Natriumchlorit

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
03 – Brandfördernd 06 – Giftig oder sehr giftig 08 – Gesundheitsgefährdend
05 – Ätzend 09 – Umweltgefährlich
Gefahr
H- und P-Sätze H:
  • Kann Brand oder Explosion verursachen; starkes Oxidationsmittel.
  • Giftig bei Verschlucken.
  • Lebensgefahr bei Hautkontakt.
  • Verursacht schwere Verätzungen der Haut und schwere Augenschäden.
  • Kann die Organe schädigen (alle betroffenen Organe nennen, sofern bekannt) bei längerer oder wiederholter Exposition (Expositionsweg angeben, wenn schlüssig belegt ist, dass diese Gefahr bei keinem anderen Expositionsweg besteht).
  • Sehr giftig für Wasserorganismen mit langfristiger Wirkung.
EUH:
  • Entwickelt bei Berührung mit Säure sehr giftige Gase.
  • Wirkt ätzend auf die Atemwege.
P:
  • Von Hitze, heißen Oberflächen, Funken, offenen Flammen und anderen Zündquellen fernhalten. Nicht rauchen.
  • Schutzhandschuhe/ Schutzkleidung/ Augenschutz/ Gesichtsschutz/ Gehörschutz/… tragen.
  • Bei Verschlucken: Mund ausspülen. Kein Erbrechen herbeiführen.
  • Sofort Giftinformationszentrum, Arzt oder … anrufen.
  • Bei Berührung mit der Haut [oder dem Haar]: Alle kontaminierten Kleidungsstücke sofort ausziehen. Haut mit Wasser abwaschen [oder duschen].
  • Bei Kontakt mit den Augen: Einige Minuten lang behutsam mit Wasser spülen. Eventuell vorhandene Kontaktlinsen nach Möglichkeit entfernen. Weiter spülen.
  • "Bei Brand: … zum Löschen … verwenden.
Toxikologische Daten 165 mg/kg (LD50Ratteoral)

Natriumchlorit mit der Summenformel NaClO2 – nicht zu verwechseln mit dem Kochsalz Natriumchlorid (NaCl) – ist das Natriumsalz der Chlorigen Säure. Seine hauptsächliche Anwendung ist neben dem direkten Einsatz als Oxidationsmittel die Herstellung von Chlordioxid, da dieses zu instabil für Transport und Lagerung ist. Es ist das Mittel der Wahl zur Herstellung von Chlordioxid zur Desinfektion von Wasser. Für die andere Hauptanwendung von Chlordioxid, der Zellstoffbleiche bzw. Papierherstellung, ist es generell zu teuer, es entsteht dort jedoch während des Bleichprozesses.

Strukturformel
Natriumion   Chlorition
Struktur mit freien Elektronenpaaren
Allgemeines
Name Natriumchlorit
Summenformel NaClO2
Kurzbeschreibung geruchloses, weißes Pulver
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 7758-19-2
EG-Nummer 231-836-6
ECHA-InfoCard 100.028.942
PubChem 23668197
DrugBank DB13210
Eigenschaften
Molare Masse 90,44 g/mol
Aggregatzustand fest
Dichte 2,43 g/cm3 (20 °C)
Schmelzpunkt Zersetzung bei 180–200 °C
Löslichkeit gut in Wasser (572 g/l bei 20 °C)

Gewinnung und Darstellung

Natriumchlorit kann aus der Reaktion von Chlordioxid mit Natronlauge erhalten werden. Hierzu wird die gasförmige Chlorverbindung in die Lauge eingeleitet. Als Produkt wird ein Gemisch aus Natriumchlorit und Natriumchlorat erhalten.

\mathrm{2\ ClO_2 + 2\ NaOH\ \longrightarrow \ NaClO_2 + NaClO_3 + H_2O}

Reines Natriumchlorit kann durch zusätzliche Zugabe von Wasserstoffperoxid erhalten werden.

\mathrm{2\ ClO_2 + 2\ NaOH + H_2O_2\ \longrightarrow \ 2\ NaClO_2 + O_2 + 2\ H_2O}

Im Labor stellt man auch zunächst Bariumchlorit her:

\mathrm{2\ ClO_2 + Ba(OH)_2\cdot8\ H_2O + H_2O_2\ \longrightarrow \ }\mathrm{Ba(ClO_2)_2 + O_2 + 10\ H_2O}
\mathrm{Ba(ClO_2)_2 + Na_2SO_4\cdot10\ H_2O\ \longrightarrow \ }\mathrm{2\ NaClO_2\cdot3\ H_2O + BaSO_4 + 4\ H_2O}

Eigenschaften

Wasserfreies Natriumchlorit (NaClO2) kristallisiert im monoklinen Kristallsystem in der Raumgruppe I2/a (Raumgruppen-Nr. 15, Stellung 7) mit den Gitterparametern a = 645,6 pm, b = 644,2 pm, c = 681,3 pm und β = 120,6°. In der Elementarzelle befinden sich vier Formeleinheiten. Das Trihydrat (NaClO2 · 3 H2O) kristallisiert triklin in der Raumgruppe P1 (Nr. 2) mit den Gitterparametern a = 696,0 pm, b = 884,2 pm, c = 550,4 pm, α = 92,36°, β = 119,09° und γ = 104,73° sowie zwei Formeleinheiten pro Elementarzelle.

Verwendung

Bleich- und Desinfektionsmittel

Hauptanwendungsgebiet für Natriumchlorit ist die Erzeugung von Chlordioxid, einem Bleichmittel von Textilien und Papier. Weiterhin wird es zur Desinfektion von Wasser in Wasseraufbereitungsanlagen genutzt. Auch in Reinigungsmitteln von Kontaktlinsen ist Natriumchlorit in geringer Konzentration zu finden. Es wurde im Rahmen von TTIP und dem Geflügelfleischexport der USA diskutiert, ob es in der EU eingeschränkt als Dekontaminationsmittel für Geflügelfleisch verwendet werden darf, wenn es rückstandslos abgespült wird.

Medizinische Verwendung

Medizinisch wird eine aus Natriumchlorit und Natriumhypochlorit entstehende und als „Reaktionsprodukt“ bezeichnete Verbindung in Form einer stark verdünnten wässrigen Lösung äußerlich zur Behandlung von Wunden und Wundheilungsstörungen verwendet. Die Wirksamkeit dieser Substanz, die die Struktur von Tetrachlordecaoxid aufweisen soll, gilt als umstritten.

Natriumchlorit stört die Funktion der Makrophagen, die einen Teil des Immunsystems bilden und an Entzündungsprozessen beteiligt sind. Man geht davon aus, dass die seltene Krankheit amyotrophe Lateralsklerose (ALS) mit einer Überaktivierung von Makrophagen einhergeht, wodurch hohe Konzentrationen an Zytokinen entstehen, die für die Schädigung von Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark verantwortlich sind. In den USA und in der EU hat Natriumchlorit zur Behandlung der ALS den Status eines Orphan-Arzneimittels, was für pharmazeutische Unternehmen Vergünstigungen hinsichtlich einer Arzneimittelzulassung zur Folge hat.

Missbräuchliche Verwendung

Unter dem Namen Miracle Mineral Supplement oder Master Mineral Solution (MMS) wird eine giftige Lösung von 28 % Natriumchlorit zusammen mit einer 10%igen „Aktivator“-Citronensäurelösung vertrieben. Der Name wurde zuerst vom amerikanischen Ingenieur Jim Humble in seinem 2006 im Selbstverlag erschienenen Buch The Miracle Mineral Solution of the 21st Century geprägt. MMS wird fälschlicher- und gefährlicherweise als Wundermittel für verschiedene Anwendungen vertrieben: Etwa als Nahrungsergänzungsmittel und alternatives Antibiotikum mit vorbeugenden oder gar heilenden Wirkungen gegenüber Krankheitserregern (z.B. Malaria) bis hin zur Behandlung von Krebserkrankungen, AIDS, Autismus und Demenz. Durch Einläufe von MMS sollen Betroffene von „Seilwürmern“ befreit werden können. Es gibt allerdings keinen ernstzunehmenden wissenschaftlichen Hinweis auf die Existenz von Seilwürmern. Bei diesen umstrittenen Therapiemethoden wird Natriumchloritlösung verabreicht, in welcher durch Zumischen von Citronensäure das hochreaktive giftige Chlordioxid freigesetzt wird, das normalerweise zu Desinfektionszwecken oder zum Bleichen verwendet wird.

Die Behandlung mit MMS wird als Quacksalberei eingestuft. Mehrere Gesundheitsbehörden haben inzwischen vor MMS gewarnt und teilweise auch konkrete Maßnahmen zum Verbraucherschutz ergriffen. 2009 wurden im australischen Bundesstaat Queensland einer Laienheilerin vom Brisbane Supreme Court Heilungsversprechen sowie die Verabreichung nicht zugelassener Arzneimittel untersagt, nachdem sie in ihrer Garage Krebskranken MMS intravenös verabreicht hatte. In Kanada wurde MMS im Mai 2010 von der Behörde Health Canada verboten und vor der Einnahme gewarnt. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) warnte mehrfach vor der Einnahme von MMS mit der Begründung, dass das Mittel industrielle Bleichmittel enthalte und es zu erheblichen Gesundheitsschäden kommen könne, zahlreiche Meldungen über gesundheitliche Schäden bei MMS-Kunden hätten die Behörde bereits erreicht. Vor MMS warnt ebenfalls die britische Lebensmittelaufsichtsbehörde (Food Standards Agency).

Im Oktober 2010 veröffentlichte das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic eine Mitteilung mit dem Titel „Warnung vor dem ‚Wundermittel‘ Miracle Mineral Supplements (MMS)“, die sich wiederum auf eine Warnung des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und der französischen Behörden Institut de veille sanitaire (InVS) und Agence française de sécurité sanitaire des produits de santé (Afssaps) bezog. In Frankreich waren zu diesem Zeitpunkt nach Einnahme von MMS als Solution minérale miracle mehrfach Vergiftungen beobachtet worden.

In Deutschland ermittelte Ende 2010 in Oberbayern die Staatsanwaltschaft gegen einen Arzt, der MMS an seine Patienten verkauft hatte. Er wurde 2012 verurteilt. Außerdem hat das Landgericht Hildesheim 2017 einen von zwei Brüdern, die MMS und MMS2 (eine Variante mit 70 % Calciumhypochlorit in Kapseln) von Dezember 2008 bis Juli 2014 mit einem Erlös von knapp 350.000 Euro vertrieben hatten, zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Eine Revision wurde 2019 vom Bundesgerichtshof abgewiesen.

Im Juli 2012 warnte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), indem es von der Einnahme und der Verwendung dringend abriet. Aufgrund der weitverbreiteten Werbung sah sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Ende Mai 2014 veranlasst, auf die fehlende Zulassung als Arzneimittel und die damit verbundenen Gefahren hinzuweisen. Auch die Verbraucherzentrale warnt vor der Einnahme wegen einer erheblichen Gesundheitsgefahr. Die Einnahme von MMS kann zu erheblichen Problemen führen, neben Übelkeit, Erbrechen und Durchfall in schwereren Fällen auch zu einer Schädigung der Erythrozyten, lebensbedrohliche Dehydratation und Nierenversagen. Es wurde von einem Todesfall innerhalb 12 Stunden nach Einnahme von MMS berichtet, es hat auch andere Todesfälle – auch von der FDA dokumentiert – gegeben. Schließlich kam es zu Todesfällen, als MMS als vermeintliches Mittel gegen SARS-CoV-2 eingenommen wurde.

Am 26. Februar 2015 stufte das BfArM die Präparate MMS und MMS2 der Firma Luxusline Ltd. als zulassungspflichtig ein. Zulassungspflichtige Arzneimittel dürfen grundsätzlich nur auf den Markt gebracht werden, wenn das pharmazeutische Unternehmen der Behörde gegenüber Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit nachgewiesen hat. Ferner beurteilte das BfArM die beiden Mittel auch als bedenklich: Es bestehe der „begründete Verdacht“, dass sie „bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein vertretbares Maß hinausgehen“. Das BfArM bestätigte damit seine kritische Einstellung gegenüber „Miracle Mineral Supplement“-Produkten. MMS2 ist noch gefährlicher als MMS, da durch die Magensäure Chlorgas freigesetzt wird. Dies führt dann häufig zu einer Verätzung der Speiseröhre.

Im Rahmen der COVID-19-Pandemie geriet MMS in Mittel- und Südamerika in den Fokus, nachdem durch eine Website angebliche Studien und Behandlungserfolge verbreitet wurden. Tatsächlich wurde von mehreren Fällen schwerer Verätzungen und auch Todesfälle in Bolivien berichtet.

Sicherheitshinweise / Risikobewertung

Eine 25%ige Lösung von Natriumchlorit ist gesundheitsschädlich beim Verschlucken. Bei Einwirkung von Säuren werden sehr giftige Gase frei. Es besteht die Gefahr ernsthafter Augenschäden. Vom Feststoff geht Giftwirkung und Feuergefahr bei Berührung mit brennbaren Stoffen aus. Weiterhin verursacht sie Verätzungen. In nicht stabilisierter Pulverform ist Natriumchlorit sehr giftig. Es verursacht Augenverätzungen und Hautverbrennungen mit Rötungen und Schmerzen. Bei Absorption durch die Haut kann es schädlich sein. Zudem verursacht es Verätzungen des Magen-Darm-Trakts und kann Übelkeit und Erbrechen verursachen. Das Einatmen von Dämpfen ruft Husten und Atemschwierigkeiten hervor, kann den Atemtrakt verätzen und auch tödlich sein.

Natriumchlorit wurde 2019 von der EU gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) im Rahmen der Stoffbewertung in den fortlaufenden Aktionsplan der Gemeinschaft (CoRAP) aufgenommen. Hierbei werden die Auswirkungen des Stoffs auf die menschliche Gesundheit bzw. die Umwelt neu bewertet und ggf. Folgemaßnahmen eingeleitet. Ursächlich für die Aufnahme von Natriumchlorit waren die Besorgnisse bezüglich Exposition von Arbeitnehmern und weit verbreiteter Verwendung sowie der möglichen Gefahren durch mutagene und reproduktionstoxische Eigenschaften. Die Neubewertung läuft seit 2019 und wird von Ungarn durchgeführt.

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Basierend auf einem Artikel in: Extern Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 24.10. 2024