Von der logischen Funktion des Verstandes in Urteilen | Inhalt | Übersicht der Kategorien

LEITFADEN DER ENTDECKUNG ALLER REINEN VERSTANDESBEGRIFFE

Dritter Abschnitt
Von den reinen Verstandeshegriffen oder Kategorien

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Die allgemeine Logik abstrahiert, wie mehrmals schon gesagt wurde, von allem Inhalt der Erkenntnis und erwartet, daß ihr anderwärts, woher es auch sei, Vorstellungen gegeben werden, um sie zuerst in Begriffe zu verwandeln, welches analytisch zugeht. Dagegen hat die transzendentale Logik ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori vor sich liegen, das die transzendentale Ästhetik ihr darbietet, um zu den reinen Verstandesbegriffen einen Stoff zu geben, ohne den sie ohne allen Inhalt, mithin völlig leer sein würden. Raum und Zeit enthalten nun ein Mannigfaltiges der reinen Anschauung a priori, gehören aber gleichwohl zu den Bedingungen der Rezeptivität unseres Gemüts, unter denen es allein Vorstellungen von Gegenständen empfangen kann, die mithin auch ihren Begriff jederzeit affizieren müssen. Allein die Spontaneität unseres Denkens erfordert es, daß dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen, aufgenommen und verbunden werde, um daraus eine Erkenntnis zu machen. Diese Handlung nenne ich Synthesis.

Ich verstehe aber unter Synthesis in der allgemeinsten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzutun und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen. Eine solche Synthesis ist rein, wenn das Mannigfaltige nicht empirisch, sondern a priori gegeben ist (wie das im Raum und in der Zeit). Vor aller Analysis unserer Vorstellungen müssen sie zuvor gegeben sein, und es können keine Begriffe dem Inhalt nach analytisch entspringen. Die Synthesis eines Mannigfaltigen aber (es sei empirisch oder a priori gegeben) bringt zuerst eine Erkenntnis hervor, die zwar anfänglich noch roh und verworren sein kann und also der Analysis bedarf; allein die Synthesis ist doch dasjenige, was eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammelt und zu einem gewissen Inhalt vereinigt; sie ist also das erste, worauf wir achtzugeben haben, wenn wir über den ersten Ursprung unserer Erkenntnis urteilen wollen.

Die Synthesis überhaupt ist, wie wir künftig sehen werden, die bloße Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich un-

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entbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden, der wir uns aber selten nur einmal bewußt sind. Allein diese Synthesis auf Begriffe zu bringen, ist eine Funktion, die dem Verstand zukommt und wodurch er uns allererst die Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung verschafft.

Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, gibt nun den reinen Verstandesbegriff. Ich verstehe aber unter dieser Synthesis diejenige, die auf einem Grund der synthetischen Einheit a priori beruht: so ist unser Zählen (vornehmlich ist es in größeren Zahlen merklicher) eine Synthesis nach Begriffen, weil sie nach einem gemeinschaftlichen Grund der Einheit geschieht (z. B. der Dekadik). Unter diesem Begriff wird also die Einheit in der Synthesis des Mannigfaltigen notwendig.

Analytisch werden verschiedene Vorstellungen unter einen Begriff gebracht (ein Geschäft, wovon die allgemeine Logik handelt). Aber nicht die Vorstellungen, sondern die reine Synthesis der Vorstellungen auf Begriffe zu bringen, lehrt die transzendentale Logik. Das erste, was uns zum Behuf der Erkenntnis aller Gegenstände a priori gegeben sein muß, ist das Mannigfaltige der reinen Anschauung; die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft ist das zweite, gibt aber noch keine Erkenntnis. Die Begriffe, die dieser reinen Synthesis Einheit geben und lediglich in der Vorstellung dieser notwendigen synthetischen Einheit bestehen, tun das dritte zur Erkenntnis eines vorkommenden Gegenstandes und beruhen auf dem Verstand.

Dieselbe Funktion, die den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteil Einheit gibt, gibt auch der bloßen Synthesis verschiedene Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, die, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt. Derselbe Verstand also, und zwar durch ebendieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen durch die analytische Einheit die logische Form eines Urteils zustande brachte, bringt auch durch synthetische Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann.

Auf solche Weise entspringen geradesoviel reine Verstandesbegriffe, die a priori auf Gegenstände der Anschauung überhaupt gehen, als es in der vorigen Aufzählung logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gab: denn der Verstand ist durch ge-

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dachte Funktionen völlig erschöpft und sein Vermögen dadurch gänzlich ausgemessen. Wir wollen diese Begriffe nach dem Aristoteles Kategorien nennen, indem unsere Absicht uranfänglich mit der seinigen zwar einerlei ist, obgleich sie sich davon in der Ausführung gar sehr entfernt.




Datum der letzten Änderung : Jena, den : 11.09. 2014