2. Plechanows Irrtum bezüglich des Begriffs „Erfahrung“ | Inhalt | 4. Das „Prinzip der Denkökonomie" und die Frage der „Einheit der Welt"

3. Über Kausalität und Notwendigkeit in der Natur

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Die Frage der Kausalität ist für die Bestimmung der philosophischen Linie des einen oder anderen neuesten „Ismus" besonders wichtig, wes­halb wir bei dieser Frage etwas länger verweilen müssen.

Beginnen wir mit der Darstellung der materialistischen Erkenntnistheorie in diesem Punkt. Die Ansichten L. Feuerbachs sind von diesem besonders klar in seiner schon früher erwähnten Entgegnung an R. Haym dargelegt:

„,Die Natur und der Verstand des Menschen', sagt Haym, ,fällt ihm (dem Feuerbach) schlechtweg auseinander, und zwischen beiden tut sich ihm eine Kluft auf, über welche weder von hüben nach drüben noch von drüben nach hüben zu kommen ist', und er gründet diesen Vorwurf hauptsächlich auf den Paragraphen 48, Wesen der Religion, wo geschrieben steht, daß ,die Natur nur durch sich selbst zu fassen, daß die Notwendigkeit derselben keine menschliche oder logische, metaphysische oder mathematische, d. h. keine abstrakte, daß die Natur allein das Wesen sei, an welches kein menschlicher Maßstab angelegt werden dürfe und könne, ob wir gleich ihre Erscheinungen mit analogen menschlichen Erscheinungen vergleichen und bezeichnen, um sie uns verständlich zu machen, überhaupt menschliche Ausdrücke und Begriffe, wie Ordnung, Zweck, Gesetz auf sie anwenden und in Gemäßheit der Natur unserer Sprache auf sie anwenden müssen'. Was heißt das? Ist damit gesagt: es ist in der Natur keine Ordnung, also daß z. B. auf den Herbst der Sommer, auf den Frühling der Winter, auf den Winter der Herbst folgt? Kein Zweck, also daß z. B. zwischen der Lunge und der Luft, zwischen dem Licht und dem Auge, zwischen dem Schall und dem Ohre keine Übereinstimmung stattfindet? Kein Gesetz, also daß z. B. die Erde bald in einer Ellipse, bald in einem Kreise, bald in einem Jahr, bald in einer Viertelstunde sich um die Sonne bewegt? Welch ein Unsinn! Was will also jener Paragraph? Nichts weiter als unterscheiden zwischen dem, was der Natur, und dem, was dem Menschen angehört; er behauptet nicht, daß den Worten oder Vorstellungen von Ordnung, Zweck, Gesetz nicht etwas Wirkliches in der Natur entspricht, er leugnet nur die Identität von Denken und Sein, er leugnet nur, daß sie so in der Natur wie im Kopfe oder Sinne des Menschen existieren. Ordnung, Zweck, Gesetz sind Worte, mit denen der Mensch die Werke

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der Natur in seine Sprache übersetzt, um sie zu verstehen; es sind [nicht sinn-, d. h. gegenstandlose Worte]; aber gleichwohl muß ich zwischen dem Original und der Übersetzung unterscheiden. Ordnung, Zweck, Gesetz drücken nämlich im Sinne des Menschen etwas Willkürliches aus.

Der Theismus schließt ja ausdrücklich aus der Zufälligkeit der Ordnung, Zweck- und Gesetzmäßigkeit der Natur auf einen willkürlichen Ursprung derselben, auf ein von der Natur unterschiedenes Wesen, welches in die [an sich dissolute], gegen alle Bestimmung gleichgültige Natur Ordnung, Zweck- und Gesetzmäßigkeit hineingebracht habe. Der theistische Verstand ... ist der Verstand im Widerspruch mit der Natur, der für das Wesen der Natur absolut sinn- und verstandlose Verstand. Der theistische Verstand zerreißt die Natur in zwei Wesen, in ein materielles und formelles oder geistiges." (Werke, VII. Band, 1903, S. 518-520.)

Feuerbach erkennt also die objektive Gesetzmäßigkeit in der Natur, die objektive Kausalität an, die durch die menschlichen Vorstellungen von Ordnung, Gesetz usw. nur annähernd richtig widergespiegelt wird. Die Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur ist bei Feuerbach mit der Anerkennung der objektiven Realität der Außenwelt, der Gegenstände, Körper, Dinge, die von unserem Bewußtsein widergespiegelt werden, unauflöslich verbunden. Die Auffassungen Feuerbachs sind konsequent materialistisch. Und jede andere Auffassung, richtiger jede andere philosophische Linie in der Frage der Kausalität, die Leugnung der objektiven Gesetzmäßigkeit, Kausalität, Notwendigkeit in der Natur, zählt Feuerbach mit Recht zur Richtung des Fideismus. Denn es ist in der Tat einleuchtend, daß die subjektivistische Linie in der Frage der Kausalität, die Ableitung der Ordnung und Notwendigkeit in der Natur nicht aus der objektiven Außenwelt, sondern aus dem Bewußtsein, dem Verstand, der Logik u. a. m., nicht nur den menschlichen Verstand von der Natur losreißt, nicht nur jenen dieser entgegensetzt, sondern die Natur zu einem Teil des Verstandes macht, statt den Verstand als einen Teil der Natur zu betrachten. Die subjektivistische Linie in der Frage der Kausalität ist philosophischer Idealismus (zu dessen Spielarten die Kausalitätstheorien sowohl Humes als auch Kants gehören), d. h. ein mehr oder weniger abgeschwächter, verwässerter Fideismus. In Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur und der annähernd richtigen

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Widerspiegelung dieser Gesetzmäßigkeit im Kopf des Menschen ist Materialismus.

Was Engels betrifft, so hatte er, wenn ich nicht irre, keinen Anlaß, speziell in der Frage der Kausalität seinen materialistischen Standpunkt den anderen Richtungen gegenüberzustellen. Er brauchte das nicht, nachdem er sich in der fundamentaleren Frage nach der objektiven Realität der Außenwelt überhaupt sehr bestimmt von allen Agnostikern abgegrenzt hatte. Wer aber seine philosophischen Schriften halbwegs aufmerksam gelesen hat, dem muß doch klar sein, daß Engels auch nicht den geringsten Zweifel an der Existenz der objektiven Gesetzmäßigkeit, Kausalität, Notwendigkeit in der Natur zuließ. Wir beschränken uns auf wenige Beispiele. Gleich im ersten Paragraphen des „Anti-Dühring" sagt Engels: „Um diese Einzelheiten" (des Gesamtbildes der Erscheinungen der Welt) „zu erkennen, müssen wir sie aus ihrem [natürlichen] oder geschichtlichen Zusammenhang herausnehmen und sie, jede für sich, nach ihrer Beschaffenheit, ihren besondern Ursachen und Wirkungen etc. untersuchen." (5/6.) Daß dieser natürliche Zusammenhang, der Zusammenhang der Naturerscheinungen, objektiv existiert, ist offenkundig. Engels betont besonders die dialektische Auffassung von Ursache und Wirkung: „... daß Ursache und Wirkung Vorstellungen sind, die nur in der Anwendung auf den einzelnen Fall als solche Gültigkeit haben, daß sie aber, sowie wir den einzelnen Fall in seinem allgemeinen Zusammenhang mit dem Weltganzen betrachten, zusammengehn, sich auflösen in der Anschauung der universellen Wechselwirkung, wo Ursachen und Wirkungen fortwährend ihre Stelle wechseln, das was jetzt oder hier Wirkung, dort oder dann Ursache wird und umgekehrt." (8.) Also, der menschliche Begriff von Ursache und Wirkung vereinfacht immer etwas den objektiven Zusammenhang der Naturerscheinungen, er spiegelt ihn nur annähernd wider, indem er diese oder jene Seiten des einen einheitlichen Weltprozesses künstlich isoliert. Finden wir, daß die Denkgesetze mit den Naturgesetzen übereinstimmen, so wird das, sagt Engels, ganz verständlich, wenn wir in Betracht ziehen, daß Denken und Bewußtsein „Produkte des menschlichen Hirns und daß der Mensch selbst ein Naturprodukt". Es versteht sich, daß „die Erzeugnisse des menschlichen Hirns, die in letzter Instanz ja auch Naturprodukte sind dem übrigen [Naturzusammenhang] nicht widersprechen, sondern entsprechen" (22).61 Daß ein

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natürlicher, objektiver Zusammenhang der Welterscheinungen besteht, ist unbestreitbar. Von „Naturgesetzen", von „ [Naturnotwendigkeiten]" spricht Engels beständig, ohne daß er es für nötig hält, die allgemein bekannten Thesen des Materialismus besonders zu erläutern.

Auch im „Ludwig Feuerbach" lesen wir von „... den allgemeinen Gesetzen der Bewegung, sowohl der äußern Welt wie des menschlichen Denkens - zwei Reihen von Gesetzen, die der Sache nach identisch, dem Ausdruck nach aber insofern verschieden sind, als der menschliche Kopf sie mit Bewußtsein anwenden kann, während sie in der Natur und bis jetzt auch großenteils in der Menschengeschichte sich in unbewußter Weise, in der Form der äußern Notwendigkeit, inmitten einer endlosen Reihe scheinbarer Zufälligkeiten durchsetzen." (38.) Und der alten Naturphilosophie wirft Engels vor, daß sie „die noch unbekannten wirklichen Zusammenhänge" (der Naturerscheinungen) „durch ideelle, phantastische ersetzte" (42).62 Die Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit, Kausalität, Notwendigkeit in der Natur ist bei Engels ganz klar ausgesprochen neben der Betonung des relativen Charakters unserer, d. h. der menschlichen, annähernden Widerspiegelung dieser Gesetzmäßigkeit in diesen oder jenen Begriffen.

Zu J. Dietzgen übergehend, müssen wir vorerst eine der zahllosen Entstellungen der Sache durch unsere Machisten feststellen. Einer der Verfasser der „Beiträge ,zur' Philosophie des Marxismus", Herr Gelfond, erklärt uns: „Die Hauptpunkte der Weltanschauung Dietzgens können in den folgenden Thesen zusammengefaßt werden: ,... 9. die kausale Abhängigkeit, die wir den Dingen zuschreiben, ist in Wirklichkeit in den Dingen selbst nicht enthalten'." (248.) Das ist purer Unsinn. Herr Gelfond, dessen eigene Anschauungen ein richtiges Sammelsurium aus Materialismus und Agnostizismus darstellen, hat J. Dietzgen unverschämt verfälscht. Freilich kann man bei J. Dietzgen nicht wenig Verworrenheit, Ungenauigkeiten und Fehler antreffen, die den Machisten das Herz erfreuen und die jeden Materialisten veranlassen, J. Dietzgen als einen nicht ganz konsequenten Philosophen zu betrachten. Aber dem Materialisten J. Dietzgen nachsagen, daß er die materialistische Auffassung der Kausalität direkt leugne, das bringen nur die Gelfond, nur die russischen Machisten fertig.

„Die objektive wissenschaftliche Erkenntnis", sagt J. Dietzgen in seinem

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Werk „Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit" (dtsch. Ausg. 1903), „wird ihre Ursachen nicht durch Glauben oder Spekulation, sondern durch Erfahrung, durch Induktion, nicht a priori, sondern a posteriori gewahr. Die Naturwissenschaft sucht ihre Ursachen nicht außer oder hinter den Erscheinungen, sondern in oder mittels derselben." (S. 94/95.) „Ursachen sind Produkte des Denkvermögens. Sie sind allerdings nicht dessen reine Produkte, sondern sind gezeugt vom Denkvermögen in Verbindung mit sinnlichem Material. Dies sinnliche Material gibt der also erzeugten Ursache ihre objektive Existenz. Wie wir von der Wahrheit verlangen, daß sie Wahrheit einer objektiven Erscheinung, so verlangen wir von der Ursache, daß sie wirklich, daß sie Ursache einer objektiv gegebenen Wirkung sei." (S. 98/99.) „Die Ursache einer Sache ist ihr Zusammenhang." (S. 100.)

Daraus ersieht man, daß Herr Gelfond eine der Wirklichkeit gerade entgegengesetzte Behauptung aufgestellt hat. Nach der von J. Dietzgen dargelegten Weltanschauung des Materialismus ist die „kausale Abhängigkeit" „in den Dingen selbst" enthalten. Für sein machistisches Sammelsurium mußte Herr Gelfond die materialistische und die idealistische Linie in der Frage der Kausalität durcheinanderbringen.

Wenden wir uns nun dieser zweiten Linie zu.

Bei Avenarius findet sich eine klare Festlegung der Ausgangspunkte seiner Philosophie in dieser Frage in seinem ersten Werk: „Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes". In § 81 lesen wir: „Ebensowenig wie die Kraft als Bewegendes, [erfahren] wir die Notwendigkeit einer Bewegung ... Was wir [erfahren], ist immer nur: daß eins auf das andere folgt." Das ist der Standpunkt Humes in reinster Gestalt: die Empfindung, die Erfahrung sagen uns nichts über irgendeine Notwendigkeit. Ein Philosoph, der (auf Grund des Prinzips der „Denkökonomie") behauptet, die Empfindung sei das einzig Existierende, konnte zu keinem anderen Schluß kommen. „Sofern also die Vorstellung der Kausalität", lesen wir weiter, „Kraft und Notwendigkeit oder Zwang als integrierende Bestandteile des Folgevorganges verlangt, fällt sie mit diesen." (§82.) „Notwendigkeit drückt also einen bestimmten Grad der Wahrscheinlichkeit aus, womit der Eintritt der Folge erwartet wird." (§83, These.)

Das ist ausgesprochener Subjektivismus in der Frage der Kausalität.

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Und man kann, wenn man einigermaßen konsequent bleiben will und die objektive Realität als Quelle unserer Empfindungen nicht anerkennt, zu keinem anderen Ergebnis kommen.

Nehmen wir Mach. In einem besonderen Kapitel „Kausalität und Erklärung" („Wärmelehre", 2. Auflage, 1900, S. 432-439) lesen wir: „Bei alledem bleibt die Humesche Kritik" (des Begriffs der Kausalität) „aufrecht." Kant und Hume lösen das Problem der Kausalität verschieden (andere Philosophen berücksichtigt Mach nicht einmal!); der Humeschen Lösung „pflichten wir bei". „Eine andere als eine logische" (hervorgehoben von Mach) „Notwendigkeit, etwa eine physikalische, existiert eben nicht." Das ist gerade die Auffassung, die Feuerbach so entschieden bekämpft hat. Mach kommt nicht einmal auf den Gedanken, seine Verwandtschaft mit Hume zu bestreiten. Nur die russischen Machisten konnten so weit gehen zu behaupten, der Agnostizismus Humes sei mit dem Materialismus von Marx und Engels „vereinbar". In Machs „Mechanik" lesen wir: „In der Natur gibt es keine Ursache und keine Wirkung." (3. Auflage, 1897, S. 474.) „übrigens habe ich wiederholt dargelegt, daß alle Formen des Kausalgesetzes subjektiven [Trieben] entspringen, welchen zu entsprechen eine Notwendigkeit für die Natur nicht besteht." (495.)

Es muß hier vermerkt werden, daß unsere russischen Machisten mit erstaunlicher Naivität die Frage der materialistischen oder idealistischen Richtung aller Betrachtungen über das Kausalgesetz mit der Frage dieser oder jener Formulierung dieses Gesetzes vertauschen. Sie glaubten den deutschen empiriokritizistischen Professoren, man brauche nur „funktionale Beziehung" zu sagen, dann sei das eine Entdeckung des „neuesten Positivismus", eine Erlösung vom „Fetischismus" solcher Ausdrücke wie „Notwendigkeit", „Gesetz" u. a. m. Das sind natürlich reine Kinkerlitzchen, und Wundt hatte völlig recht, als er sich über diese Wortveränderung lustig machte (S. 383 und 388 des zit. Aufs. in den „Philosophischen Studien"), durch die das Wesen der Sache nicht im geringsten geändert wird. Mach selbst spricht von „allen Formen" des Kausalgesetzes, und in „Erkenntnis und Irrtum" (2. Aufl., S. 278) macht er den selbstverständlichen Vorbehalt, daß der Funktionsbegriff die „Abhängigkeit der Elemente voneinander" nur dann präziser ausdrücken könne, wenn die Möglichkeit erreicht ist, die Ergebnisse der Untersuchung in meßbaren Größen auszudrücken, was selbst in solchen Wissenschaften wie der Chemie nur

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teilweise erreicht ist. Nach Meinung unserer Machisten, die die Entdeckungen der Professoren vertrauensvoll akzeptieren, hat Feuerbach (von Engels ganz zu schweigen) wahrscheinlich nicht gewußt, daß die Begriffe: Ordnung, Gesetzmäßigkeit u. a. m. unter bestimmten Bedingungen durch eine mathematisch bestimmte funktionale Beziehung ausgedrückt werden können!

Die wirklich wichtige erkenntnistheoretische Frage, die die philosophischen Richtungen scheidet, besteht nicht darin, welchen Grad von Genauigkeit unsere Beschreibungen der kausalen Zusammenhänge erreicht haben und ob diese Angaben in einer exakten mathematischen Formel ausgedrückt werden können, sondern darin, ob die objektive Gesetzmäßigkeit der Natur oder aber die Beschaffenheit unseres Geistes, das diesem eigene Vermögen, bestimmte apriorische Wahrheiten zu erkennen usw., die Quelle unserer Erkenntnis dieser Zusammenhänge ist. Das ist es, was die Materialisten Feuerbach, Marx und Engels von den Agnostikern (Humeisten) Avenarius und Mach unwiderruflich trennt.

An einzelnen Stellen seiner Werke „vergißt" Mach - dem man wohl kaum Konsequenz vorwerfen kann - manchmal seine Übereinstimmung mit Hume und seine subjektivistische Theorie der Kausalität und argumentiert „einfach" als Naturforscher, d. h. vom spontan materialistischen Standpunkt aus. So lesen wir zum Beispiel in der „Mechanik" von der „Gleichförmigkeit..., welche uns die Natur in ihren Vorgängen kennen lehrt" (p. 182 der franz. Übersetzung).63 Wenn wir in den Naturvorgängen eine Gleichförmigkeit finden, dann existiert also diese Gleichförmigkeit objektiv, außerhalb unseres Geistes? Nein. über dieselbe Frage der Gleichförmigkeit der Natur gibt Mach solche Dinge von sich: „Die Macht, welche zur Vervollständigung der halb beobachteten Tatsache in Gedanken treibt, ist die Assoziation. Dieselbe wird kräftig verstärkt durch Wiederholung. Sie erscheint uns dann als eine fremde, von unserm Willen und der einzelnen Tatsache unabhängige Gewalt, welche Gedanken und" (hervorgehoben von Mach) „Tatsachen treibt, beide in Übereinstimmung hält, als ein beide beherrschendes Gesetz. Daß wir uns für fähig halten, mit Hülfe eines solchen Gesetzes zu prophezeien, beweist nur (!) die hinreichende Gleichförmigkeit unserer Umgebung, begründet aber durchaus nicht die Notwendigkeit des Zutreffens der Prophezeiung." („Wärmelehre", S. 383.)

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Demnach kann und soll man also irgendeine Notwendigkeit außerhalb der Gleichförmigkeit der Umgebung, d. h. der Natur suchen! Wo aber diese Notwendigkeit zu suchen sei, ist ein Geheimnis der idealistischen Philosophie, die Angst hat, das menschliche Erkenntnisvermögen als ein einfaches Widerspiegeln der Natur anzuerkennen. In seinem letzten Werk „Erkenntnis und Irrtum" definiert Mach sogar das Naturgesetz als „Einschränkung der Erwartung" (2. Aufl., S. 450 ff.)! Der Solipsismus kommt eben doch zum Vorschein.

Betrachten wir die Stellungnahme anderer Schriftsteller derselben philosophischen Richtung. Der Engländer Karl Pearson drückt sich darüber mit der ihm eigenen Bestimmtheit folgendermaßen aus: „Die wissenschaftlichen Gesetze sind eher Erzeugnisse des menschlichen Geistes als Faktoren der Außenwelt." („The Grammar of Science", 2nd ed., p. 36.) „Sowohl die Dichter als auch die Materialisten, die von der Natur als dem Herrscher (sovereign) über die Menschen sprechen, vergessen nur zu oft, daß die Bewunderung herausfordernde Ordnung und Kompliziertheit der Phänomene mindestens ebenso ein Produkt der Erkenntnisfähigkeit des Menschen ist, wie es seine Erinnerungen und Gedanken sind." (185.) „Der weitumfassende Charakter des Naturgesetzes schuldet seine Existenz der Erfindungskraft des menschlichen Geistes." (ib.) „Der Mensch ist der Schöpfer des Naturgesetzes", besagt § 4 des dritten Kapitels. „Es hat mehr Sinn zu behaupten, daß der Mensch der Natur die Gesetze gibt, als das Gegenteil, daß die Natur dem Menschen die Gesetze gibt", obwohl - gibt der sehr ehrenwerte Professor voll Bitternis zu - diese zuletzt angeführte (die materialistische) Ansicht „leider viel zuviel verbreitet ist in unserer Zeit" (p. 87). Im IV. Kapitel, das von der Kausalität handelt, findet sich in § 11 die Formulierung folgender These Pearsons: „Die Notwendigkeit gehört der Welt der Begriffe, nicht aber der Welt der Wahrnehmungen an." Es muß bemerkt werden, für Pearson „sind eben" die Wahrnehmungen oder Sinneseindrücke die außer uns existierende Wirklichkeit. „In der Gleichförmigkeit, mit welcher gewisse Reihen von Wahrnehmungen wiederholt vorkommen, ist keine innere Notwendigkeit. Die notwendige Bedingung der Existenz denkender Wesen aber ist das Vorhandensein einer Schablone der Wahrnehmungen. Die Notwendigkeit liegt also in der Natur des denkenden Wesens, nicht aber in den Wahrnehmungen selbst. Sie ist das Produkt des Erkenntnisvermögens." (p. 139.)

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Unser Machist, dem E. Mach „selbst" mehrmals seine volle Solidarität bekundet, ist auf diese Weise glücklich beim rein kantianischen Idealismus gelandet: der Mensch gibt der Natur die Gesetze, nicht aber die Natur dem Menschen! Für uns ist hier nicht die Wiederholung der Kantschen Aprioritätslehre von Wichtigkeit - diese bestimmt nicht die idealistische Linie in der Philosophie, sondern nur eine besondere Formulierung dieser Linie -, sondern die Tatsache, daß hier Vernunft, Denken, Bewußtsein für das Primäre erklärt werden, die Natur für das Sekundäre. Nicht die Vernunft ist ein Teil der Natur, eines ihrer höchsten Erzeugnisse, die Widerspiegelung ihrer Vorgänge, vielmehr sei die Natur ein Bestandteil der Vernunft, welche Vernunft dann selbstverständlich aus der gewöhnlichen, einfachen, allbekannten menschlichen Vernunft zu einem, wie J. Dietzgen sagte, „maßlos Vernünftigen", zu einer mystischen, göttlichen Vernunft erhoben wird. Die kantianisch-machistische Formel: „Der Mensch gibt der Natur die Gesetze" ist eine Formel des Fideismus. Daß unsere Machisten große Augen machen, wenn sie bei Engels lesen, das grundlegende Merkmal des Materialismus bestehe darin, daß die Natur und nicht der Geist als das Primäre genommen wird, zeigt nur, wie wenig sie imstande sind, die wirklich wichtigen philosophischen Richtungen von dem Spiel zu unterscheiden, das die Professoren mit Gelehrsamkeit und geschraubten Worten treiben.

J. Petzoldt, der die Lehre von Avenarius in seinem zweibändigen Werk darlegt und weiterentwickelt, kann als vorzügliches Beispiel der reaktionären Scholastik des Machismus dienen. Er doziert: „Noch immer - hundertundfünfzig Jahre nach Hume - lahmen Substanzialität und Kausalität den Mut des Denkers." („Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung", Bd. I, S. 31.) Am „mutigsten" sind selbstverständlich die Solipsisten, die Empfindung ohne organische Materie, Denken ohne Gehirn, Natur ohne objektive Gesetzmäßigkeit entdeckt haben! „So haftet auch an der letzten der Kausalitätsbezeichnungen, an der noch nicht erwähnten der Notwendigkeit des Geschehens oder der Naturnotwendigkeit, etwas Unklares und Mystisches" - eine Idee des „Fetischismus", des „Anthropomorphismus" usw. (32 und 34). Die armen Mystiker Feuerbach, Marx und Engels! Die ganze Zeit über haben sie von der Naturnotwendigkeit gesprochen und obendrein die Anhänger der Linie Humes als theoretische Reaktionäre bezeichnet... Petzoldt ist über jeden „Anthropomorphis-

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mus" erhaben. Er hat das große „Gesetz der Eindeutigkeit" entdeckt, das jede Unklarheit, jede Spur von „Fetischismus" usw. usw. usw. beseitigt. Ein Beispiel: das Parallelogramm der Kräfte (S. 35). Es könne nicht „bewiesen", es müsse als eine „Erfahrungstatsache" anerkannt werden. Man könne nicht zugeben, daß sich ein Körper bei denselben Anstößen das eine Mal anders als das andere Mal bewegen sollte. „Wir können der Natur solche Unbestimmtheit und Willkür nicht zugeben, wir müssen von ihr Bestimmtheit, Gesetzmäßigkeit fordern." (35.) So, so. Wir fordern von der Natur Gesetzmäßigkeit. Die Bourgeoisie fordert von ihren Professoren reaktionäre Haltung. „Unser Denken verlangt von der Natur Bestimmtheit, und die Natur kommt diesem Verlangen stets nach, ja wir werden sehen, daß sie in einem gewissen Sinne genötigt ist, ihm nachzukommen." (36.) Warum bewegt sich bei einem Stoß in der Richtung A B der Körper nach C, nicht aber nach D oder F usw.?

„Warum wählt die Natur keine der unendlich vielen anderen Richtungen?" (37.) Darum, weil sie dann „vieldeutig" wären, während Joseph Petzoldts große empiriokritische Entdeckung Eindeutigkeit fordert.

Mit solch unsagbarem Unsinn füllen die „Empiriokritiker" Dutzende von Seiten!

„... Wir haben wiederholt die Anschauung durchblicken lassen, daß unser Satz seine Macht nicht aus einer Summe von Einzelerfahrungen schöpfe, sondern daß wir [seine Geltung] von der Natur fordern. Und in der Tat, noch ehe er ein Gesetz ist, ist er uns ein Prinzip, mit dem wir an die Wirklichkeit herantreten, ein Postulat. Er gilt vergleichsweise a priori, unabhängig von aller Einzelerfahrung. Nun würde es freilich einer Philosophie der reinen Erfahrung schlecht anstehen, apriorische Wahrheiten zu lehren und damit in die unfruchtbarste Metaphysik zurückzufallen. Ihr

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Apriori könnte immer nur ein logisches, nie ein psychologisches und metaphysisches sein." (40.) Nun ja, natürlich: man braucht nur das Apriori ein logisches zu nennen, damit alles Reaktionäre einer solchen Idee verschwinde und sie auf die Höhe des „neuesten Positivismus" gehoben werde!

Eine eindeutige Bestimmtheit der psychischen Erscheinungen, belehrt uns J. Petzoldt weiter, kann es nicht geben: die Rolle der Phantasie, die Bedeutung der großen Erfinder usw. bilden hier Ausnahmen, „ein Natur- oder Geistesgesetz aber duldet keine Ausnahme" (65). Wir haben hier den reinsten Metaphysiker vor uns, der von der Relativität des Unterschieds von Zufälligem und Notwendigem keine Ahnung hat.

Man wird sich vielleicht, fährt Petzoldt fort, gegen mich auf die Motivierung der geschichtlichen Ereignisse und der Entwicklung des Charakters in der Dichtkunst berufen? „Sehen wir genau zu, so werden wir nichts von solcher Eindeutigkeit finden. Es gibt kein geschichtliches Ereignis und kein Drama, in dem wir uns unter den gleichen psychischen Bedingungen die beteiligten Personen nicht auch anders handelnd vorstellen könnten." (73.) „Nicht bloß, daß die Eindeutigkeit auf psychischem Gebiete tatsächlich fehlt, sondern er gibt uns sogar das Recht, ihr Fehlen von der Wirklichkeit zu fordern." (Hervorgehoben von Petzoldt.) „Unsere Lehre wird dadurch ... zu dem Range eines Postulats erhoben, d. h. zu dem Range einer Tatsache, die wir als unerläßliche Bedingung einer viel früheren Erfahrung - als ihr logisches Apriori - erkennen." (Hervorhebungen von Petzoldt, S. 76.)

Und mit diesem „logischen Apriori" operiert Petzoldt in beiden Bänden seiner „Einführung" wie auch in der 1906 erschienenen Schrift „Das Weltproblem von positivistischem Standpunkte aus"*. Wir haben das zweite Beispiel eines namhaften Empiriokritikers vor uns, der unmerklich in den Kantianismus hinabgeglitten ist und die reaktionärsten Lehren in etwas veränderter Zubereitung auftischt. Und das ist nicht zufällig, denn die Kausalitätslehre von Mach und Avenarius ist schon in ihrer Grundlage eine idealistische Lüge, so sehr man bemüht sein mag, dies durch hoch-


* J. Petzoldt, „Das Weltproblem von positivistischem Standpunkte aus", Leipzig 1906, S. 130: „Somit kann es auch auf empirischem Standpunkt ein logisches a priori geben: die Kausalität ist das logische a priori für die [erfahrungsmäßige] Beständigkeit unserer Umgebung."

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trabende Phrasen von „Positivismus" zu bemänteln. Der Unterschied zwischen der Humeschen und der Kantschen Kausalitätslehre ist ein zweitrangiger Unterschied zwischen zwei Agnostikern, die im wesentlichen, in der Leugnung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur, übereinstimmen, wodurch sie sich unvermeidlich zu diesen oder jenen idealistischen Schlußfolgerungen verurteilen. Ein etwas „schamhafterer" Empiriokritiker als J. Petzoldt, Rudolf Willy, dem seine Verwandtschaft mit den Immanenzphilosophen unangenehm ist, verwirft zum Beispiel die ganze Petzoldtsche „Eindeutigkeits"theorie als eine Theorie, die nichts als „logischen Formalismus" bietet. Verbessert aber R. Willy seine Stellung dadurch, daß er sich von Petzoldt lossagt? Keineswegs. Denn er rettet sich aus dem Kantschen Agnostizismus nur in die Arme des Humeschen Agnostizismus: „Wir wissen ja schon längst (von Hume her)", schreibt er, „daß die ,Notwendigkeit' nur ein rein logisches (kein ,transzendentales') oder, wie ich noch lieber sagen würde (und schon einmal gesagt habe), ein rein [sprachliches] [Merkmal] ist." (R. Willy, „Gegen die Schulweisheit", München 1905, S. 91; cf. 173, 175.)

Der Agnostiker bezeichnet unsere, die materialistische Auffassung von der Notwendigkeit als „transzendental", denn vom Standpunkt eben jener Kantschen und Humeschen „Schulweisheit", die Willy nicht verwirft, sondern nur ein wenig zurechtputzt, ist jede Anerkennung der uns in der Erfahrung gegebenen objektiven Realität ein unberechtigter „Transzensus".

Auf denselben Pfad des Agnostizismus gerät beständig der französische Vertreter der von uns behandelten philosophischen Richtung, Henri Poincaré, ein großer Physiker und kleiner Philosoph, dessen Irrtümer P. Juschkewitsch natürlich für das letzte Wort des neuesten Positivismus ausgibt; eines so „neuen", daß sogar ein neuer „Ismus" notwendig wurde: der Empiriosymbolismus. Für Poincaré (von dessen Anschauungen insgesamt in dem Kapitel über die moderne Physik die Rede sein wird) sind die Naturgesetze Symbole, Konventionen, die sich der Mensch der „Bequemlidikeit" halber schafft. „Die einzige wirklich objektive Realität ist die innere Weltharmonie." Dabei bezeichnet Poincaré als objektiv das, was allgemeingültig ist, was von der Mehrzahl der Menschen oder von allen anerkannt wird* - d. h., er hebt, wie alle Machisten, die objektive Wahr-


* Henri Poincaré, „La Valeur de la Science", Paris 1905, pp. 7, 9. Es gibt eine russische Übersetzung. (Im vorliegenden Band mit einigen Abänderungen zitiert nach der deutschen Ausgabe Henri Poincaré, „Der Wert der Wissenschaft", Leipzig 1906, S. 5, 7. Der Übers.)

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heit rein subjektivistisch auf. Was die „Harmonie" anbelangt, erklärt er auf die Frage, ob diese Harmonie sich außerhalb von uns befinde, kategorisch: „Zweifellos nein." Es ist völlig klar, daß die uralte philosophische Linie des Agnostizismus durch die neuen Termini nicht im geringsten geändert wird, denn dem Wesen der Sache nach reduziert sich die „originelle" Theorie Poincarés (obwohl er durchaus nicht konsequent ist) auf die Leugnung der objektiven Realität und der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur. Es ist daher ganz natürlich, daß die deutschen Kantianer, zum Unterschied von den russischen Machisten, die die neuen Formulierungen alter Fehler als neueste Entdeckungen aufnehmen, derartige Anschauungen als übertritt in einer wesentlichen philosophischen Frage auf ihre Seite, auf die Seite des Agnostizismus, begrüßten. „Der französische Mathematiker Henri Poincaré", lesen wir bei dem Kantianer Philipp Frank, „hat den Standpunkt vertreten, daß viele von den allgemeinsten Sätzen der theoretischen Naturwissenschaft (z. B. das Trägheitsgesetz, der Satz von der Erhaltung der Energie usw.), von denen man oft nicht recht weiß, ob sie empirischen oder apriorischen Ursprungs sind, in Wirklichkeit weder das eine noch das andere sind, sondern rein konventionelle, von der menschlichen Willkür abhängige Festsetzungen." „Und so", begeistert sich der Kantianer, „erneuert die neueste Naturphilosophie in überraschender Weise den Grundgedanken des kritischen Idealismus, daß Erfahrung nur einen Rahmen ausfüllt, den der Mensch schon von Natur aus mitbringt.. ."*

Wir haben dieses Beispiel angeführt, um dem Leser ein anschauliches Bild von dem Grad der Naivität unserer Juschkewitsch und Co. zu geben, die irgendeine „Theorie des Symbolismus" für eine waschechte Neuheit halten, während einigermaßen sachkundige Philosophen einfach und ohne Umschweife sagen: er ist auf den Standpunkt des kritischen Idealismus übergegangen! Denn das Wesen dieses Standpunkts besteht nicht unbedingt in der Wiederholung der Kantschen Formulierungen, sondern in der Anerkennung der grundlegenden Idee, die Hume und Kant gemeinsam ist: Leugnung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur und Ableitung dieser oder jener „Erfahrungsbedingungen", dieser oder jener Prinzipien,


* „Annalen der Naturphilosophie"64, Bd. VI, 1907, S. 443. 447.

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Postulate, Thesen aus dem Subjekt, aus dem menschlichen Bewußtsein, nicht aber aus der Natur. Engels hatte recht, als er sagte, daß es nicht darauf ankomme, welcher der zahlreichen Schulen des Materialismus oder des Idealismus sich dieser oder jener Philosoph anschließt, sondern darauf, ob man die Natur, die Außenwelt, die sich bewegende Materie oder den Geist, die Vernunft, das Bewußtsein usw. als das Ursprüngliche ansieht.65

Hier noch eine Charakteristik, die die Position des Machismus in dieser Frage gegenüber den anderen philosophischen Linien zeigt und die von dem sachkundigen Kantianer E. Lucka stammt. In der Frage der Kausalität „schließt sich Mach ganz an Hume an"*. „P. Volkmann leitet die Notwendigkeit des Denkens aus der Notwendigkeit des Naturgeschehens ab, ein Standpunkt, der die Tatsache der Notwendigkeit im Gegensatz zu Mach und in Übereinstimmung mit Kant anerkennt, aber die Quelle der Notwendigkeit im Gegensatz zu Kant im Naturgeschehen und nicht im Denken sucht." (424.)

P. Volkmann ist ein Physiker, der ziemlich viel über erkenntnistheoretische Fragen schreibt und wie die übergroße Mehrheit der Naturforscher dem Materialismus zuneigt, wenn auch einem inkonsequenten, schüchternen, unentschiedenen. Die Notwendigkeit der Natur anerkennen und aus ihr die Notwendigkeit des Denkens ableiten ist Materialismus. Die Ableitung der Notwendigkeit, Kausalität, Gesetzmäßigkeit usw. aus dem Denken ist Idealismus. Die einzige Ungenauigkeit des angeführten Zitats besteht darin, daß Mach zugeschrieben wird, er leugne überhaupt jede Notwendigkeit. Wir haben bereits gesehen, daß dies weder auf Mach noch auf die empiriokritische Richtung im ganzen zutrifft, die, nachdem sie vom Materialismus entschieden abgewichen ist, unvermeidlich zum Idealismus abgleitet.

Es bleibt uns noch einiges speziell über die russischen Machisten zu sagen. Sie möchten Marxisten sein, sie haben alle „gelesen", daß Engels den Materialismus von der Richtung Humes entschieden abgrenzt, sie müssen sowohl von Mach selbst wie von jedem, der mit dessen Philosophie einigermaßen vertraut ist, gehört haben, daß Mach und Avenarius der Linie Humes folgen. Und doch sind sie alle darauf bedacht, über Humeismus und Materialismus in der Frage der Kausalität kein Sterbenswörtchen


* E. Lucka, „Das Erkenntnisproblem und Machs ,Analyse der Empfindungen' " in „Kantstudien", Bd. VIII, S. 409.

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verlauten zu lassen! Es herrscht bei ihnen ein völliges Durcheinander. Einige Beispiele. Herr P. Juschkewitsch predigt den „neuen" Empiriosymbolismus. Sowohl „die Empfindungen von blau, hart usw., diese vermeintlichen Gegebenheiten der reinen Erfahrung", als auch „die Schöpfungen der vermeintlichen reinen Vernunft, wie z. B. eine Chimäre oder das Schachspiel", all das seien „Empiriosymbole" („Beiträge", S. 179). „Die Erkenntnis ist empiriosymbolistisch, und indem sie sich entwickelt, schreitet sie fort zu Empiriosymbolen eines immer höheren Grades der Symbolisierung." „Solche Empiriosymbole sind. . . die sogenannten Naturgesetze." (Ib.) „Die sogenannte wirkliche Realität, das Sein an sich, das ist jenes infinite" (ein schrecklich gelehrter Mann ist dieser Herr Juschkewitsch!) „Grenzsystem der Symbole, dem unsere Erkenntnis zustrebt." (188.) „Der Fluß des Gegebenen", „der unserer Erkenntnis zugrunde liegt", ist „irrational", „alogisch" (187, 194). Energie ist „ebensowenig ein Ding, eine Substanz, wie Zeit, Raum, Masse und andere Grundbegriffe der Naturwissenschaft: Energie ist Konstanz, Empiriosymbol, wie andere Empiriosymbole, die - eine Zeitlang — das menschliche Grundbedürfnis befriedigen, die Vernunft, den Logos, in den irrationalen Fluß des Gegebenen hineinzutragen" (209).

Im Harlekinsgewand aus Fetzen einer bunten, schreienden, „neuesten" Terminologie steht vor uns der subjektive Idealist, für den die Außenwelt, die Natur, ihre Gesetze nur Symbole unserer Erkenntnis sind. Der Fluß des Gegebenen entbehrt der Vernunft, der Ordnung, der Gesetzmäßigkeit: unsere Erkenntnis bringt Vernunft hinein. Die Himmelskörper, einschließlich der Erde, sind Symbole der menschlichen Erkenntnis. Wenn die Naturwissenschaft lehrt, daß die Erde schon lange existierte, bevor die Entstehung des Menschen und der organischen Materie möglich war, so haben wir das alles umgestaltet! Wir sind es, die in die Planetenbewegung Ordnung hineinbringen, es ist dies ein Produkt unserer Erkenntnis. Und da Herr Juschkewitsch spürt, daß durch eine solche Philosophie die menschliche Vernunft zum Urheber, zum Stammvater der Natur erhoben wird, stellt er neben die Vernunft den „Logos", d. h. die Vernunft in Abstraktion, nicht die Vernunft, sondern die VERNUNFT, nicht die Funktion des menschlichen Gehirns, sondern etwas, das vor jedem Gehirn existiert hat, etwas Göttliches. Das letzte Wort des „neuesten Positivismus" ist jene alte Formel des Fideismus, die schon Feuerbach bloßgestellt hat.

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Nehmen wir A. Bogdanow. Im Jahre 1899, als er noch zur Hälfte Materialist war und unter dem Einfluß eines sehr großen Chemikers und sehr verworrenen Philosophen, Wilhelm Ostwalds, eben erst zu schwanken begann, schrieb er: „Der allgemeine kausale Zusammenhang der Erscheinungen ist das letzte, das beste Kind der menschlichen Erkenntnis; er ist das allgemeine Gesetz, das höchste jener Gesetze, die der menschliche Verstand, um mit den Worten des Philosophen zu sprechen, der Natur vorschreibt." („Grundelemente usw.", S. 41.)

Allah weiß, wo Bogdanow damals sein Zitat hergenommen hat. Tatsache ist, daß die „Worte des Philosophen", die der „Marxist" vertrauensvoll wiederholte, die Worte Kants sind. Ein unangenehmer Fall! Um so unangenehmer, als er nicht einmal durch den „einfachen" Einfluß Ostwalds zu erklären ist.

Im Jahre 1904, als Bogdanow bereits sowohl vom naturwissenschaftlichen Materialismus als auch von Ostwald abgekommen war, schrieb er: „... Für den modernen Positivismus ist das Kausalgesetz nur eine Methode, die Erscheinungen in einer kontinuierlichen Reihe erkenntnisgemäß zu verbinden, nur eine Form der Koordination der Erfahrung." („Aus der Psychologie der Gesellschaft", S. 207.) Daß dieser moderne Positivismus Agnostizismus ist, der die vor und außerhalb jeder „Erkenntnis" und jedes Menschen existierende objektive Naturnotwendigkeit leugnet, davon wußte Bogdanow entweder nichts, oder er verschwieg es. Er übernahm von den deutschen Professoren auf Treu und Glauben das, was diese als „modernen Positivismus" bezeichneten. Endlich, im Jahre 1905, nachdem Bogdanow sowohl alle vorhergehenden Stadien als auch das empiriokritizistische Stadium hinter sich gelassen hatte und bereits beim „empiriomonistischen" Stadium angelangt war, schrieb er: „Die Gesetze gehören durchaus nicht der Erfahrungssphäre an, ... sie sind nicht in der Erfahrung gegeben, sondern werden durch das Denken geschaffen, als ein Mittel, die Erfahrung zu organisieren und sie harmonisch zu einer geschlossenen Einheit zu gestalten." („Empiriomonismus", I, 40.) „Die Gesetze sind Abstraktionen der Erkenntnis, und die physikalischen Gesetze haben ebensowenig physische Eigenschaften wie die psychologischen Gesetze psychische Eigenschaften." (Ibid.)

Also ist uns das Gesetz, wonach dem Herbst der Winter und dem Winter der Frühling folgt, nicht in der Erfahrung gegeben, sondern durch

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das Denken geschaffen, als ein Mittel, zu organisieren, zu harmonisieren, in Übereinstimmung zu bringen .. . was womit, Genosse Bogdanow?

„Der Empiriomonismus ist nur deshalb möglich, weil die Erkenntnis die Erfahrung in der Weise aktiv harmonisiert, daß sie ihre zahllosen Widersprüche beseitigt, für sie allgemeine organisierende Formen schafft und die ursprüngliche chaotische Welt der Elemente durch eine abgeleitete, geordnete Welt der Beziehungen ersetzt." (57.) Das ist falsch. Die Idee, daß die Erkenntnis allgemeine Formen „schaffen", das ursprüngliche Chaos durch Ordnung ersetzen könne u. ä. m., ist eine Idee der idealistischen Philosophie. Die Welt ist die gesetzmäßige Bewegung der Materie, und unsere Erkenntnis als höchstes Produkt der Natur ist nur imstande, diese Gesetzmäßigkeit widerzuspiegeln.

Das Fazit: unsere Machisten, die den „neuesten" reaktionären Professoren blindlings Glauben schenken, wiederholen die Fehler des Kantschen und Humeschen Agnostizismus in der Frage der Kausalität und merken weder, in welch unbedingtem Widerspruch diese Lehren zum Marxismus, d. h. zum Materialismus, stehen, noch, wie sie auf schiefer Ebene zum Idealismus hinabgleiten.



Datum der letzten Änderung : Jena, den: 25.01.2013