C. Dritte Analogie | Inhalt | Vom Grund der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena
4. Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt
1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich.
2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich.
3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig.
Erläuterung
Die Kategorien der Modalität haben das Besondere an sich, daß sie den Begriff, dem sie als Prädikate beigefügt werden, als Bestimmung des Objekts nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen ausdrücken. Wenn der Begriff eines Dinges schon ganz vollständig ist, so kann ich doch noch von diesem Gegenstand fragen, ob er bloß möglich oder auch wirklich oder, wenn er das letztere ist, ob er gar auch notwendig sei. Hierdurch werden keine Bestimmungen mehr im Objekt selbst gedacht, sondern es fragt sich nur, wie es sich (samt allen seinen Bestimmungen) zum Verstand und dessen empirischen Gebrauch, zur empirischen Urteilskraft und zur Vernunft (in ihrer Anwendung auf Erfahrung) verhalte.
Eben um deswillen sind auch die Grundsätze der Modalität nichts weiter als Erklärungen der Begriffe der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit in ihrem empirischen Gebrauch und hiermit zugleich Restriktionen aller Kategorien auf den bloß empirischen Gebrauch, ohne den transzendentalen zuzulassen und zu erlauben. Denn wenn diese nicht eine bloß logische Bedeutung haben und die Form des Denkens analytisch ausdrücken sollen, sondern Dinge und deren Möglichkeit, Wirklichkeit oder Notwendigkeit betreffen sollen, so müssen sie auf die mögliche Erfahrung und deren synthetische Einheit gehen, in welcher allein Gegenstände der Erkenntnis gegeben werden.
Das Postulat der Möglichkeit der Dinge fordert also, daß der Begriff derselben mit den formalen Bedingungen einer Erfahrung überhaupt zusammenstimme. Diese, nämlich die objektive Form der Erfahrung überhaupt, enthält aber alle Synthesis, welche zur Erkenntnis der Objekte erfordert wird. Ein Begriff, der eine Synthesis in sich faßt, ist für leer zu halten und bezieht sich auf keinen Gegenstand, wenn diese Synthesis nicht zur Erfahrung gehört, entweder als von ihr erborgt, und dann heißt er ein empirischer
Begriff, oder als eine solche, auf der als Bedingung a priori Erfahrung überhaupt (die Form derselben) beruht, und dann ist es ein reiner Begriff, der dennoch zur Erfahrung gehört, weil sein Objekt nur in dieser angetroffen werden kann. Denn wo will man den Charakter der Möglichkeit eines Gegenstands, der durch einen synthetischen Begriff a priori gedacht worden, hernehmen, wenn es nicht von der Synthesis geschieht, welche die Form der empirischen Erkenntnis der Objekte ausmacht. Daß in einem solchen Begriff kein Widerspruch enthalten sein müsse, ist zwar eine notwendige logische Bedingung, aber zur objektiven Realität des Begriffs, d. i. der Möglichkeit eines solchen Gegenstands, als durch den Begriff gedacht wird, bei weitem nicht genug. So ist in dem Begriff einer Figur, die in zwei geraden Linien eingeschlossen ist, kein Widerspruch, denn die Begriffe von zwei geraden Linien und deren Zusammenstößen enthalten keine Verneinung einer Figur; sondern die Unmöglichkeit beruht nicht auf dem Begriff an sich selbst, sondern der Konstruktion desselben im Raum, d. i. den Bedingungen des Raums und der Bestimmung desselben; diese haben aber wiederum ihre objektive Realität, d. i. sie gehen auf mögliche Dinge, weil sie die Form der Erfahrung überhaupt a priori in sich enthalten.
Und nun wollen wir den ausgebreiteten Nutzen und Einfluß dieses Postulats der Möglichkeit vor Augen legen. Wenn ich mir ein Ding vorstelle, das beharrlich ist, so daß alles, was da wechselt, bloß zu seinem Zustand gehört, so kann ich niemals aus einem solchen Begriff allein erkennen, daß ein dergleichen Ding möglich sei. Oder ich stelle mir etwas vor, welches so beschaffen sein soll, daß, wenn es gesetzt wird, jederzeit und unausbleiblich etwas anderes darauf erfolgt, so mag dieses allerdings ohne Widerspruch so gedacht werden können; ob aber dergleichen Eigenschaft (als Kausalität) an irgendeinem möglichen Ding angetroffen werde, kann dadurch nicht geurteilt werden. Endlich kann ich mir verschiedene Dinge (Substanzen) vorstellen, die so beschaffen sind, daß der Zustand des einen eine Folge im Zustand des andern nach sich zieht, und so wechselweise; aber, ob dergleichen Verhältnis irgend Dingen zukommen könne, kann aus diesen Begriffen, welche eine bloß willkürliche Synthesis enthalten, gar nicht abgenommen werden. Nur daran also, daß diese Begriffe die Verhältnisse der Wahrnehmungen in jeder Erfahrung a priori aus- drücken, erkennt man ihre objektive Realität, d. i. ihre transzendentale Wahrheit, und zwar freilich unabhängig von der Erfah-
rung, aber doch nicht unabhängig von aller Beziehung auf die Form einer Erfahrung überhaupt und die synthetische Einheit, in der allein Gegenstände empirisch erkannt werden können.
Wenn man sich aber gar neue Begriffe von Substanzen, von Kräften, von Wechselwirkungen aus dem Stoff, den uns die Wahrnehmung darbietet, machen wollte, ohne von der Erfahrung selbst das Beispiel ihrer Verknüpfung zu entlehnen, so würde man in lauter Hirngespinste geraten, deren Möglichkeit ganz und gar kein Kennzeichen für sich hat, weil man bei ihnen nicht Erfahrung zur Lehrerin annimmt noch diese Begriffe von ihr entlehnt. Dergleichen gedichtete Begriffe können den Charakter ihrer Möglichkeit nicht so wie die Kategorien a priori als Bedingungen, von denen alle Erfahrung abhängt, sondern nur a posteriori als solche, die durch die Erfahrung selbst gegeben werden, bekommen, und ihre Möglichkeit muß entweder a posteriori und empirisch oder sie kann gar nicht erkannt werden. Eine Substanz, welche beharrlich im Raum gegenwärtig wäre, doch ohne ihn zu erfüllen (wie dasjenige Mittelding zwischen Materie und denkendem Wesen, welches einige haben einführen wollen) oder eine besondere Grundkraft unseres Gemüts, das Künftige zum voraus anzuschauen (nicht etwa bloß zu folgern) oder endlich ein Vermögen desselben, mit anderen Menschen in Gemeinschaft der Gedanken zu stehen (so entfernt sie auch sein mögen), das sind Begriffe, deren Möglichkeit ganz grundlos ist, weil sie nicht auf Erfahrung und deren bekannte Gesetze gegründet werden kann und ohne sie eine willkürliche Gedankenverbindung ist, die, obzwar sie keinen Widerspruch enthält, doch keinen Anspruch auf objektive Realität, mithin auf die Möglichkeit eines solchen Gegenstands, als man sich hier denken will, machen kann. Was Realität betrifft, so verbietet es sich wohl von selbst, sich eine solche in concreto zu denken, ohne die Erfahrung zu Hilfe zu nehmen, weil sie nur auf Empfindung als Materie der Erfahrung gehen kann und nicht die Form des Verhältnisses betrifft, mit der man allenfalls in Erdichtungen spielen könnte.
Aber ich lasse alles vorbei, dessen Möglichkeit nur aus der Wirklichkeit in der Erfahrung abgenommen werden kann, und erwäge hier nur die Möglichkeit der Dinge durch Begriffe a priori, von denen ich fortfahre zu behaupten, daß sie niemals aus solchen Begriffen für sich allein, sondern jederzeit nur als formale und objektive Bedingungen einer Erfahrung überhaupt stattfinden können.
Es hat zwar den Anschein, als wenn die Möglichkeit eines Dreiecks aus seinem Begriff an sich selbst erkannt werden könne (von der Erfahrung ist er gewiß unabhängig); denn in der Tat können wir ihm gänzlich a priori einen Gegenstand geben, d. i. ihn konstruieren. Weil dies aber nur die Form von einem Gegenstand ist, so würde er doch immer nur ein Produkt der Einbildung bleiben, von dessen Gegenstand die Möglichkeit noch zweifelhaft bliebe, als wozu noch etwas mehr erfordert wird, nämlich daß eine solche Figur unter lauter Bedingungen, auf denen alle Gegenstände der Erfahrung beruhen, gedacht sei. Daß nun der Raum eine formale Bedingung a priori von äußeren Erfahrungen ist, daß ebendieselbe bildende Synthesis, wodurch wir in der Einbildungskraft ein Dreieck konstruieren, mit derjenigen gänzlich einerlei sei, welche wir in der Apprehension einer Erscheinung ausüben, um uns davon einen Erfahrungsbegriff zu machen, das ist es allein, was mit diesem Begriff die Vorstellung von der Möglichkeit eines solchen Dinges verknüpft. Und so ist die Möglichkeit kontinuierlicher Größen, ja sogar der Größen überhaupt, weil die Begriffe davon insgesamt synthetisch sind, niemals aus den Begriffen selbst, sondern aus ihnen als formalen Bedingungen der Bestimmung der Gegenstände in der Erfahrung überhaupt allererst klar, und wo sollte man auch Gegenstände suchen wollen, die den Begriffen korrespondierten, wäre es nicht in der Erfahrung, durch die uns allein Gegenstände gegeben werden, wiewohl wir, ohne eben Erfahrung selbst voranzuschicken, bloß in Beziehung auf die formalen Bedingungen, unter welchen in ihr überhaupt etwas als Gegenstand bestimmt wird, mithin völlig a priori, aber doch nur in Beziehung auf sie und innerhalb ihren Grenzen die Möglichkeit der Dinge erkennen und charakterisieren können.
Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung, deren man sich bewußt ist, zwar nicht eben unmittelbar, von dem Gegenstand selbst, dessen Dasein erkannt werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgendeiner wirklichen Wahrnehmung nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknüpfung in einer Erfahrung überhaupt darlegen.
In dem bloßen Begriff eines Dinges kann gar kein Charakter seines Daseins angetroffen werden. Denn ob derselbe gleich noch so vollständig sei, daß nicht das mindeste ermangle, um ein Ding mit allen seinen inneren Bestimmungen zu denken, so hat das Dasein mit allem diesem doch gar nichts zu tun, sondern nur mit der
Frage, ob uns ein solches Ding gegeben sei, so daß die Wahrnehmung desselben vor dem Begriff allenfalls vorhergehen könne. Denn daß der Begriff vor der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet dessen bloße Möglichkeit; die Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergibt, ist der einzige Charakter der Wirklichkeit. Man kann aber auch vor der Wahrnehmung des Dinges und also komparativ a priori das Dasein desselben erkennen, wenn es nur mit einigen Wahrnehmungen nach den Grundsätzen der empirischen Verknüpfung derselben (den Analogien) zusammenhängt. Denn alsdann hängt doch das Dasein des Dinges mit unseren Wahrnehmungen in einer möglichen Erfahrung zusammen, und wir können nach dem Leitfaden jener Analogien von unserer wirklichen Wahrnehmung zu dem Ding in der Reihe möglicher Wahrnehmungen gelangen. So erkennen wir das Dasein einer alle Körper durchdringenden magnetischen Materie aus der Wahrnehmung des gezogenen Eisenfeiligs, obzwar eine unmittelbare Wahrnehmung dieses Stoffs uns nach der Beschaffenheit unserer Organe unmöglich ist. Denn überhaupt würden wir nach Gesetzen der Sinnlichkeit und dem Kontext unserer Wahrnehmungen in einer Erfahrung auch auf die unmittelbare empirische Anschauung derselben stoßen, wenn unsere Sinne feiner wären, deren Grobheit die Form möglicher Erfahrung überhaupt nichts angeht. Wo also Wahrnehmung und deren Anhang nach empirischen Gesetzen hinreicht, dahin reicht auch unsere Erkenntnis vom Dasein der Dinge. Fangen wir nicht von Erfahrung an oder gehen wir nicht nach Gesetzen des empirischen Zusammenhangs der Erscheinungen fort, so machen wir uns vergeblich Staat, das Dasein irgendeines Dinges erraten oder erforschen zu wollen.
Was endlich das dritte Postulat betrifft, so geht es auf die materiale Notwendigkeit im Dasein und nicht die bloß formale und logische in Verknüpfung der Begriffe. Da nun keine Existenz der Gegenstände der Sinne völlig a priori erkannt werden kann, aber doch komparativ a priori relativisch auf ein anderes schon gegebenes Dasein, gleichwohl aber auch alsdann nur auf diejenige Existenz kommen kann, die irgendwo in dem Zusammenhang der Erfahrung davon die gegebene Wahrnehmung ein Teil ist, enthalten sein muß, so kann die Notwendigkeit der Existenz niemals aus Begriffen, sondern jederzeit nur aus der Verknüpfung mit demjenigen, was wahrgenommen wird, nach allgemeinen Gesetzen der Erfahrung erkannt werden können. Da
ist nun kein Dasein, was unter der Bedingung anderer gegebener Erscheinungen als notwendig erkannt werden könnte, als das Dasein der Wirkungen aus gegebenen Ursachen nach Gesetzen der Kausalität. Also ist es nicht das Dasein der Dinge (Substanzen), sondern ihres Zustands, wovon wir allein die Notwendigkeit erkennen können, und zwar aus anderen Zuständen, die in der Wahrnehmung gegeben sind, nach empirischen Gesetzen der Kausalität. Hieraus folgt, daß das Kriterium der Notwendigkeit lediglich in dem Gesetz der möglichen Erfahrung liege, daß alles, was geschieht, durch ihre Ursache in der Erscheinung a priori bestimmt sei. Daher erkennen wir nur die Notwendigkeit der Wirkungen in der Natur, deren Ursachen uns gegeben sind, und das Merkmal der Notwendigkeit im Dasein reicht nicht weiter als das Feld möglicher Erfahrung, und selbst in diesem gilt es nicht von der Existenz der Dinge als Substanzen, weil dies niemals als empirische Wirkungen oder etwas, das geschieht und entsteht, können angesehen werden. Die Notwendigkeit betrifft also nur die Verhältnisse der Erscheinungen nach dem dynamischen Gesetz der Kausalität und die darauf sich gründende Möglichkeit, aus irgendeinem gegebenen Dasein (einer Ursache) a priori auf ein anderes Dasein (der Wirkung) zu schließen. Alles, was geschieht, ist hypothetisch notwendig, das ist ein Grundsatz, welcher die Veränderung in der Welt einem Gesetz unterwirft, d. i. einer Regel des notwendigen Daseins, ohne welche gar nicht einmal Natur stattfinden würde. Daher ist der Satz, nichts geschieht durch ein blindes Ungefähr (in mundo non datur Casus) ein Naturgesetz a priori; imgleichen keine Notwendigkeit in der Natur ist blinde, sondern bedingte, mithin verständliche Notwendigkeit (non datur fatum). Beide sind solche Gesetze, durch welche das Spiel der Veränderungen einer Natur der Dinge (als Erscheinungen) unterworfen wird, oder, welches einerlei ist, der Einheit des Verstandes, in welchem sie allein zu einer Erfahrung, als der synthetischen Einheit der Erscheinungen, gehören können. Diese beiden Grundsätze gehören zu den dynamischen. Der erstere ist eigentlich eine Folge des Grundsatzes von der Kausalität (unter den Analogien der Erfahrung). Der zweite gehört zu den Grundsätzen der Modalität, welche zu der Kausalbestimmung noch den Begriff der Notwendigkeit, die aber unter einer Regel des Verstandes steht, hinzutut. Das Prinzip der Kontinuität verbot in fier Reihe der Erscheinungen (Veränderungen) allen Absprung (in mundo non datur saltus), aber auch in dem Inbegriff aller empiri-
sehen Anschauungen im Raum alle Lücke oder Kluft zwischen zwei Erscheinungen (non datur hiatus); denn so kann man den Satz ausdrücken, daß in die Erfahrung nichts hineinkommen kann, was ein Vakuum bewiese oder auch nur als einen Teil der empirischen Synthesis zuließe. Denn was das Leere betrifft, welches man sich außerhalb dem Feld möglicher Erfahrung (der Welt) denken mag, so gehört dieses nicht vor die Gerichtsbarkeit des bloßen Verstandes, welcher nur über die Fragen entscheidet, die die Nutzung gegebener Erscheinungen zur empirischen Erkenntnis betreffen, und ist eine Aufgabe für die idealische Vernunft, die noch über die Sphäre einer möglichen Erfahrung hinausgeht und von dem urteilen will, was diese selbst umgibt und begrenzt, muß daher in der transzendentalen Dialektik erwogen werden. Diese vier Sätze (in mundo non datur hiatus, non datur saltus, non datur casus, non datur fatum) könnten wir leicht so wie alle Grundsätze transzendentalen Ursprungs nach ihrer Ordnung gemäß der Ordnung der Kategorien vorstellig machen und jedem seine Stelle beweisen, allein der schon geübte Leser wird dieses von selbst tun oder den Leitfaden dazu leicht entdecken. Sie vereinigen sich aber alle lediglich dahin, um in der empirischen Synthesis nichts zuzulassen, was dem Verstand und dem kontinuierlichen Zusammenhang aller Erscheinungen, d. i. der Einheit seiner Begriffe, Abbruch oder Eintrag tun könnte. Denn er ist es allein, worin die Einheit der Erfahrung, in der alle Wahrnehmungen ihre Stelle haben müssen, möglich wird.
Ob das Feld der Möglichkeit größer sei als das Feld, was alles Wirkliche enthält, dieses aber wiederum größer als die Menge desjenigen, was notwendig ist, das sind artige Fragen, und zwar von synthetischer Auflösung, die aber auch nur der Gerichtsbarkeit der Vernunft anheimfallen; denn sie wollen ungefähr soviel sagen, als ob alle Dinge als Erscheinungen insgesamt in den Inbegriff und den Kontext einer einzigen Erfahrung gehören, von der jede gegebene Wahrnehmung ein Teil ist, der also mit keinen anderen Erscheinungen könne verbunden werden, oder ob meine Wahrnehmungen zu mehr als einer möglichen Erfahrung (in ihrem allgemeinen Zusammenhang) gehören können. Der Verstand gibt a priori der Erfahrung überhaupt nur die Regel nach den subjektiven und formalen Bedingungen sowohl der Sinnlichkeit als der Apperzeption, welche sie allein möglich machen. Andere Formen der Anschauung (als Raum und Zeit), imgleichen andere Formen des Verstandes (als die diskursive des Denkens
oder der Erkenntnis durch Begriffe), obgleich sie möglich wären, können wir uns doch auf keinerlei Weise erdenken und faßlich machen, aber, wenn wir es auch könnten, so würden sie doch nicht zur Erfahrung als dem einzigen Erkenntnis gehören, worin uns Gegenstände gegeben werden. Ob andere Wahrnehmungen als überhaupt zu unserer gesamten möglichen Erfahrung gehören und also ein ganz anderes Feld der Materie nach stattfinden könne, kann der Verstand nicht entscheiden, er hat es nur mit der Synthesis dessen zu tun, was gegeben ist. Sonst ist die Armseligkeit unserer gewöhnlichen Schlüsse, wodurch wir ein großes Reich der Möglichkeit herausbringen, davon alles Wirkliche (aller Gegenstand der Erfahrung) nur ein kleiner Teil sei, sehr in die Augen fallend. Alles Wirkliche ist möglich; hieraus folgt natürlicherweise nach den logischen Regeln der Umkehrung der bloß partikulare Satz: »Einiges Mögliche ist wirklich«, welches dann soviel zu bedeuten scheint als: »Es ist vieles möglich, was nicht wirklich ist.« Zwar hat es den Anschein, als könne man auch geradezu die Zahl des Möglichen über die des Wirklichen dadurch hinaussetzen, weil zu jener noch etwas hinzukommen muß, um diese auszumachen. Allein dieses Hinzukommen zum Möglichen kenne ich nicht. Denn was über dasselbe noch zugesetzt werden sollte, wäre unmöglich. Es kann nur zu meinem Verstand etwas über die Zusammenstimmung mit den formalen Bedingungen der Erfahrung, nämlich die Verknüpfung mit irgendeiner Wahrnehmung, hinzukommen; was aber mit dieser nach empirischen Gesetzen verknüpft ist, ist wirklich, obgleich es unmittelbar nicht wahrgenommen wird. Daß aber im durchgängigen Zusammenhang mit dem, was mir in der Wahrnehmung gegeben ist, eine andere Reihe von Erscheinungen, mithin mehr wie eine einzige alles befassende Erfahrung möglich sei, läßt sich aus dem, was gegeben ist, nicht schließen, und ohne daß irgend etwas gegeben ist, noch viel weniger, weil ohne Stoff sich überall nichts denken läßt. Was unter Bedingungen, die selbst bloß möglich sind, allein mögr lieh ist, ist es nicht in aller Absicht. In dieser aber wird die Frage genommen, wenn man wissen will, ob die Möglichkeit der Dinge sich weiter erstrecke, als Erfahrung reichen kann.
Ich habe dieser Fragen nur Erwähnung getan, um keine Lücke in demjenigen zu lassen, was der gemeinen Meinung nach zu den Verstandesbegriffen gehört. In der Tat ist aber die absolute Möglichkeit (die in aller Absicht gültig ist) kein bloßer Verstandesbegriff und kann auf keinerlei Weise von empirischem Gebrauch
sein, sondern er gehört allein der Vernunft zu, die über allen möglichen empirischen Verstandesgebrauch hinausgeht. Daher haben wir uns hierbei mit einer bloß kritischen Anmerkung begnügen müssen, übrigens aber die Sache bis zum weiteren künftigen Verfahren in der Dunkelheit gelassen.
Da ich ebendiese vierte Nummer und mit ihr zugleich das System aller Grundsätze des reinen Verstandes schließen will, so muß ich noch den Grund angeben, warum ich die Prinzipien der Modalität gerade Postulate genannt habe. Ich will diesen Ausdruck hier nicht in der Bedeutung nehmen, welche ihm einige neuere philosophische Verfasser wider den Sinn der Mathematiker, denen er doch eigentlich angehört, gegeben haben, nämlich daß postulieren soviel heißen solle, als einen Satz für unmittelbar gewiß, ohne Rechtfertigung oder Beweis ausgeben; denn wenn wir das bei synthetischen Sätzen, so evident sie auch sein mögen, einräumen sollten, daß man sie ohne Deduktion auf das Ansehen ihres eigenen Ausspruchs dem unbedingten Beifall aufheften dürfe, so ist alle Kritik des Verstandes verloren, und da es an dreisten Anmaßungen nicht fehlt, deren sich auch der gemeine Glaube (der aber kein Kreditiv ist) nicht weigert, so wird unser Verstand jedem Wahn offenstehen, ohne daß er seinen Beifall den Aussprüchen versagen kann, die, obgleich unrechtmäßig, doch in ebendemselben Ton der Zuversicht als wirkliche Axiomen eingelassen zu werden verlangen. Wenn also zu dem Begriff eines Dinges eine Bestimmung a priori synthetisch hinzukommt, so muß von einem solchen Sitz, wo nicht ein Beweis, doch wenigstens eine Deduktion der Rechtmäßigkeit seiner Behauptung unnachläßlich hinzugefügt werden.
Die Grundsätze der Modalität sind aber nicht objektiv-synthetisch, weil die Prädikate der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit den Begriff, von dem sie gesagt werden, nicht im mindesten vermehren, dadurch, daß sie der Vorstellung des Gegenstands noch etwas hinzusetzten. Da sie aber gleichwohl immer synthetisch sind, so sind sie es nur subjektiv, d. i. sie fügen zu dem Begriff eines Dinges (realen), von dem sie sonst nichts sagen, die Erkenntniskraft hinzu, worin er entspringt und seinen Sitz hat, so daß, wenn er bloß im Verstand mit den formalen Bedingungen der Erfahrung in Verknüpfung ist, sein Gegenstand möglich heißt; ist er mit der Wahrnehmung (Empfindung, als Materie der Sinne) im Zusammenhang und durch dieselbe vermittels des Verstandes bestimmt, so ist das Objekt wirklich; ist
er durch den Zusammenhang der Wahrnehmungen nach Begriffen bestimmt, so heißt der Gegenstand notwendig. Die Grundsätze der Modalität also sagen von einem Begriff nichts anderes als die Handlung des Erkenntnisvermögens, dadurch er erzeugt wird. Nun heißt ein Postulat in der Mathematik der praktische Satz, der nichts als die Synthesis enthält, wodurch wir einen Gegenstand uns zuerst geben und dessen Begriff erzeugen, z. B. mit einer gegebenen Linie, aus einem gegebenen Punkt auf einer Ebene einen Zirkel zu beschreiben, und ein dergleichen Satz kann darum nicht bewiesen werden, weil das Verfahren, was er fordert, gerade das ist, wodurch wir den Begriff von einer solchen Figur zuerst erzeugen. So können wir demnach mit ebendemselben Recht die Grundsätze der Modalität postulieren, weil sie ihren Begriff von Dingen überhaupt nicht vermehren12, sondern nur die Art anzeigen, wie er überhaupt mit der Erkenntniskraft verbunden wird.
Datum der letzten Änderung : Jena, den: 08.10. 2016