Zinnorganische Verbindungen

Zinnorganische Verbindungen (Organozinnverbindungen, OZV, Zinnorganyle) ist die Sammelbezeichnung für metallorganische Verbindungen mit einer oder mehreren Zinn-Kohlenstoff-Bindungen, die mit der allgemeinen Formel RnSnXm beschrieben werden können. Hierbei ist „R“ eine Kohlenwasserstoff-Gruppe und X eine andere beliebige Gruppe wie zum Beispiel ein Halogen, Wasserstoff oder eine Hydroxygruppe (OH).

Geschichte

Die erste zinnorganische Verbindung wurde 1848 von Edward Frankland hergestellt, der durch Umsetzung von Ethyliodid mit elementarem Zinn eine klare farblose Flüssigkeit, das Diethylzinndiiodid erhielt:

{\displaystyle \mathrm {Sn+\ 2\ IC_{2}H_{5}\ {\xrightarrow[{}]{}}\ \ I_{2}Sn(C_{2}H_{5})_{2}\ } }

Aber erst fast 100 Jahre später begann die industrielle Nutzung von zinnorganischen Verbindungen als entdeckt wurde, dass insbesondere Diorganozinnverbindungen dazu genutzt werden können, um Polyvinylchlorid (PVC) gegen thermische und photochemischen Abbau zu stabilisieren. In Deutschland wurde zuerst 1950 Triphenylzinnacetat als Pestizid eingesetzt.

Herstellung

Zinnorganische Verbindungen lassen sich über verschiedene Wege herstellen. So reagieren Zinn(IV)halogenide, wie Zinntetrachlorid, bei Umsetzung mit metallorganischen Verbindungen, wie Grignard-Verbindungen, unter Bildung der entsprechenden Zinnorganyle:

{\displaystyle \mathrm {SnCl_{4}+\ 4\ MR\ {\xrightarrow[{}]{}}\ \ SnR_{4}\ +4MCl\ \ M=MgCl,Li,Al\ \ R=} {\text{ organischer Rest}}}

Eine weitere Möglichkeit bietet die Wurtz-Reaktion, bei der Zinntetrachlorid mit Alkylhalogeniden in Gegenwart von elementarem Natrium reagiert:

{\displaystyle \mathrm {SnCl_{4}+\ 4\ ClR\ {\xrightarrow[{-8NaCl}]{+8Na}}\ \ SnR_{4}\ \ M=MgCl,Li,Al\ \ R=} {\text{ organischer Rest}}}

Organozinnhalogenide werden meist aus Tetraorganozinnverbindungen durch elektrophile Substitution gewonnen:

{\displaystyle \mathrm {SnR_{4}+\ XY\ {\xrightarrow[{}]{}}\ \ R_{3}SnX+\ RY\ R={\text{ organischer Rest}},\ XY=SnCl_{4},HCl,HBr,I_{2},Br_{2},Cl_{2}} }

Gemische zinnorganischer Verbindungen lassen sich durch weitere Alkylierung von teilweise halogenierten zinnorganischen Verbindungen herstellen:

{\displaystyle \mathrm {SnR_{2}Cl_{2}+\ 2\ LiR'\ {\xrightarrow[{}]{}}\ \ SnR_{2}R'_{2}\ +2LiCl\ \ R,R'={\text{ organische Reste}}} }

Zinnorganischer Verbindungen reagieren häufig unter Komproportionierung miteinander:

{\displaystyle \mathrm {Sn(CH_{3})_{4}+\ Cl_{2}SnBu_{2}\ {\xrightarrow[{}]{}}\ \ (H_{3}C)_{3}Sn(Bu)Cl\ \ Bu={\text{Butylgruppe}}} }

Alkylzinnhydride lassen sich durch Reaktion von Organozinnhalogeniden mit Reduktionsmitteln wie Lithiumaluminiumhydrid gewinnen:

{\displaystyle \mathrm {2\ R_{3}SnCl+\ LiAlH_{4}\ {\xrightarrow[{}]{}}\ \ 2\ R_{3}SnH+\ LiAlH_{2}Cl_{2}\ R=} {\text{ organischer Rest}}}

Diese reagieren mit Alkenen und Alkinen über eine Additionsreaktion:

{\displaystyle \mathrm {R_{3}SnH+\ H_{2}C=CHR\ {\xrightarrow[{}]{}}\ \ R_{3}Sn-CH_{2}-CHR\ \ R=} {\text{ organischer Rest}}}

Verwendung

Zinnorganische Verbindungen können als Biozide unter anderem in Holzschutzmitteln, als Kunststoffadditive und in Katalysatoren eingesetzt werden. Von den Ende der 1990er Jahre weltweit jährlich produzierten 40.000 Tonnen zinnorganischer Verbindungen wurden etwa

verwendet. Dabei haben zinnorganische Verbindungen den Vorteil, dass sie eine relativ geringe Pflanzentoxizität (Phytotoxizität) besitzen und sich in der Umwelt rasch in harmlose Verbindungen umwandeln. Aufgrund ihrer Ökotoxizität und den Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit ist die Verwendung von zinnorganischen Verbindungen in der EU weitgehend verboten (siehe Abschnitt Toxische Eigenschaften).

1999 wurden weltweit ca. 75.000 Tonnen Organozinn-verbindungen eingesetzt. In Europa wurden folgende Mengen verwendet:

Tonnen 2002 2007
PVC-Stabilisatoren 15000 16000
Katalysatoren 1300–1600 ~2000
Andere Anwendungen    
• Glasbeschichtung 760–800 760–800
• Biozide in Anti-Fouling-Farben 1250 sinkend
• Synthese < 150 ~500
• Biozide (andere) < 100 sinkend
• Pestizide 100 unbekannt
Gesamt ~19000 ~21000

Zinnorganische Verbindungen werden in der organischen Synthese in einer ganzen Reihe von Reaktionen, wie bei der Herstellung von lithiumorganischen Verbindungen oder für Dehalogenierungsreaktionen verwendet.

Toxische Eigenschaften

Die toxischen Eigenschaften zinnorganischer Verbindungen variieren mit der Anzahl und Art der organischen Substituenten (R), die meisten werden inzwischen als giftig eingestuft und muss daher mit entsprechender Vorsicht gehandhabt werden. Die toxische Wirkung zielt insbesondere auf die Nieren, das zentrale Nervensystem, Leber, Nebennieren, Thymus, Milz, Harnblase, Hoden und Nebenhoden.

Vereinfacht können zinnorganische Verbindungen für industriell verwendete Stoffe wie folgt zusammengefasst werden:

Der Einsatz von zinnorganischen Verbindungen ist aufgrund ihrer Ökotoxizität rückläufig. Beispielsweise ist das früher als Antifouling-Wirkstoff in Schiffsanstrichmitteln eingesetzte Tributylzinnoxid (TBTO) aufgrund seiner hohen Ökotoxizität in vielen Ländern (eingeschränkt) verboten. In der EU ist der Einsatz von Phenylzinnverbindungen in der Landwirtschaft als Fungizide seit 1998 und als Algizide und Molluskizide in Anti-fouling-Farben seit 2003 verboten. Aufgrund ihrer Wirkung auf den Menschen und Tiere sind trisubstituierte zinnorganische Verbindungen (Tributylzinn, Triphenylzinn u.a.) in Deutschland seit Juni 2010 in Verbraucherprodukten verboten. Disubstituierte zinnorganische Verbindungen (z.B. Dimethylzinn- und Dibutylzinn- und Dioctylzinnverbindungen u.a.) seit Januar 2012.

Vorkommen in der Umwelt

Zinnorganische Verbindungen sind weltweit in der Umwelt zu finden, wobei ein Teil durch natürliche Prozesse (Biomethylierung) entstanden, der andere durch Herstellung und Gebrauch in die Umwelt gelangt ist. Zinnorganische Verbindungen wurden u.a. in Hausstaub und Hafensedimenten nachgewiesen.

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Basierend auf einem Artikel in: Extern Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 18.10. 2023