Stochastische Differentialgleichung

Der Begriff der stochastischen Differentialgleichung (Abkürzung SDGL oder englisch SDE für stochastic differential equation) ist in der Mathematik eine Verallgemeinerung des Begriffs der gewöhnlichen Differentialgleichung auf stochastische Prozesse. Stochastische Differentialgleichungen werden in zahlreichen Anwendungen eingesetzt, um zeitabhängige Vorgänge zu modellieren, die neben deterministischen Einflüssen zusätzlich stochastischen Störfaktoren (Rauschen) ausgesetzt sind.

Die mathematische Formulierung des Problems stellte die Mathematiker vor große Probleme, und so wurde die formale Theorie der stochastischen Differentialgleichungen erst in den 1940er Jahren durch den japanischen Mathematiker Itō Kiyoshi formuliert. Gemeinsam mit der stochastischen Integration begründet die Theorie der stochastischen Differentialgleichungen die stochastische Analysis.

Von der Differential- zur Integralgleichung

Genau wie bei deterministischen Funktionen möchte man auch bei stochastischen Prozessen den Zusammenhang zwischen dem Wert der Funktion und ihrer momentanen Änderung (ihrer Ableitung) in einer Gleichung formulieren. Was im einen Fall zu einer gewöhnlichen Differentialgleichung führt, ist im anderen Fall problematisch, da viele stochastische Prozesse, wie beispielsweise der Wiener-Prozess, nirgends differenzierbar sind.

Jedoch lässt sich eine gewöhnliche Differentialgleichung

\frac{{\rm d}y(t)}{{\rm d}t} = f(t,y(t))

immer auch äquivalent als Integralgleichung

 y(t) = y(t_0) + \int_{t_0}^t f(\tau,y(\tau))\,{\rm d}\tau

schreiben, die ohne explizite Erwähnung der Ableitung auskommt. Bei stochastischen Differentialgleichungen geht man nun den umgekehrten Weg, d. h., man definiert den Begriff mit Hilfe der zugehörigen Integralgleichung.

Die Formulierung

Seien zwei Funktionen {\displaystyle a,b\colon \mathbb {R} \times \mathbb {R} _{+}\to \mathbb {R} } sowie eine brownsche Bewegung  (W_t)_{t \geq 0} gegeben. Die dazugehörige stochastische Integralgleichung

 X_t=X_0 + \int_0^t a(X_\tau,\tau) \,{\rm d}\tau + \int_0^t b(X_\tau,\tau)\,{\rm d}W_\tau

wird durch Einführung der Differentialschreibweise

 {\rm d} X_t=a(X_t,t)\,{\rm d}t+b(X_t,t)\,{\rm d}W_t

zur stochastischen Differentialgleichung. Das erste Integral ist als Lebesgue-Integral und das zweite als Itō-Integral zu lesen. Zu gegebenen Funktionen a und b (auch als Drift und Diffusionskoeffizient bezeichnet) und einer brownschen Bewegung (W_{t}) wird hier also ein Prozess (X_{t}) gesucht, der die obige Integralgleichung erfüllt. Dieser Prozess ist dann eine Lösung der obigen SDGL.

Existenz und Eindeutigkeit

Ist A eine beliebige, auf demselben Wahrscheinlichkeitsraum wie W definierte Zufallsvariable, so wird aus der obigen SDGL durch Hinzufügen der Bedingung  X_0=A fast sicher ein stochastisches Anfangswertproblem als Pendant zum Anfangswertproblem für gewöhnliche Differentialgleichungen.

Auch zum Existenz- und Eindeutigkeitssatz von Picard und Lindelöf findet sich hier eine Entsprechung: wenn die folgenden drei Eigenschaften erfüllt sind:

|a(x,t)-a(y,t)|+|b(x,t)-b(y,t)| \le K|x-y|.
|a(x,t)| + |b(x,t)| \leq C(1+|x|).

Dann besitzt das Anfangswertproblem eine (bis auf fast sichere Gleichheit) eindeutige Lösung X, die zudem zu jedem Zeitpunkt t endliche Varianz besitzt.

Beispiele

Lösen von stochastischen Differentialgleichungen und Simulation der Lösungen

Genau wie bei deterministischen gibt es auch bei stochastischen Differentialgleichungen keinen allgemeinen Ansatz zur Ermittlung der Lösung. In manchen Fällen (wie bei der oben erwähnten Black-Scholes-SDGL, deren Lösung eine geometrische brownsche Bewegung ist) ist es auch hier möglich, die Lösung zu „erraten“ und durch Ableiten zu verifizieren (wobei das Differenzieren hier mit Hilfe des Lemmas von Itō erfolgt).

In den meisten Fällen, die in der Praxis auftauchen, wie zum Beispiel auch im Fall des Wurzel-Diffusionsprozesses, ist jedoch keine geschlossene Form der Lösung zu erreichen. Doch ist man zumeist auch nur daran interessiert, Zufallspfade der entsprechenden Lösung zu simulieren. Dies kann approximativ durch numerische Diskretisierungsverfahren erreicht werden, etwa durch das Euler-Maruyama-Schema (das dem expliziten Euler-Verfahren für gewöhnliche Differentialgleichungen nachempfunden ist) oder das Milstein-Verfahren.

Stochastische Delay-Differentialgleichungen

Bei einer stochastischen Delay-Differentialgleichung (SDDE, stochastic delay differential equation) hängt der zukünftige Zuwachs nicht nur von dem derzeitigen Zustand, sondern auch von den Zuständen in einem davorliegenden beschränkten Zeitintervall ab. Existenz und Eindeutigkeit sind unter ähnlichen Bedingungen wie in „normalen“ SDGLs gegeben. Seien

{\displaystyle f\colon [0,\infty )\times C([-r,0],\mathbb {R} ^{d})\to \mathbb {R} ^{d}},
{\displaystyle g\colon [0,\infty )\times C([-r,0],\mathbb {R} ^{d})\to \mathbb {R} ^{d\times m}}

stetig, r>0 und W sei eine m-dimensionale Brownsche Bewegung. Dann ist eine stochastische Delay-Differentialgleichung eine Gleichung der Form

 X(t)=X(0) + \int_0^t f_\tau(X_\tau) \,{\rm d}\tau + \int_0^t g_\tau(X_\tau)\,{\rm d}W(\tau)

wobei X_t(s):=X(t+s) \ \forall s\in[-r,0]

Die dazugehörige Differentialschreibweise lautet dann

{\rm d}X(t)=f_t(X_t)\,{\rm d}t+g_t(X_t)\,{\rm d}W(t).

Siehe auch

Literatur

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Basierend auf einem Artikel in: Extern Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 30.03. 2023