Spanische Frauenmode

Die Kleidung der spanischen Frauen ist noch mehr als die der Männer durch leblose Enge und Steifheit gekennzeichnet. Ihnen blieben sogar jene kleinen Freiheiten, die das Erscheinungsbild der spanischen Kavaliere auszeichneten, untersagt, da die Entwicklung der Frauenkleidung wohl stärker unter dem Einfluß der Gegenreformation stand. Die natürlichen Formen des Körpers wurden völlig negiert und Ober- und Unterkörper der Frauen zu geometrischen Dreiecken stilisiert.

Nachdem der Rock schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine zunehmende Tendenz zur Verbreiterung gezeigt hatte, wurden seine Falten immer dichter und die Zahl der Unterröcke größer. Die spanische Mode spannte den Rock schließlich über einen Reifrock, der sich kegelförmig nach unten erweiterte und in Spanien »Verdugado« genannt wurde. (Dieser Name kommt von dem spanischen Wort »verdugo«, das heißt »biegsame Gerte« oder »Reif«. Die galanten Franzosen haben das Wort dann in »vertugadin« - Tugendwächter - umgeformt.) Der Reifrock, der um die Mitte des 16. Jahrhunderts auftauchte, war ein zunächst mit Filz- oder Roßhaarauflagen, später mit Reifen abgesteifter leinener Unterrock, der sich gleichmäßig nach unten zu einer kegelförmigen Gestalt erweiterte. Da man ihn aus keilförmigen Teilen zusammensetzte, wurde jeder Faltenwurf vermieden. Der Reifrock, diese ureigenste Erfindung der spanischen Mode, tritt hier zum erstenmal in der Geschichte der Mode auf. Er entsprach so sehr dem Wesen und Geist der spanischen Etikette, daß der spanische Hof über Jahrhunderte an ihm festhielt. In den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts, als die Frauen an anderen europäischen Höfen den Reifrock wieder ablegten, nahm er in Spanien immer größeren Umfang an.

Länger noch als der Reifrock sollte sich eine andere Erfindung der spanischen Mode behaupten, das Korsett. Vorformen des Korsetts kannte zwar schon das Mittelalter, aber erst am spanischen Hof wurde dieses Kleidungsstück mit jenen Eisen- und Fischbeinstäben versehen, mit deren Hilfe es möglich war, den Oberkörper der Frau der jeweiligen Mode entsprechend zu stilisieren. Erst mittels des Korsetts ließ sich der weibliche Oberkörper in der spanischen Hoftracht zu einem spitzen Kegel umformen und die Taille so eng wie nie zuvor schnüren. Das mit Eisen- und Fischbeinstäben, ja sogar mit Bleiplatten gepanzerte Mieder ließ die Wölbung des Busens völlig verschwinden - von Jugend an getragen, sollte es die Entwicklung der Brust überhaupt verhindern. Da der Busen als unschön galt, schloß man das Kleid bis zum Hals hinauf, so daß die Krause wie beim Manne gleich einer riesigen Scheibe den Kopf vom Körper zu trennen schien. Auch die oft mit Schulterklappen versehenen Ärmel und die langen Hängeärmel der Frauen glichen denen der männlichen Tracht, doch waren die weiten, glockenförmigen Hängeärmel bei den Frauen besonders beliebt.

Das Oberkleid wiederholte noch einmal die Formen von Reifrock und Korsett. Wenn es vorn mit einem Verschluß versehen war, sah man vom Untergewand außer den Ärmeln nur ein Stückchen vom Saum. Oft schloß man das Oberkleid jedoch nur bis zur Taille herunter, so daß vom Unterkleid wenigstens ein schmaler Ausschnitt, der noch einmal die so beliebte Dreiecksform wiederholte, übrigblieb. Der Gürtel, der bei der engen Schnürung der Taille überflüssig war, diente - soweit er dennoch getragen wurde - ähnlich wie im 14. Jahrhundert als zusätzliches Schmuckelement. Eine Zeitlang waren Gürtel in Form eines Ordensstrickes modern, die an Stelle des Knotens einen möglichst kostbaren Verschluß aufwiesen. Neben diesen eng anliegenden Oberkleidern gab es auch lose, mantelähnliche Übergewänder, wie die Ropa.

Haartracht, Kopfbedeckungen

Fußbekleidung
Wie im Mittelalter verbot die spanische Etikette den Frauen, ihre Füße sehen zu lassen. An den spanischen Kutschen waren Falltüren angebracht, die allein den Zweck hatten, beim Ein- und Aussteigen die Füße der Damen zu verdecken. Nur ein von Kindheit an geübtes leises Vor- und Zurückwiegen des Reifrockes durfte daran erinnern, daß die Frauen Beine und Füße besaßen. Dennoch legten sie auf ihr Schuhwerk, dessen Form den Männerschuhen entsprach, großen Wert. Auch auf den guten Sitz der Strümpfe, für die Weiß als eleganteste Farbe galt, sollen die Spanierinnen sehr geachtet haben. An die Moden des ausgehenden Mittelalters erinnern auch die Unterschuhe, in denen der absatzlose spanische Schuh ruhte wie einst die Schnabelschuhe in den Trippen, doch waren diese Unterschuhe im 16. Jahrhundert oft mit sehr hohen, aus Holz oder Kork gefertigten Sohlen ausgestattet. Da die Unterschuhe nur im Freien getragen wurden, dürfte die vornehme Spanierin sie allerdings selten benötigt haben.

Modisches Beiwerk
Unter der Diktatur der spanischen Etikette und der Gegenreformation war der weibliche Körper wieder völlig unter der Kleidung verschwunden. Außer dem Gesicht verrieten nur noch die Hände etwas von der menschlichen Persönlichkeit, so daß man der Darstellung der Hände auf den Porträts dieser Zeit nicht umsonst so viel Aufmerksamkeit schenkte und die Damen auf den Bildnissen fast immer Handschuhe, Fächer oder mit Spitzen und Stickereien verzierte Tüchlein in den Händen halten. Auch der Handspiegel, dessen Rückseite oft mit köstlichen Goldschmiedearbeiten verziert war, gehörte jetzt zum modischen Beiwerk der Frau.

Beim Schmuck - Ketten, Ringe, Ohrringe - gab man dem Erlesenen den Vorzug gegenüber der in der Renaissance üblichen Fülle. So begnügte man sich jetzt oft mit einem besonders schönen Ring an den Händen. Um so verschwenderischer ging die Mode bei der Ausstattung der Kleidung mit Gold, Silber und Edelsteinen um. Die Gewänder der Frauen wurden trotz der fast nonnenhaften Verhüllung oft mit Kostbarkeiten überschüttet. Der aus den amerikanischen Kolonien strömende Reichtum an Edelsteinen und Edelmetallen trug dazu bei, daß die spanische Hoftracht in einem Glanz erstrahlte, der in seinem blendenden, doch starren Schmuck nur noch mit der Pracht orientalischer Fürstengewänder oder mit dem byzantinischen Herrscherornat zu vergleichen ist.

Nationaltrachten
Wie die Etikette des spanischen Hofes wurden auch seine Trachten zum Vorbild für alle anderen Höfe Europas. Wesentlich zu ihrer Verbreitung beigetragen hat der Wiener Kaiserhof, der schon früh der spanischen Mode folgte und ebenso zäh wie der spanische Hof an ihr festhalten sollte. Auch von den spanischen Besitzungen auf italienischem Boden (Genua, Mailand, Neapel) aus gewann die spanische Mode Einfluß auf die Tracht der übrigen europäischen Länder, der bereits in den vierziger Jahren in der Tracht vieler großer Höfe zu erkennen ist. Die spanische Mode fand allerdings nicht mit gleicher Schnelligkeit in allen Ländern Aufnahme, auch bewahrte jedes Land seine Eigenarten.

Italien
In Italien wurden - soweit das Land nicht unter spanischer Herrschaft stand - die dem Geist der Antike und des Humanismus widersprechenden unnatürlichen Proportionen der spanischen Mode mehr oder minder stark abgelehnt. So war hier das Wams nicht so eng und kurz wie in Spanien. Die Italienerin machte die übermäßige Schnürung der Taille nicht mit und lehnte den Reifrock ab. Der italienische Frauenrock behielt einen gewissen Faltenwurf bei und konnte sich hinten bis zur Schleppe verlängern. Auch verzichtete die Italienerin nicht auf das Dekollete. Allerdings trug auch sie die Krause, die sich aber nur hinten um den Hals legte, während sie vorn dem viereckigen oder spitzen Ausschnitt des Kleides folgte. Oft wurde nur ein hinter dem Kopf fächerförmig hochstehender Spitzenkragen getragen. Die hochstehende Krause ließ auch in Italien das Frauenhaar von den Schultern verschwinden. Zu den Eigenarten der italienischen Frauenmode des späten 16. Jahrhunderts gehörten die Sockelschuhe und eine Brautfrisur, bei der das Haar über der Stirn in zwei hörnerartigen Gebilden (a corna) frisiert war. In seinem bekannten Trachtenbuch schreibt Vecellio, daß man mit dieser seltsamen Frisur, die vor allem in Venedig üblich war, die »Göttin der Keuschheit« nachahmen wollte. Bei den Italienerinnen dürfte - zumindest in gewissen Kreisen - das Tragen von Männerhosen Eingang gefunden haben, eine Mode, gegen die die Kirche schwerste Strafen verhängte. Schon im Jahre 1512 hören wir von einer »sehr großen Menge von Kurtisanen, die ganz als Männer gekleidet sind und auf Mauleseln oder Pferden daherkommen«. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts scheint diese Sitte, in Männerkleidung in der Öffentlichkeit zu erscheinen, vor allem bei den römischen Kurtisanen verbreitet gewesen zu sein; aber auch in anderen Kreisen hören wir von Frauen in Männerkleidung. Vielleicht läßt sich diese außerordentlich verpönte Mode darauf zurückführen, daß die Hose nunmehr in der Unterkleidung der Frau eine gewisse Rolle zu spielen begann, da die weit abstehenden Röcke geradezu das Tragen von Beinkleidern verlangte. Zumindest in Italien scheint die Hose als Wäschestück bereits weit verbreitet gewesen zu sein. Allerdings sollten noch Jahrhunderte vergehen, ehe sie in allen europäischen Ländern zur Selbstverständlichkeit wurde.
Weit mehr als durch extravagante Modeallüren, wie die riesigen Sockelschuhe und die Männerhosen, unterschied sich die italienische von der spanischen Tracht durch ihre Farbigkeit. Auch in den anderen Ländern stießen - sosehr man hier oft dem spanischen Vorbild folgte - die düsteren Farben im allgemeinen auf Ablehnung.

Frankreich
So kehrte Frankreich, das zunächst stärker im Banne der spanischen Mode stand, bald wieder zur Farbe zurück. Nicht hell und nuancenreich genug konnte vor allem die Kleidung der Jünglinge sein, mit denen sich Heinrich III. von Frankreich umgab. Wams und Hose wichen am Hofe Heinrichs III. auch in der Form vom spanischen Vorbild ab. Die Spitze des Wamses senkte sich tiefer und praller ausgestopft zum »Gänsebauch« herab; die Braguette verschwand, die Hosenbeine wurden schmaler und verlängerten sich zur Kniehose. - Auch die Französin wandelte die spanische Mode schon bald in ihrem Sinne um. Zwar legte sie ebenfalls Reifrock und Korsett an, wovon auch Montaigne zu berichten weiß: »Um eine gute spanische Tracht zu tragen, welche Pein litten sie nicht, geschnürt und zusammengepreßt, mit starken Einschnitten auf beiden Seiten.« Der Reifrock nahm indessen in Frankreich um 1580 eine tonnenförmige Gestalt an und reichte oft nur noch bis zum Fußgelenk.

Wie die Italienerin stattete auch die Französin ihr Kleid mit einem mehr oder weniger tiefen Halsausschnitt aus und rahmte ihn mit jenem hochstehenden fächerförmigen Spitzenkragen, der in Frankreich Medici-Kragen genannt wurde. Die Frisur nahm hier ebenfalls eine weichere Linie an. Sie bildete über Stirn und Schläfen einen kleinen Wulst, der sich auf der Mitte der Stirn oft zu einer leichten Spitze herabsenkte. Ihre Form wiederholte die in Frankreich sehr beliebte Schneppenhaube, die später zur Witwenhaube wurde.

England
In England, wo die spanische Mode unter der Regierung der Königin Elisabeth Einzug hielt, gab man ebenfalls oft ihrer heiteren und fraulicheren französischen Schwester den Vorzug: Auch hier wurden tonnenförmige Reifröcke getragen. Für die letzten Jahre der Regierungszeit der Königin ist ein besonders großer Reifrock bezeichnend, dessen enorme Breite durch ein in Höhe der Taille angebrachtes Gestell erzielt wurde. Auffallend sind auch die riesigen Flügel, welche zusammen mit dem »Stuartkragen« das Dekollete rahmten.

Die Männerkleidung zeichnete sich wie die englische Frauenmode mehr durch Übertreibung der Formen als durch Originalität aus. Die Auspolsterung der Männerhose wurde soweit getrieben, daß unter Königin Elisabeth die Sitze im Parlament verbreitert werden mußten. Allerdings scheint es zur gleichen Zeit in der englischen Männermode eine Gegenbewegung gegeben zu haben, die nicht nur auf solche Übertreibungen, sondern sogar auf die kostbare Krause verzichtete und sich mit einem kleinen, den Hals frei lassenden Kragen begnügte, wie er sonst erst Jahrzehnte später modern wurde.

Deutschland
Am längsten hat sich Deutschland gegen das Eindringen der spanischen Mode gewehrt. Zuerst wurde die spanische Tracht von den deutschen Fürsten, die im Lager der Gegenreformation standen, angenommen. So schien es eine Zeitlang, daß auch in der Tracht eine Spaltung zwischen dem katholischen Süden und dem protestantischen Norden eintreten würde. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts hielten sich die deutsche und die spanische Mode in Deutschland etwa die Waage. Doch schließlich nahmen auch die Fürsten im Norden die spanische Tracht an; ihnen folgten die kleineren Höfe und schließlich - wenn auch erst nach einigem Zögern und in vereinfachter Form - die bürgerlichen, ja teils sogar die bäuerlichen Schichten. Das stolze Barett schmolz zu einem kleinen Hütchen zusammen, und aus den breiten, kühn um seinen Rand gelegten Straußenfedern wurde ein kleiner Federbusch; auch der steife spanische Hut kam in Deutschland in Gebrauch. Nur auf die Schaube wollte man nicht ganz verzichten. Ihre Ärmel schmolzen jedoch zu Schulterpuffen zusammen. Sie wurde außerdem so kurz, daß sie - jetzt Harzkappe genannt - dem spanischen Mäntelchen, von dem sie auch den Stehkragen übernahm, mehr glich als der Schaube der Reformationszeit. Das Wams wurde ebenfalls enger und sein Schoß kürzer. Auch in Deutschland trug man die große Krause und dazu kurzes Haar. Am längsten dauerte es, bis sich die spanische Hose in Deutschland durchsetzte. Nach der Jahrhundertmitte entstand hier sogar noch einmal eine eigene Hosenmode. Die deutsche »Pluderhose« bestand wie die spanische Heerpauke aus einer aus Streifen zusammengesetzten Oberhose und einer darunter getragenen Futterhose; doch während man die Futterhose in Spanien prall ausstopfte, ließ man sie in Deutschland lose herabfallen. Mit dieser aus Rasch oder anderen leichten Futterstoffen hergestellten Hose wurde bald ein eigenartiger Luxus getrieben. Immer größer wurde die Stoffmenge, die aus den Schlitzen der Oberhose hervorquoll - bis zu 100 Ellen soll man für die Herstellung einer Hose verwandt haben, so daß »es rauschete, wenn die Hosenhelden kamen, als wenn der Elbstrom über die Brücke oder über ein Wehr liefe«.
Obgleich diese Mode an den Fürstenhöfen Deutschlands abgelehnt wurde, finden wir sogar den deutschen Edelmann in dieser eigentümlichen Tracht dargestellt. Seine Pluderhosen waren allerdings - ein Zugeständnis an die spanische Mode - kürzer als die der Landsknechte, bei denen die Hosen unvorstellbare Dimensionen annahmen. Die Landsknechte sollen auch die Erfinder dieser phantastischen Mode gewesen sein, die, nach zeitgenössischen Berichten, im Jahre 1553 im Lager des Kurfürsten von Sachsen vor Magdeburg aufkam. Trotz unzähliger Verbote, trotz der Strafpredigten, die die Geistlichkeit in Wort und Schrift gegen diese Mode richtete, hat sich die Pluderhose und mit ihr der monströse Hosenlatz noch länger als eine Generation in Deutschland gehalten.

Auch in Deutschland fanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Reifrock und Krause Eingang in die höfische Tracht, zumal sich auch die moralpredigenden Geistlichen beider Konfessionen zu Fürsprechern dieser Tracht, die den Körper wieder wie im Mittelalter völlig verhüllte, gemacht haben dürften. Ähnlich der spanischen Ropa fielen in Deutschland die an den Schultern eng anliegenden »weiten Röcke«, sich glockenförmig erweiternd, ohne Tailleneinschnitt bis zum Boden herab. Auch die Harzkappe wurde von den Frauen getragen. Im allgemeinen unterschied sich die deutsche Frauenmode vom spanischen Vorbild jedoch mehr durch eine gewisse Unförmigkeit und durch Provinzialismus. In dem zersplitterten Deutschland gab es ja keinen Hof, dessen Kultur und Mode sich mit den großen Höfen Europas messen konnte.

Eine sehr wichtige Rolle begannen die Amtstrachten zu spielen, die am besten die immer starrer und differenzierter werdende gesellschaftliche Struktur in Stadt und Staat zum Ausdruck zu bringen vermochten. Die bürgerlichen Amtstrachten hielten im wesentlichen an den Trachten der städtischen Glanzperiode fest; so wurden die Schaube der Reformationszeit und die schweren Ketten, einst Zeichen bürgerlichen Wohlstands, zur Amtstracht der Magistrate. Die reformatorischen Geistlichen behielten ebenfalls die Schaube - das Gewand Luthers - als Amtskleidung bei. Kleidung der arbeitenden Schichten Auch in den »zivilen« Trachten der städtischen und bäuerlichen Schichten lebten die alten Moden noch fort. Im Laufe der Zeit machte sich der Einfluß der spanischen Mode aber auch hier immer stärker bemerkbar. Da sich dieser Prozeß in den verschiedenen Städten und Ländern mehr oder weniger schnell und in unterschiedlichen Formen vollzog, zeigten die städtischen Trachten in dieser Zeit einen zuvor nicht gekannten differenzierten Charakter. Die modische Einheit reichte nicht mehr über die engen städtischen oder landesfürstlichen Grenzen hinaus. Losgelöst von der Etikette, in der die höfische Tracht mit den höfischen Lebensformen verbunden war, mußten ihre steifen, die Bewegung hemmenden Formen zum Widersinn werden. Ohne den Luxus und die Gewähltheit des Geschmacks gingen zugleich der Glanz der spanischen Hoftracht und die ihr eigene Schönheit verloren.

Sogar die große Krause und der Reifrock wurden - trotz der Verbote und Spottschriften - von Bürgerinnen getragen. Anstelle des Reifrockes dürften sie sich allerdings meist mit dicken, um die Hüften gelegten Lederwülsten, dem »Weiberspeck« begnügt haben. Auch die Frau des Sancho Pansa, des Gefährten Don Quichottes, besaß keinen Reifrock. Denn als sie von der Statthalterschaft ihres Mannes erfuhr, hatte sie keinen größeren Wunsch, als - ihrer neuen Würde gemäß - in den Besitz eines Reifrockes zu gelangen. Offenbar gab es diese nur in den großen Städten zu kaufen, denn sie bat ihren Pfarrer: »Forschet mir doch aus, ob es hier nicht einen gibt, der nach Madrid geht oder nach Toledo, daß er mir einen runden Reifrock kauft, recht und gerecht, nach der Mode und so schön man ihn nur haben kann, denn meiner Seel, ich will der Statthalterschaft meines Mannes, soviel ich nur immer kann, Ehre machen.« - Da »Ehrbarkeit« und »Tugend«, »Sittsamkeit« und »Bußfertigkeit« lauter denn je von den Kanzeln gepredigt wurden, nahmen die städtischen Trachten oft einen geradezu nonnenhaften Charakter an, wie ihn die höfische Mode trotz ihrer Strenge nicht kannte. So kamen bei den Bürgerinnen die großen Hauben wieder zu Ehren, und wie im Mittelalter verhüllten breite Kinnbänder Wange, Mund und Stirn. Der Mantel ließ unter seiner formlosen Weite den Körper völlig verschwinden. In den Niederlanden und den benachbarten regenreichen Gebieten Deutschlands finden wir den Mantel mit Hilfe eines Gestells von Fischbein oder Draht oft wie einen Regenschirm über den Kopf gespannt. Aber auch in klimatisch günstigeren Gegenden fiel der Mantel weit und formlos von den Schultern bis zu den Knien oder gar bis zur Erde herab. In Spanien hüllte er sogar Kopf und Gesicht der Frauen bis auf die Augen völlig ein.

Auch die Männertracht in den Städten paßte sich im Laufe der Jahrzehnte auf ihre Weise der herrschenden Mode an. Die spanische »Heerpauke« blieb allerdings auf die Hoftracht beschränkt. Außerhalb des Hofes wurden ausgestopfte Pumphosen getragen, die auch in Deutschland allmählich die vielgeschmähten Pluderhosen verdrängten. In den Niederlanden, die der spanisch-niederländische Krieg mit der spanischen Soldatentracht bekannt gemacht hatte, sind die Pumphosen in der Volkstracht bis in die heutige Zeit hinein üblich geblieben.

In der Tracht der Bauern lebten auch andere alte Moden noch länger fort: Die Schaube wurde zum Sonntagsrock des Bauern. Sie büßte allerdings ihre Fülle und auch alle anderen repräsentativen Elemente ein und war schließlich kaum mehr als eine weite, lose Jacke. Das Barett wurde von den Bauern noch getragen, als die Mode es schon längst abgelegt hatte. In der Tracht subalterner Beamter und der Landsknechte lebte sogar das Miparti noch lange fort. Auch die Frauen des Volkes behielten manche Elemente der Renaissancetracht bei, so das Schnürmieder, das in vielen Volkstrachten heute noch getragen wird.


 
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Datum der letzten Änderung:  Jena, den: 28.09. 2016