Glühen

glühende Radreifen bei der Produktion im Bochumer Verein

Unter Glühen versteht man in der Werkstoffkunde das Anwärmen, Durchwärmen und Abkühlen von Halbzeugen und Werkstücken zur Erzielung definierter Werkstoffeigenschaften. Glühen ist ein Teilgebiet der Wärmebehandlung und zählt nach DIN 8580 zu den Fertigungsverfahren durch Änderung der Stoffeigenschaft.

Unterteilung des Glühvorgangs

Man unterteilt den Glühvorgang in mindestens drei Phasen:

  1. Anwärmen (auch Aufwärmen oder Hochwärmen)
    In der Anwärmphase wird das Werkstück auf die Haltetemperatur gebracht.
  2. Halten
    In der Haltephase wird das Werkstück bei einer konstanten Haltetemperatur gehalten. Sie dient dem Temperaturausgleich im Werkstück und der Gleichgewichtseinstellung chemischer und physikalischer Vorgänge im Werkstoff. Die dazu notwendige Dauer wird Haltezeit genannt und ist außer von dem zu erzielenden Ergebnis auch von der Werkstückgeometrie und der Anordnung der Werkstücke im Glühofen bzw. der Wärmebehandlungsanlage abhängig.
  3. Abkühlen
    In der Abkühlphase wird das Werkstück wieder auf Umgebungstemperatur gebracht.

Sowohl in der Anwärm- als auch in der Abkühlphase kann die Einhaltung spezifischer Anwärm- und Abkühlgeschwindigkeiten erforderlich sein.

Werkstoffe für hohe Anforderungen erfordern teilweise eine Auflösung der drei genannten Phasen in weitere Teilphasen. So existiert für den Werkstoff 2.4669 eine neunstufige Wärmebehandlung. Zur sprachlichen Unterscheidung werden solche komplexen Wärmebehandlungen auch Glühvorschrift oder Glühprogramm genannt. Wobei Glühprogramm homonym gebraucht wird und auch

bedeuten kann.

Industriell werden zwei verschiedene Verfahren zum Glühen von Stahlband eingesetzt:

Unterteilung nach Werkstoffeigenschaft

Glühen einer Frischdampfleitung (Auslegungsparameter 545 °C 101 bar) aus dem Werkstoff P91; 1.4903; X10CrMoVNb9-1

Der gewünschten Werkstoffeigenschaft entsprechend unterscheidet man beim Stahl zwischen:

Beim Weichglühen von Stahl werden vorhandene Ausscheidungen von Zementit oder Perlit reduziert, um die Härte und Festigkeit des Stahls zu reduzieren und die Verformung zu erleichtern. Typische Temperaturen hierfür sind 650 °C – 750 °C.

Spannungsarmglühen findet bei relativ niedrigen Temperaturen zwischen 480 °C und 680 °C statt und bewirkt, dass Eigenspannungen des Werkstücks beseitigt werden, die durch mechanische Verformung oder Bearbeitung eingebracht wurden. Ansonsten sollen die Stahleigenschaften möglichst nicht verändert werden.

Das Normalglühen von Stählen ist eines der wichtigsten Wärmebehandlungsverfahren. Es zielt auf die Bildung eines feinkörnigen Gefüges von Kristalliten, die gleichmäßig über das Werkstück verteilt sind, ab. Bei Stählen mit höherem Kohlenstoffgehalt liegt die Glühtemperatur knapp unter 800 °C; bei Stählen mit geringem Kohlenstoffgehalt steigt die Temperatur für das Normalglühen bis auf 950 °C.

Beim Grobkornglühen soll die Größe der einzelnen Kristallite erhöht werden. Damit erniedrigt sich die Festigkeit und Zähigkeit des Materials, was bei bestimmten spanabhebenden Bearbeitungsmethoden gewünscht wird.

Unter Rekristallisationsglühen versteht man die Wiederherstellung von Kristallitformen wie sie vor einer Kaltverformung vorgelegen haben. Hierzu wird das Werkstück auf Temperaturen knapp oberhalb der Rekristallationstemperatur gewöhnlich zwischen 550 °C und 700 °C aufgeheizt. Die Rekristallationstemperatur hängt von Material und Verformungsgrad ab.

Diffusionsglühen dauert bis zu 2 Tage lang, findet bei recht hohen Temperaturen zwischen 1050 °C und 1300 °C statt und soll für eine gleichmäßige Verteilung von Fremdatomen im Metallgitter sorgen. Die Abkühlgeschwindigkeit bestimmt die Ausbildung der Phasen und somit die Stahleigenschaften.

Beim Wasserstoffarmglühen werden die Werkstücke über mehrere Stunden auf Temperaturen zwischen 200 °C und 300 °C gehalten. Dabei entweichen die im Gefüge eingelagerten Wasserstoff-Atome, welche das Material spröde machen, durch Effusion aus den Bauteilen.

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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 21.01. 2024