ist die Partei der Mitte die abscheulichste... Wie in der Politik die Parteien mehr und mehr sich in nur zwei Lager gruppieren ... so teilt sich auch die Wissenschaft in zwei [Generalklassen]: in Metaphysiker dort und in Physiker oder Materialisten hier.* Die Zwischenglieder und vermittlungssüchtigen Quacksalber mit allerlei Namen, Spiritualisten, Sensualisten, Realisten usw. usw., fallen unterwegs in die Strömung. Wir steuern der Entschiedenheit, der Klarheit zu. Idealisten** nennen sich die reaktionären Retraitebläser, und Materialisten sollen alle diejenigen heißen, welche sich angelegen sein lassen, den menschlichen Intellekt vom metaphysischen Zauber zu erlösen . .. Vergleichen wir die beiden Parteien mit dem Festen und Flüssigen, dann liegt Breiartiges in der Mitte."***

Richtig! Die „Realisten" u. dgl., darunter auch die „Positivisten", Machisten usw., das alles ist jämmerlicher Brei, die schmähliche Partei der Mitte in der Philosophie, die in jeder einzelnen Frage die materialistische und idealistische Richtung durcheinanderwirft. Die Versuche, aus diesen beiden Grundrichtungen der Philosophie herauszuspringen, sind nichts anderes als „vermittlungssüchtige Quacksalberei".

Daß die „wissenschaftliche Pfafferei" der idealistischen Philosophie die bloße Vorstufe zum direkten Pfaffentum ist, daran zweifelte J. Dietzgen nicht im geringsten. „Wissenschaftliche Pfafferei", schrieb er, „versucht es ernstlich, der religiösen Vorschub zu leisten." (I.e., 51.) „Vornehmlich


* Auch hier wieder ein ungeschickter, ungenauer Ausdruck: statt „Metaphysiker" müßte es „Idealisten" heißen. J. Dietzgen selbst stellt die Metaphysiker an anderen Stellen den Dialektikern gegenüber.

** Man beachte, daß J. Dietzgen sich schon verbessert und genauer erklärt hat, wer die Gegenpartei des Materialismus ist.

*** Siehe den Artikel „Sozialdemokratische Philosophie", geschrieben 1876. - „Kleinere philosophische Schriften", 1903, S. 135.

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bildet das Gebiet der Erkenntnistheorie, das Mißverständnis des menschlichen Geistes eine solche [Lausgrube]", in welche diese wie jene Pfaffen „ihre Eier hineinlegen". „Diplomierte Lakaien" mit Reden über „ideale Güter", die „mit einem geschraubten Idealismus Volksbetörung treiben" (53) - das sind für J. Dietzgen die Professoren der Philosophie. „Wie der liebe Gott seinen Antipoden im Teufel, so hat der Kathederpfaff seinen Gegenfüßler im Materialisten." Die Erkenntnistheorie des Materialismus ist „eine Universalwaffe wider den religiösen Glauben" (55), und nicht nur „notorisch" wider „die förmliche, die gemeine Religion der Pfaffen, sondern auch die reinste, erhabenste Professorenreligion [benebelter] Idealisten" (58).

Gegenüber der „Halbheit" der freigeistigen Professoren war Dietzgen bereit, die „alte religiöse Ehrbarkeit" vorzuziehen (69). Dort „herrscht System", dort gibt es ganze Menschen, die Theorie und Praxis nicht auseinanderreißen. „Die Philosophie ist keine Wissenschaft, sondern ein Schutzmittel wider die Sozialdemokratie" (107) - für die Herren Professoren. „Was sich Philosoph schreibt, Professor und Privatdozent, alles steckt trotz der scheinbaren Freigeisterei mehr oder minder im Aberglauben, in der Mystik... und bildet gegenüber der Sozialdemokratie eine einzige ... reaktionäre Masse." (108.) „Um nun dem rechten Wege, unbeirrt von allem religiösen und philosophischen [Welsch], folgen zu können, soll man den [Holzweg der Holzwege], das ist Philosophie, studieren." (103.)

Und nun sehe man sich einmal vom Standpunkt der Parteien in der Philosophie Mach und Avenarius mit ihrer Schule an. Oh, diese Herren rühmen sich ihrer Unparteilichkeit, und wenn sie überhaupt einen Antipoden haben, so nur einen einzigen und nur ... den Materialisten. Wie ein roter Faden zieht sich durch alle Schriften sämtlicher Machisten die stumpfsinnige Anmaßung, über Materialismus und Idealismus „erhaben zu sein", diese „veraltete" Gegenüberstellung zu überwinden, während in Wirklichkeit diese ganze Kumpanei alle Augenblicke in den Idealismus hineingerät und einen unaufhörlichen und unentwegten Kampf gegen den Materialismus führt. Die raffinierten erkenntnistheoretischen Schrullen eines Avenarius bleiben eine Professorenerfindung, der Versuch zur Gründung einer kleinen „eigenen" Philosophensekte, tatsächlich aber ist bei der allgemeinen Konstellation des Kampfes zwischen den Ideen und

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Richtungen der modernen Gesellschaft die objektive Rolle dieser erkenntnistheoretischen Spitzfindigkeiten einzig und allein diese; dem Idealismus und Fideismus den Weg freizulegen, ihnen treue Dienste zu leisten. Es kann doch wirklich kein Zufall sein, daß sowohl die englischen Spiritualisten vom Schlage eines Ward als auch die französischen Neokritizisten, die Mach wegen seines Kampfes gegen den Materialismus loben, als auch die deutschen Immanenzphilosophen sich alle an die winzige Schule der Empiriokritiker klammern! J. Dietzgens Formel: „diplomierte Lakaien des Fideismus" trifft auf Mach, Avenarius und ihre ganze Schule haargenau zu.*

Das Unglück der russischen Machisten, die sich vorgenommen haben, den Machismus mit dem Marxismus zu „versöhnen", besteht gerade darin, daß sie sich auf die reaktionären Philosophieprofessoren verlassen haben und dadurch auf die schiefe Ebene geraten sind. Die Methoden der


* Hier noch ein Beispiel dafür, wie die weitverbreiteten Strömungen der reaktionären bürgerlichen Philosophie sich den Machismus tatsächlich zunutze machen. Wohl die „letzte Mode" der allerneuesten amerikanischen Philosophie ist der „Pragmatismus" (vom griechischen Wort pragma = Tat, Handlung? also Philosophie der Tat).124 Über den Pragmatismus wird in den philosophischen Zeitschriften wohl am meisten gesprochen. Der Pragmatismus verspottet die Metaphysik sowohl des Materialismus als auch des Idealismus, preist die Erfahrung und nur die Erfahrung, erkennt als einziges Kriterium die Praxis an, beruft sich überhaupt auf die positivistische Strömung und stützt sich speziell auf Ostwald, Mach, Pearson, Poincaré, Duhem, stützt sich auf die Behauptung, daß die Wissenschaft keine „absolute Kopie der Realität" ist, und ... leitet glücklich aus alledem einen Gott ab für praktische Zwecke, nur für die Praxis, ohne jede Metaphysik, ohne irgendwie die Grenzen der Erfahrung zu überschreiten (vgl. William James, „Pragmatism. A new name for some old ways of thinking", New York and London 1907, p. 57 und bes. 106). Die Unterschiede zwischen Machismus und Pragmatismus sind vom Standpunkt des Materialismus aus ebenso nichtig und zehntrangig wie die Unterschiede zwischen Empiriokritizismus und Empiriomonismus. Man vergleiche nur die Bogdanowsche und die pragmatistische Definition der Wahrheit: „Wahrheit ist für den Pragmatisten ein Gattungsname für alle Arten von bestimmten Arbeitswerten (working-values) in der Erfahrung." (Ib., p. 68.) (Hier zitiert nach der deutschen Ausgabe: William James, „Der Pragmatismus. Ein neuer Name für alte Denkmethoden", Leipzig 1908, S. 36, 66, 43. Der Übers.)

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diversen Versuche, Marx weiterzuentwickeln und zu ergänzen, waren recht naiv. Lesen sie Ostwald, dann glauben sie Ostwald, geben Ostwald wieder und nennen das Marxismus. Lesen sie Mach, dann glauben sie Mach, geben Mach wieder und nennen das Marxismus. Lesen sie Poincaré, dann glauben sie Poincaré, geben Poincaré wieder und nennen das Marxismus! Keinem einzigen dieser Professoren, die auf Spezialgebieten der Chemie, der Geschichte, der Physik die wertvollsten Arbeiten liefern können, darf man auch nur ein einziges Wort glauben, sobald er auf Philosophie zu sprechen kommt. Warum? Aus dem nämlichen Grunde, aus welchem man keinem einzigen Professor der politischen Ökonomie, der imstande ist, auf dem Gebiet spezieller Tatsachenforschung die wertvollsten Arbeiten zu liefern, audh nur ein einziges Wort glauben darf, sobald er auf die allgemeine Theorie der politischen Ökonomie zu sprechen kommt. Denn diese letztere ist eine ebenso parteiliche Wissenschaft in der modernen Gesellschaft wie die Erkenntnistheorie. Im großen und ganzen sind die Professoren der politischen Ökonomie nichts anderes als die gelehrten Kommis der Kapitalistenklasse und die Philosophieprofessoren die gelehrten Kommis der Theologen.

Die Aufgabe der Marxisten ist nun hier wie dort, zu verstehen, sich die von diesen „Kommis" gemachten Errungenschaften anzueignen und sie zu verarbeiten (man kann zum Beispiel, wenn man die neuen ökonomischen Erscheinungen studieren will, keinen Schritt tun, ohne sich der Werke dieser Kommis zu bedienen), und zu verstehen, die reaktionäre Tendenz derselben zu verwerfen, der eigenen Linie zufolgen und die ganze Linie der uns feindlichen Kräfte und Klassen zu bekämpfen. Gerade das aber haben unsere Machisten, die sklavisch der reaktionären Professorenphilosophie folgen, nicht verstanden. „Vielleicht irren wir, aber wir suchen", schrieb im Namen der Verfasser der „Beiträge" Lunatscharski. Nicht ihr sucht, sondern man sucht euch, das ist das Unglück! Nicht ihr tretet von eurem, d. h. dem marxistischen (denn ihr möchtet ja Marxisten sein) Standpunkt an jede Wendung der bürgerlich-philosophischen Mode heran, sondern diese Mode tritt an euch heran, sie drängt euch ihre neuen Fälschungen, wie sie dem Idealismus genehm sind, auf, heute à la Ostwald, morgen à la Mach, übermorgen à la Poincaré. Jene törichten „theoretischen" Mätzchen (mit der „Energetik", den „Elementen", der „Introjektion" usw.), denen ihr naiverweise Glauben schenkt, verbleiben in den

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Grenzen einer ganz engen, "winzigen Schule, während die geistige und gesellschaftlidie Tendenz dieser Mätzchen sofort von den Ward, den Neokritizisten, den Immanenzphilosophen, von den Lopatin, von den Pragmatisten aufgegriffen wird und ihren Dienst tut. Die Begeisterung für den Empiriokritizismus und den „physikalischen" Idealismus vergeht ebenso rasch wie die Begeisterung für den Neukantianismus und den „physiologischen" Idealismus, doch der Fideismus holt sich von jeder derartigen Begeisterungswelle seine Beute, wobei er auf tausenderlei Art seine Kniffe verändert zu Nutz und Frommen des philosophischen Idealismus.

Das Verhältnis zur Religion_und das Verhältnis zur Naturwissenschaft illustriert trefflich, wie die bürgerliche Reaktion den Empiriokritizismus tatsächlich im Klasseninteresse ausnutzt.

Nehmen wir die erste Frage. Glaubt man etwa, es sei Zufall, daß sich Lunatscharski in dieser Kollektivarbeit gegen die Philosophie des Marxismus bis zur „Vergottung der höchsten menschlichen Potenzen", bis zum „religiösen Atheismus"* usw. verstiegen hat? Wenn man das glaubt, so lediglich deshalb, weil die russischen Machisten die Öffentlichkeit über die gesamte machistische Strömung in Europa und über das Verhältnis dieser Strömung zur Religion falsch informiert haben. Nicht nur hat dieses Verhältnis nichts gemein mit dem Verhältnis von Marx, Engels, J. Dietzgen, ja selbst Feuerbach, zur Religion, sondern es ist das direkte Gegenteil, angefangen von der Erklärung Petzoldts: der Empiriokritizismus „widerstreitet weder dem Theismus überhaupt noch dem Atheismus" („Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung", I, 351) oder der Machs: „die religiösen Ansichten sind Privatsache" (franz. übers., p. 434 [S. 494]), und endend mit dem offenen Theismus, mit dem unverhüllten Schwarzhundertertum sowohl eines Cornelius, der Mach überschwenglich lobt und von Mach ebenso gelobt wird, als auch eines Carus und aller Immanenzphilosophen. Neutralität eines Philosophen in dieser Frage, das ist scbon Lakaientum gegenüber dem Fideismus. und über die Neutralität kommen Mach und Avenarius nicht hinaus und können sie nicht hinauskommen infolge der Ausgangspunkte ihrer Erkenntnistheorie.


* „Beiträge", S. 157, 159. In der „Sagranitschnaja Gaseta"125 spricht der gleiche Verfasser von „wissenschaftlichem Sozialismus in seiner religiösen Bedeutung" (Nr. 3, S. 5), und im „Obrasowanije"126 , 1908, Nr. l, S. 164, schreibt er unumwunden: „Schon lange reift in mir eine neue Religion ..."

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Sobald ihr die uns in der Empfindung gegebene objektive Realität leugnete habt ihr schon jede Waffe gegen den Fideismus eingebußt, denn ihr seid bereits zum Agnostizismus oder Subjektivismus, hinabgeglitten, und mehr braucht er gar nicht. Ist die sinnliche Welt eine objektive Realität, dann ist jeder ändern „Realität" oder Quasirealität (man erinnere sich, daß Basarow an den „Realismus" der Immanenzphilosophen, die Gott für einen „realen Begriff" erklären, geglaubt hat) das Tor versperrt. Ist die Welt sich bewegende Materie, so kann und muß man sie fortwährend studieren in den unendlich komplizierten und detaillierten Erscheinungen und Verästelungen dieser Bewegung, der Bewegung dieser Materie, doch außerhalb dieser, außerhalb der „physischen", allen bekannten Außenwelt kann nichts sein. Feindseligkeit gegen den Materialismus, Lawinen von Verleumdungen gegen die Materialisten - das alles ist im zivilisierten und demokratischen Europa an der Tagesordnung. Das alles geht bis zum heutigen Tag so weiter. Das alles wird der Öffentlichkeit von den russischen Machisten vorenthalten, die nicht ein einziges Mal versucht haben, die gegen den Materialismus gerichteten Ausfälle von Mach, Avenarius, Petzoldt und Co. mit den Erklärungen von Feuerbach, Marx, Engels und J. Dietzgen zugunsten des Materialismus auch nur einfach zu vergleichen.

Doch das „Verhehlen" der Beziehungen von Mach und Avenarius zum Fideismus nützt nichts. Die Tatsachen sprechen für sich. Keine Anstrengung der Welt vermag diese reaktionären Professoren von der Schande zu befreien, die ihnen die Umarmungen Wards, der Neokritizisten, Schuppes, Schubert-Solderns, Leclairs, der Pragmatisten usw. eingebracht haben. Und der Einfluß der eben genannten Personen als Philosophen und Professoren, der Grad der Verbreitung ihrer Ideen unter dem „gebildeten", d. h. bürgerlichen Publikum, die von ihnen geschaffene Fachliteratur sind zehnmal so groß und so zahlreich wie das besondere Schülchen von Mach und Avenarius. Das Schülchen dient, wem es zu dienen hat. Man bedient sich dieses Sdiülchens nach Bedarf.

Die schändlichen Dinge, zu denen Lunatscharski hinabgesunken ist, sind keine Ausnahme, sondern eine Ausgeburt des Empiriokritizismus, des russischen wie des deutschen. Es geht nicht an, sie mit den „guten Absichten" des Verfassers, mit dem „besonderen Sinn" seiner Worte zu verteidigen: wäre dieser Sinn der direkte und übliche, d. h. unmittelbar fideistische, so würden wir mit dem Verfasser überhaupt nicht diskutieren;

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denn es würde sich bestimmt kein einziger Marxist finden, den derartige Erklärungen m'dbt veranlassen würden, Anatoli Lunatscharski ganz und gar auf eine Stufe mit Peter Struve zu stellen. Wenn das nicht der Fall ist (und es ist noch nicht der Fall), so ist dies ausschließlich dem Umstand zu verdanken, daß wir den „besonderen" Sinn sehen, und wir kämpfen, solange noch eine Grundlage für kameradschaftlichen Kampf vorhanden ist. Das ist ja das Schändliche an den Erklärungen Lunatscharskis, daß er sie mit seinen „guten" Absichten verbinden konnte. Das ist ja das Schlimme an seiner „Theorie", daß sie solche Mittel bzw. solche Schlußfolgerungen bei der Realisierung guter Absichten zuläßt. Das ist ja das Pech, daß die „guten" Absichten bestenfalls eine subjektive Angelegenheit eines Karp, Pjotr oder Sidor bleiben, während die gesellschaftliche Bedeutung derartiger Erklärungen unbedingt und unbestreitbar ist und durch keinerlei Vorbehalte und Erläuterungen abgeschwächt werden kann.

Man müßte blind sein, um die geistige Verwandtschaft zwischen der „Vergottung der höchsten menschlichen Potenzen" bei Lunatscharski und der „universalen Substitution" des Psychischen für die ganze physische Natur bei Bogdanow nicht zu sehen. Es ist ein und derselbe Gedanke, ausgedrückt in dem einen Fall vornehmlich vom ästhetischen, in dem ändern vom erkenntnistheoretischen Standpunkt aus. Die „Substitution" vergottet ja bereits, stillschweigend und von einer anderen Seite her, die „höchsten menschlichen Potenzen", indem sie das „Psychische" vom Menschen lostrennt und das unermeßlich erweiterte, abstrakte, göttlich-tote „Psychische überhaupt" für die ganze physische Watur substituiert. Und wie steht es mit dem „Logos" Juschkewitschs, der „in den irrationalen Fluß des Gegebenen" hineingetragen wird?

Reiche dem Teufel den kleinen Finger, und er nimmt die ganze Hand. Unsere Machisten stecken alle tief im Idealismus, d. h. in einem abgeschwächten, raffinierten Fideismus, und zwar seit dem Augenblick, wo sie die „Empfindung" nicht für das Abbild der Außenwelt, sondern für ein besonderes „Element" genommen haben. Niemandes Empfindung, niemandes Psyche, niemandes Geist, niemandes Wille - dahin muß man unvermeidlich gelangen, wenn man die materialistische Theorie, nach der das menschliche Bewußtsein die "Widerspiegelung der objektiv-realen Außenwelt ist, nicht anerkennt.



Datum der letzten Änderung : Jena, den: 20.08.2013