Chemische Waffe
Chemische Waffen (auch Chemiewaffen) sind toxisch wirkende feste, flüssige oder gasförmige Substanzen oder Gemische,
die – in Verbindung mit der notwendigen Waffentechnik zur Ausbringung (Granaten, Sprühvorrichtungen) – ursprünglich hergestellt wurden,
um Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen sowie bei Terror- und Sabotageakten zeitweilig kampf- bzw. handlungsunfähig zu machen oder zu töten.
In der 1997 in Kraft getretenen Chemiewaffenkonvention wird die Verwendung auf jede Chemikalie in Waffen erweitert,
deren toxische Eigenschaften Menschen oder Tieren zeitweiligen oder permanenten Schaden zufügen, und auch die zu ihrer Produktion verwendeten
Vorgängerstoffe werden, sofern sie nicht für eine andere Form der Weiterverarbeitung vorgesehen sind, zu den chemischen Waffen gezählt.
Im erweiterten Sinn werden auch Brand- (Napalm), Nebel- und Rauchstoffe sowie Entlaubungsmittel (Herbizide) und Nesselstoffe zu den chemischen Waffen gerechnet.
Chemische Waffen gehören zu den Massenvernichtungswaffen (CBRN-Waffen).
Geschichte
Die ersten modernen chemischen Waffen sind im Ersten Weltkrieg eingesetzt worden. Es handelte sich um unmittelbar einsatzbereite unitäre Kampfstoffe,
die zunächst auf Substanzen basierten, die bereits in der chemischen Industrie verwendet wurden, also in ausreichend großen Mengen vorhanden waren;
das waren Gase wie Chlor, Phosgen, Cyanwasserstoff (Blausäure) oder Arsin. Diese hatten jedoch zwei große Nachteile:
Zum einen waren sie durch wechselnde Windrichtungen unberechenbar (so konnte eine Gaswolke auf die eigene Stellung zurückgeweht werden),
und andererseits verflüchtigte sich das Gas relativ schnell. Daher sind die meisten späteren chemischen Kampfstoffe Flüssigkeiten,
die als Aerosole versprüht werden. Das hat zur Folge, dass die Substanzen an Boden, Kleidung, Haut und Gasmasken klebenbleiben und
auch in die Filter eindringen können. Deshalb ist die Verweildauer viel länger als bei Gas.
Das Hauptziel der neueren Kampfstoffe ist nicht allein die Lunge, sondern auch die Haut. Ein solcher Kampfstoff diffundiert durch die
Haut hindurch in die Blutbahn und wird so schnell im ganzen Organismus verteilt. Daher stellen nur Ganzkörperschutzanzüge einen ausreichenden
Schutz gegen Kampfstoffe dar. Ein bekannter und wichtiger Kampfstoff dieser Gruppe ist
Schwefellost, auch bekannt unter dem Namen Senfgas.
Chemische Kampfmittel
Als chemische Kampfmittel bezeichnet man jede Art von Gegenständen (Munition, Schweltöpfe, aber auch im strengen Sinne z.B. einfache Flaschen), die es ermöglichen, einen chemischen Kampfstoff zu transportieren. Sie lassen sich nach ihrem Angriffsgebiet am menschlichen Körper beziehungsweise ihrer Wirkung einordnen. Eine Grenzziehung zwischen den einzelnen Gruppen ist dabei aber nicht immer eindeutig möglich. Auch ist bei manchen dieser Gruppen bereits die bloße Zuordnung zu den chemischen Kampfstoffen umstritten. Detaillierte Übersichtsarbeiten wurden von V. Pitschmann und von K. Ganesan u.a. vorgelegt.
Die chemischen Kampfmittel an sich werden in folgende Kategorien unterteilt:
- Chemische Kampfstoffe im klassischen Sinn: Lungenkampfstoffe, Blutkampfstoffe, Hautkampfstoffe, Nervenkampfstoffe, Psychokampfstoffe.
- Reizstoffe: Reizen die Augen oder die Atemwege. Ein Beispiel ist das CS-Gas, das von der Polizei und zur Selbstverteidigung eingesetzt wird. Reizstoffe unterscheiden sich von anderen Hautkampfstoffen durch ihre weniger starke Wirkung. In sehr hohen Dosen oder bei empfindlichen Personen (z.B. Asthmapatienten) können die so genannten „Tränengase“ ebenfalls zu Hautreizungen, Atemnot oder Augen- und Lungenschäden führen und in ausreichender Konzentration tödlich sein. Ein weiteres Beispiel sind sogenannte Maskenbrecher. Sie führen zu Übelkeit und sollten ihre Opfer dazu bringen, ihre Atemschutzmasken abzunehmen. Meist wurden diese Substanzen mit anderen chemischen Kampfstoffen in Kombination eingesetzt, um deren toxische Wirkung voll zum Einsatz zu bringen.
- Nebelkampfstoffe: Diese Stoffe erzeugen in der Luft dichte, undurchdringliche Nebelschwaden und sollen somit dem Gegner die Sicht nehmen. In diese Kategorie fallen z.B. Rauchgranaten.
Chemische Kampfstoffe
Die chemischen Kampfstoffe im klassischen Sinn können erneut in verschiedene Kampfstoffklassen unterteilt werden, je nach Art und Ort ihrer Wirkung:
- Lungenkampfstoffe: Greifen direkt die Lunge an. Dadurch wird die Sauerstoffzufuhr des Körpers unterbrochen, was zum Tode führt. Darunter fallen zum Beispiel Chlor, Phosgen, Diphosgen (Perstoff) und Chlorpikrin.
- Blutkampfstoffe: Auch hier wird die Sauerstoffzufuhr des Körpers blockiert. Allerdings wird bei diesen Kampfstoffen die Zellatmung oder das Blut angegriffen, das den Sauerstoff zu den einzelnen Organen transportiert. Darunter fallen unter anderem Cyanwasserstoff, Arsenwasserstoff und Chlorcyan.
- Hautkampfstoffe: Hier wird die Haut des Körpers angegriffen. Dies kann tödlich sein, wenn die angegriffene Hautfläche groß genug ist. Hautkampfstoffe werden dazu eingesetzt, den Gegner kampfunfähig zu machen und ihn dabei nicht unbedingt zu töten. Darunter fallen u.a. Stickstofflost, Schwefellost (Senfgas), Lewisit und Phosgenoxim.
- Nervenkampfstoffe: Hier wird ein Enzym des Nervensystems des Menschen blockiert (Acetylcholinesterase), so dass wichtige Teile des Körpers (z.B. Zwerchfell) durch Dauerkontraktion gelähmt werden. Außerdem werden starke Muskelkrämpfe ausgelöst. Darunter fallen Diisopropylfluorphosphat (DFP), Sarin (GB), Tabun (GA), Soman (GD), Cyclosarin, VX und Nowitschok.
- Antimetabolite sind Gifte, die den Zellstoffwechsel behindern und tödliche Wirkungen hervorrufen können. Insbesondere die Fluoressigsäure sowie ihre Salze und Ester kommen als chemische Kampfstoffe in Betracht. Im zivilen Bereich wird ihr Natriumsalz in Form von Ködern zur Bekämpfung von Säugetieren eingesetzt.
- Psychokampfstoffe: Hier wird die Psyche des Menschen angegriffen mit starken Rauschmitteln, um ihn vorübergehend kampfunfähig zu machen. Langzeitwirkungen und Spätfolgen sind jedoch nicht unerheblich. Darunter fallen u.a. Lysergsäurediethylamid (LSD) und Benzilsäureester (BZ).
- Augenkampfstoffe: Zu dieser Gruppe werden alle chemischen Substanzen gezählt, die Reizungen oder Verletzungen der Augen hervorrufen. Die Stoffe sind meistens in hohen Dosen nicht tödlich. Beispiele sind unter anderem Benzylbromid, Xylylbromid oder Chloraceton.
- Nasen- und Rachenkampfstoffe: Diese Kampfstoffe greifen die Schleimhäute der oberen Atemwege an. Dabei treten oft Reizungen der Haut und der Augen auf. Diese Stoffe sollen nicht töten, sondern den Gegner kampfunfähig machen und werden häufig mit anderen Kampfstoffen zusammen eingesetzt. Beispiele sind unter anderem Adamsit, Clark I (Diphenylarsinchlorid) oder Clark II (Diphenylarsincyanid). (Buntschießen)
Viele chemische Kampfstoffe werden bevorzugt als Binärkampfstoffe eingesetzt, etwa die Nervenkampfstoffe Sarin, Soman und VX. Dabei werden zwei oder mehr im Vergleich zum Endstoff relativ ungefährliche Substanzen voneinander getrennt in einem Geschoss gelagert. Der eigentliche Kampfstoff entsteht erst nach dem Abschuss meist durch einfaches Vermischen der Komponenten, teilweise unter Zuhilfenahme eines geeigneten Reaktionsbeschleunigers. Vorteile sind die relativ gefahrlose Lagerung und Handhabung, da die verwendeten Chemikalien meist weniger giftig sowie besser lagerfähig als die Kampfstoffe selbst sind, das heißt, es tritt keine oder nur geringe Zersetzung der Chemikalien oder Korrosion der Geschosse auf.
Literatur
- Pitschmann V.: Overall view of chemical and biochemical weapons., Toxins (Basel). 2014 Jun 4;6(6):1761-84, Review, PMC 4073128 (freier Volltext), PMID 24902078
- Ward JC, Rodent control with 1080, ANTU, and other war-developed toxic agents. In: Am J Public Health Nations Health, 36/1946, S. 1427–1431, PMC 1624511 (freier Volltext).
- K. Ganesan, S. K. Raza, R. Vijayaraghavan: Chemical warfare agents, J Pharm Bioallied Sci. 2010 Jul-Sep; 2(3): 166–178, PMC 3148621 (freier Volltext)
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 18.11. 2024