3. Über Kausalität und Notwendigkeit in der Natur | Inhalt | 5. Raum und Zeit

4. Das „Prinzip der Denkökonomie" und die Frage der „Einheit der Welt"

165

„Das Prinzip des ,kleinsten Kraftmaßes', das Mach, Avenarius und viele andere zur Grundlage der Erkenntnistheorie machen, ist... zweifellos eine ,marxistische' Tendenz in der Erkenntnistheorie."

So verkündet W. Basarow in den „Beiträgen", S. 69.

Marx hat eine „Ökonomie". Mach hat eine „Ökonomie". Ist es wirklich „zweifellos", daß zwischen dem einen und dem anderen auch nur die Spur eines Zusammenhanges besteht?

Das Werk von Avenarius: „Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes" (1876) wendet, wie wir gesehen haben, dieses „Prinzip" so an, daß im Namen der „Denkökonomie" nur die Empfindung für existierend erklärt wird. Sowohl Kausalität als auch „Substanz" (ein Wort, das die Herren Professoren „um der Wichtigkeit halber" mit Vorliebe statt des klareren und genaueren Ausdrucks Materie

166

gebrauchen) werden im Namen derselben Ökonomie für „beseitigt" erklärt, d. h., es ergibt sich Empfindung ohne Materie, Gedanke ohne Gehirn. Dieser ausgemachte Unsinn ist ein Versuch, den subjektiven Idealismus neu zubereitet wieder aufzutischen. In der philosophischen Literatur wird, wie wir gesehen haben, diesem Hauptwerk über die famose „Denkökonomie" eben dieser Charakter allgemein zuerkannt. Wenn unsere Machisten den subjektiven Idealismus unter der „neuen" Flagge nicht bemerkt haben, dann gehört das in das Gebiet der Kuriosa.

Mach beruft sich in der „Analyse der Empfindungen" (S. 49 der russ. Übersetzung [S. 40]) unter anderem auf seine dieser Frage gewidmete Arbeit aus dem Jahre 1872. Auch in dieser Arbeit wird, wie wir gesehen . haben, der Standpunkt des reinen Subjektivismus vertreten und die Welt auf Empfindungen reduziert. In den zwei grundlegenden Werken also, die dieses berühmte „Prinzip" in die Philosophie einführten, wird der Idealismus vertreten! Worum handelt es sich? Darum, daß das Prinzip der Denkökonomie, wenn es wirklich „zur Grundlage der Erkenntnistheorie" gemacht wird, zu nichts anderem führen kann als zum subjektiven Idealismus. Es ist am „ökonomischsten", zu „denken", daß nur ich und meine Empfindungen existieren - das ist unbestreitbar, sobald wir einen derart ungereimten Begriff in die Erkenntnistheorie hineintragen.

Ist es „ökonomischer", das Atom als unteilbar oder als aus positiven und negativen Elektronen bestehend zu „denken"? Ist es „ökonomischer", zu denken, daß die russische bürgerliche Revolution von den Liberalen oder daß sie gegen die Liberalen durchgeführt wird? Es genügt, die Frage zu stellen, um die Absurdität, den Subjektivismus dieser Anwendung der Kategorie der „Denkökonomie" zu erkennen. Das menschliche Denken ist dann „ökonomisch", wenn es die objektive Wahrheit richtig widerspiegelt, und das Kriterium dieser Richtigkeit ist die Praxis, das Experiment, die Industrie. Nur wenn die objektive Realität geleugnet wird, d. h. wenn die Grundlagen des Marxismus geleugnet werden, kann man im Ernst von einer Denkökonomie in der Erkenntnistheorie sprechen!

Werfen wir einen Blick auf die späteren Arbeiten Machs, so finden wir eine Interpretation des berühmten Prinzips, die durchweg einer völligen Negierung desselben gleichkommt. In der „Wärmelehre" zum Beispiel kehrt Mach zu seiner Lieblingsidee von der „ökonomischen Natur" der Wissenschaft (S. 366 der zweiten dtsch. Aufl.) zurück. Gleich darauf aber

167

sagt er: Selbstredend wirtschaftet man nicht nur, um zu wirtschaften (366; wiederholt 391), „das Ziel der wissenschaftlichen Wirtschaft ist ein möglichst vollständiges... ruhiges... Weltbild" (366). Wenn dem so ist, wird das „Prinzip der Ökonomie" nicht nur aus den Grundlagen der Erkenntnistheorie, sondern dem Wesen der Sache nach aus der Erkenntnistheorie überhaupt entfernt. Sagen, daß es das Ziel der Wissenschaft sei, ein richtiges (die Ruhe hat hier überhaupt nichts zu schaffen) Weltbild zu geben, heißt eine materialistische Behauptung wiederholen. Das sagen, heißt die objektive Realität der Welt in bezug auf unsere Erkenntnis, des Modells in bezug auf das Bild anerkennen. Ökonomie des Denkens in diesem Zusammenhang ist einfach ein plumpes und komisch geschraubtes Wort für Richtigkeit. Wie gewöhnlich ist Mach hier konfus, die Machisten aber stehen da und beten die Konfusion an!

In „Erkenntnis und Irrtum" lesen wir in dem Kapitel „Beispiele von Forschungswegen":

„Die vollständige und einfachste Beschreibung' (Kirchhoff 1874), ,die ökonomische Darstellung des Tatsächlichen' (Mach 1872), Übereinstimmung des Denkens mit dem Sein und Übereinstimmung der Denkprozesse unter sich' (Graßmann 1844) geben mit geringen Variationen demselben Gedanken Ausdruck."

Ist das nicht ein Muster an Konfusion? Die „Ökonomie des Denkens", aus der Mach im Jahre 1872 die alleinige Existenz der Empfindungen ableitete (ein Standpunkt, dessen idealistischen Charakter er später selbst zugeben mußte), wird hier gleichgesetzt dem rein materialistischen Ausspruch des Mathematikers Graßmann über die Notwendigkeit, das Denken mit dem Sein in Übereinstimmung zu bringen! wird gleichgesetzt der einfachsten Beschreibung (der objektiven Realität, deren Existenz zu bezweifeln Kirchhoff gar nicht einfiel!).

Eine solche Anwendung des Prinzips der „Denkökonomie" ist einfach ein Musterbeispiel der kuriosen philosophischen Schwankungen Machs. Läßt man aber solche Stellen als Kuriosa oder Lapsus beiseite, dann wird der idealistische Charakter des „Prinzips der Denkökonomie" unzweifelhaft. Der Kantianer Hönigswald zum Beispiel begrüßt in seiner Polemik gegen die Philosophie Machs dessen „Prinzip der Ökonomie" als Annäherung an den „Kantschen Gedankenkreis" (Dr. Richard Hönigswald, „Zur Kritik der Machschen Philosophie", Berlin 1903, S. 27). In der Tat,

168

wenn man die uns in den Empfindungen gegebene objektive Realität nicht anerkennt, wo anders kann dann das „Prinzip der Ökonomie" herkommen als aus dem Subjekt? Die Empfindungen enthalten natürlich keinerlei „Ökonomie". Also liefert das Denken etwas, was in den Empfindungen gar nicht vorhanden ist! Also wird das „Prinzip der Ökonomie" nicht aus der Erfahrung (= Empfindungen) genommen, sondern es geht jeder Erfahrung voraus, ist deren logische Bedingung, wie es die Kategorien Kants sind. Hönigswald zitiert folgende Stelle aus der „Analyse der Empfindungen" : „Wir können . .. aus unserer körperlichen und geistigen Stabilität auf die Stabilität, eindeutige Bestimmtheit und Einsinnigkeit der Vorgänge in der Natur schließen." (S, 281 der russ. Übersetzung [S. 287].) Und in der Tat, der subjektiv-idealistische Charakter derartiger Behauptungen unterliegt ebensowenig einem Zweifel wie die nahe Verwandtschaft Machs mit Petzoldt, der sich bis zum Apriorismus verstiegen hat.

Der Idealist Wundt bezeichnet Mach im Hinblick auf das „Prinzip der Ökonomie des Denkens" sehr treffend als einen „umgekehrten Kant" („Systematische Philosophie", Leipzig 1907, S. 128): Kant hat das a priori und die Erfahrung, Mach hat die Erfahrung und das a priori, denn das Prinzip der Denk Ökonomie ist bei Mach dem Wesen der Sache nach ein apriorisches (130). Die [Verknüpfung] ist entweder in den Dingen selbst als ein „objektives Gesetz der Natur, was Mach ausdrücklich ablehnt", oder sie ist ein „subjektives Prinzip der Beschreibung" (130). Das Ökonomieprinzip Machs ist subjektiv und [kommt wie aus der Pistole geschossen] man weiß nicht woher, als eine teleologische Maxime, die vieldeutig ist (131). Man sieht: die Spezialisten in der philosophischen Terminologie sind nicht so naiv wie unsere Machisten, die bereit sind, aufs Wort zu glauben, daß ein „neues" Schlagwort den Gegensatz von Subjektivismus und Objektivismus, von Idealismus und Materialismus beseitige.

Schließlich wollen wir uns noch auf den englischen Philosophen James Ward berufen, der sich selbst ohne Umschweife einen spiritualistischen Monisten nennt. Er polemisiert nicht gegen Mach, im Gegenteil, er bedient sich, wie wir später sehen werden, der ganzen machistischen Strömung in der Physik für seinen Kampf gegen den Materialismus. Und er erklärt mit aller Bestimmtheit, Machs „Leitmotiv der Simplizität" sei „ein hauptsächlich subjektives, nicht objektives" („Naturalism and Agnosticism", v. I, 3rd ed., p. 82).

169

Daß die deutschen Kantianer und die englischen Spiritualisten am Prinzip der Denkökonomie als Grundlage der Erkenntnistheorie Gefallen finden, kann nach allem oben Gesagten nicht verwunderlich erscheinen. Daß aber Leute, die Marxisten sein möchten, die politische Ökonomie des Materialisten Marx mit der erkenntnistheoretischen Ökonomie Machs auf eine Stufe stellen, das ist einfach zum Lachen.

Hier sind einige Worte über die „Einheit der Welt" am Platz. Herr P. Juschkewitsch zeigte bei dieser Frage - zum hundertsten und tausendsten Male - anschaulich die maßlose Konfusion, die unsere Machisten anrichten. Im „Anti-Dühring" sagt Engels, gegen Dühring polemisierend, der die Einheit der Welt aus der Einheit des Denkens ableitete: „Die wirkliche Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität, und diese ist bewiesen nicht durch ein paar Taschenspielerphrasen, sondern durch eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft." (S. 3l.)66 Herr Juschkewitsch zitiert diese Stelle und „erwidert": „Hier ist vor allem unklar, was die Behauptung, ,die Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität', eigentlich bedeuten soll." (Zit. Schrift, S. 52.)

Nett, nicht wahr? Dieses Subjekt unternahm es, öffentlich über die Philosophie des Marxismus zu schwatzen, um nun zu erklären, daß ihm die elementarsten Sätze des Materialismus „unklar" seien! Engels zeigte an dem Beispiel Dührings, daß eine halbwegs konsequente Philosophie die Einheit der Welt entweder aus dem Denken ableiten kann - dann ist sie gegenüber dem Spiritualismus und Fideismus hilflos (S. 30 des „Anti-Dühring"), und die Argumentation einer solchen Philosophie läuft unausweichlich auf Taschenspielerphrasen hinaus - oder aus jener objektiven Realität, die außer uns existiert, seit langem in der Erkenntnistheorie als Materie bezeichnet und von der Naturwissenschaft erforscht wird. Mit einem Menschen, dem so etwas „unklar" ist, ernsthaft zu sprechen, lohnt nicht, denn er redet hier von „Unklarheit", um sich vor einer sachlichen Antwort auf den völlig klaren materialistischen Satz von Engels gaunerhaft zu drücken, und wiederholt dabei den echt Dühringschen Unsinn über „das Kardinalpostulat der prinzipiellen Homogenität und Verbundenheit des Seins" (Juschkewitsch, zit. Schrift, S. 51) und spricht von Postulaten als „Sätzen", von denen „es ungenau wäre zu sagen, daß sie aus der Erfahrung abgeleitet seien, denn die wissenschaftliche Erfahrung ist nur darum möglich, weil sie zur Grundlage der

170

Forschung gemacht werden" (ebenda). Das ist ein einziger Galimathias; denn hätte dieser Mensch auch nur ein wenig Achtung vor dem gedruckten Wort, dann würde er in der Idee, daß es Sätze geben könne, die nicht aus der Erfahrung genommen seien und ohne die eine Erfahrung unmöglich sei, den idealistischen Charakter im allgemeinen und den kantianischen im besonderen erkennen. Ein Schwall von Worten, aus den verschiedensten Büchern zusammengeklaubt und mit offenkundigen Irrtümern des Materialisten Dietzgen gekoppelt - das ist die „Philosophie" der Herren Juschkewitsch.

Wenden wir uns lieber den Betrachtungen eines ernsten Empiriokritikers, Joseph Petzoldts, über die Einheit der Welt zu. § 29 des zweiten Bandes seiner „Einführung" ist betitelt: „Das Streben nach [einheitlicher] Auffassung der Erkenntnisgebiete. Das Postulat der Eindeutigkeit alles Geschehens." Hier einige Proben seiner Ausführungen: „... Erst in der Einheit ist das natürliche Ziel gefunden, über das keine Denkbarkeit mehr hinausweist, in der das Denken also, falls sie nur allen Tatsachen des betreffenden Gebietes gerecht wird, zur Ruhe kommen kann." (79.) „... Es ist gewiß, daß die Natur keineswegs immer dem Verlangen nach Einheit entspricht, ebenso gewiß aber auch, daß sie trotzdem in vielen Fällen schon heute sein Verlangen nach Ruhe stillt, und für höchstwahrscheinlich muß es bereits nach unseren bisherigen Untersuchungen gelten, daß sie es künftig in allen Fällen stillen wird. Wir beschreiben daher das tatsächliche seelische Verhalten richtiger als ein Drängen nach Dauerzuständen denn als ein Drängen nach Einheit... Das Prinzip der Dauerzustände reicht weiter und tiefer ... Haeckels Vorschlag, neben Pflanzen- und Tierreich ein Reich der Protisten zu stellen, war keine haltbare Lösung, da er zwei neue Schwierigkeiten an die Stelle der einen setzte: war früher nur die Grenze zwischen Tier und Pflanze fraglich, so ließen sich jetzt die Protisten weder gegen die Pflanzen noch gegen die Tiere scharf abgrenzen ... Es liegt auf der Hand, daß das kein [endgültiger] Zustand ist. Solche Zweideutigkeit von Begriffen muß auf irgendwelchem Wege einmal beseitigt werden, und wäre es in Ermangelung eines anderen schließlich auch nur auf dem der Übereinkunft der Fachmänner durch einen Majoritätsbeschluß." (80/81.)

Ich glaube, das genügt. Es ist klar, daß der Empiriokritiker Petzoldt um kein Haar besser ist als Dühring. Man soll aber auch dem Gegner

171

Gerechtigkeit widerfahren lassen: Petzoldt ist bei seiner wissenschaftlichen Arbeit wenigstens so gewissenhaft, daß er in jedem seiner Werke den Materialismus als philosophische Richtung entschieden und unentwegt bekämpft. Er erniedrigt sich wenigstens nicht so weit, Materialismus zu markieren und den elementarsten Unterschied zwischen den philosophischen Grundrichtungen als „unklar" zu proklamieren.



Datum der letzten Änderung : Jena, den: 06.04.2013