Von den Prinzipien einer transzendentalen Deduktion überhaupt | Inhalt | Dritter Abschnitt
DIE DEDUKTION
DER REINEN VERSTANDESBEGRIFFE
Zweiter Abschnitt
Von den Gründen a priori zur Möglichkeit der Erfahrung
Daß ein Begriff völlig a priori erzeugt werden und sich auf einen Gegenstand beziehen solle, obgleich er weder selbst in den Begriff möglicher Erfahrung gehört noch aus Elementen einer möglichen Erfahrung besteht, ist gänzlich widersprechend und unmöglich. Denn er würde alsdann keinen Inhalt haben, darum, weil ihm keine Anschauung korrespondierte, indem Anschauungen überhaupt, wodurch uns Gegenstände gegeben werden können, das Feld oder den gesamten Gegenstand möglicher Erfahrung ausmachen. Ein Begriff a priori, der sich nicht auf diese bezöge, würde nur die logische Form zu einem Begriff, aber nicht der Begriff selbst sein, wodurch etwas gedacht würde.
Wenn es also reine Begriffe a priori gibt, so können diese zwar freilich nichts Empirisches enthalten; sie müssen aber gleichwohl lauter Bedingungen a priori zu einer möglichen Erfahrung sein, als worauf allein ihre objektive Realität beruhen kann.
Will man daher wissen, wie reine Verstandesbegriffe möglich seien, so muß man untersuchen, welches die Bedingungen a priori seien, worauf die Möglichkeit der Erfahrung ankommt, und die ihr zugrunde liegen, wenn man gleich von allem Empirischen der Erscheinungen abstrahiert. Ein Begriff, der diese formale und objektive Bedingung der Erfahrung allgemein und zureichend ausdrückt, würde ein reiner Verstandesbegriff heißen. Habe ich einmal reine Verstandesbegriffe, so kann ich auch wohl Gegenstände erdenken, die vielleicht unmöglich, vielleicht zwar an sich möglich, aber in keiner Erfahrung gegeben werden können, indem in der Verknüpfung jener Begriffe etwas weggelassen sein kann, was doch zur Bedingung einer möglichen Erfahrung notwendig gehört (Begriff eines Geistes) oder etwa reine Verstandesbegriffe weiter ausgedehnt werden, als Erfahrung fassen kann (Begriff von Gott). Die Elemente aber zu allen Erkenntnissen a priori, selbst zu willkürlichen und ungereimten Erdichtungen, können zwar nicht von der Erfahrung entlehnt sein (denn sonst wären sie nicht Erkenntnisse a priori), sie müssen aber jederzeit die reinen Bedingungen a priori einer möglichen Erfahrung und eines Gegenstandes derselben enthalten, denn sonst würde nicht allein durch sie gar nichts gedacht werden, sondern sie selber würden ohne Data auch nicht einmal im Denken entstehen können.
Diese Begriffe nun, welche a priori das reine Denken bei jeder Erfahrung enthalten, finden wir an den Kategorien, und es ist schon eine hinreichende Deduktion derselben und Rechtfertigung ihrer objektiven Gültigkeit, wenn wir beweisen können, daß vermittels ihrer allein ein Gegenstand gedacht werden kann. Weil aber in einem solchen Gedanken mehr als das einzige Vermögen zu denken, nämlich der Verstand, beschäftigt ist und dieser selbst als ein Erkenntnisvermögen, das sich auf Objekte beziehen soll, ebensowohl einer Erläuterung wegen der Möglichkeit dieser Beziehung bedarf, so müssen wir die subjektiven Quellen, welche die Grundlage a priori zu der Möglichkeit der Erfahrung ausmachen, nicht nach ihrer empirischen, sondern transzendentalen Beschaffenheit zuvor erwägen.
Wenn eine jede einzelne Vorstellung der anderen ganz fremd,
gleichsam isoliert, und von dieser getrennt wäre, so würde niemals so etwas, als Erkenntnis ist, entspringen, welche ein Ganzes verglichener und verknüpfter Vorstellungen ist. Wenn ich also dem Sinne deswegen, weil er in seiner Anschauung Mannigfaltigkeit enthält, eine Synopsis beilege, so korrespondiert dieser jederzeit eine Synthesis, und die Rezeptivität kann nur, mit Spontaneität verbunden, Erkenntnisse möglich machen. Diese ist nun der Grund einer dreifachen Synthesis, die notwendigerweise in allem Erkenntnis vorkommt: nämlich der Apprehension der Vorstellungen als Modifikationen des Gemüts in der Anschauung, der Reproduktion derselben in der Einbildung und ihrer Rekognition im Begriff. Diese geben nun eine Leitung auf drei subjektive Erkenntnisquellen, welche selbst den Verstand und, durch diesen, alle Erfahrung, als ein empirisches Produkt des Verstandes möglich machen.
Vorläufige Erinnerung
Die Deduktion der Kategorien ist mit so viel Schwierigkeiten verbunden und nötigt, so tief in die ersten Gründe der Möglichkeit unserer Erkenntnis überhaupt einzudringen, daß ich, um die Weitläufigkeit einer vollständigen Theorie zu vermeiden, und dennoch, bei einer so notwendigen Untersuchung, nichts zu versäumen, es ratsamer gefunden habe, durch folgende vier Nummern den Leser mehr vorzubereiten als zu unterrichten und im nächstfolgenden dritten Abschnitt die Erörterung dieser Elemente des Verstandes allererst systematisch vorzustellen. Um deswillen wird sich der Leser bis dahin durch die Dunkelheit nicht abwendig machen lassen, die auf einem Weg, der noch ganz Unbetreten ist, anfänglich unvermeidlich ist, sich aber, wie ich hoffe, in gedachtem Abschnitt zur vollständigen Einsicht aufklären soll.
1. Von der Synthesis der Apprehension in der Anschauung
Unsere Vorstellungen mögen entspringen, woher sie wollen; ob sie durch den Einfluß äußerer Dinge oder durch innere Ursachen gewirkt seien, sie mögen a priori oder empirisch als Erscheinungen entstanden sein, so gehören sie doch als Modifikationen des Gemüts zum Innern Sinn, und als solche sind alle unsere Erkenntnisse zuletzt doch der formalen Bedingung des Innern Sinnes, nämlich der Zeit, unterworfen, als in welcher sie insgesamt
geordnet, verknüpft und in Verhältnisse gebracht werden müssen. Dieses ist eine allgemeine Anmerkung, die man bei dem Folgenden durchaus zugrunde legen muß.
Jede Anschauung enthält ein Mannigfaltiges in sich, welches doch nicht als ein solches vorgestellt werden würde, wenn das Gemüt nicht die Zeit in der Folge der Eindrücke aufeinander unterschiede: denn als in einem Augenblick enthalten, kann jede Vorstellung niemals etwas anderes als absolute Einheit sein. Damit nun aus diesem Mannigfaltigen Einheit der Anschauung werde (wie etwa in der Vorstellung des Raumes), so ist erstens das Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und dann die Zusammennehmung desselben notwendig, welche Handlung ich die Synthesis der Apprehension nenne, weil sie geradezu auf die Anschauung gerichtet ist, die zwar ein Mannigfaltiges darbietet, dieses aber als ein solches, und zwar in einer Vorstellung enthalten, niemals ohne eine dabei vorkommende Synthesis bewirken kann.
Diese Synthesis der Apprehension muß nun auch a priori, d. i. in Ansehung der Vorstellungen, die nicht empirisch sind, ausgeübt werden. Denn ohne sie würden wir weder die Vorstellungen des Raums noch der Zeit a priori haben können, da diese nur durch die Synthesis des Mannigfaltigen, welches die Sinnlichkeit in ihrer ursprünglichen Rezeptivität darbietet, erzeugt werden können. Also haben wir eine reine Synthesis der Apprehension.
2. Von der Synthesis der Reproduktion in der Einbildung
Es ist zwar ein bloß empirisches Gesetz, nach welchem Vorstellungen, die sich oft gefolgt oder begleitet haben, miteinander endlich vergesellschaften und dadurch in eine Verknüpfung setzen, nach welcher, auch ohne die Gegenwart des Gegenstandes, eine dieser Vorstellungen einen Übergang des Gemüts zu der anderen nach einer beständigen Regel hervorbringt. Dieses Gesetz der Reproduktion setzt aber voraus, daß die Erscheinungen selbst wirklich einer solchen Regel unterworfen seien und daß in dem Mannigfaltigen ihrer Vorstellungen eine gewissen Regeln gemäße Begleitung oder Folge stattfinde; denn ohne das würde unsere empirische Einbildungskraft niemals etwas ihrem Vermögen Gemäßes zu tun bekommen, also wie ein totes und uns selbst unbekanntes Vermögen im Inneren des Gemüts verborgen bleiben. Würde der Zinnober bald rot, bald schwarz, bald leicht, bald schwer sein, ein Mensch bald in diese, bald in jene tierische Gestalt verändert wer-
den, am längsten Tag bald das Land mit Früchten, bald mit Eis und Schnee bedeckt sein, so könnte meine empirische Einbildungskraft nicht einmal Gelegenheit bekommen, bei der Vorstellung der roten Farbe den schweren Zinnober in die Gedanken zu bekommen, oder würde ein gewisses Wort bald diesem, bald jenem Ding beigelegt, oder auch ebendasselbe Ding bald so, bald anders benannt, ohne daß hierin eine gewisse Regel, der die Erscheinungen schon von selbst unterworfen sind, herrschte, so könnte keine empirische Synthesis der Reproduktion stattfinden.
Es muß also etwas sein, was selbst diese Reproduktion der Erscheinungen möglich macht, dadurch, daß es der Grund a priori einer notwendigen synthetischen Einheit derselben ist. Hierauf aber kommt man bald, wenn man sich besinnt, daß Erscheinungen nicht Dinge an sich selbst, sondern das bloße Spiel unserer Vorstellungen sind, die am Ende auf Bestimmungen des inneren Sinns auslauten. Wenn wir nun dartun können, daß selbst unsere reinsten Anschauungen a priori keine Erkenntnis verschaffen, außer, sofern sie eine solche Verbindung des Mannigfaltigen enthalten, die eine durchgängige Synthesis der Reproduktion möglich macht, so ist diese Synthesis der Einbildungskraft auch vor aller Erfahrung auf Prinzipien a priori gegründet, und man muß eine reine transzendentale Synthesis derselben annehmen, die selbst der Möglichkeit aller Erfahrung (als welche die Reproduzibilität der Erscheinungen notwendig voraussetzt) zugrunde liegt. Nun ist offenbar, daß, wenn ich eine Linie in Gedanken ziehe oder die Zeit von einem Mittag zum andern denken oder auch nur eine gewisse Zahl mir vorstellen will, ich erstlich notwendig eine dieser mannigfaltigen Vorstellungen nach der anderen in Gedanken fassen müsse. Würde ich aber die vorhergehende (die ersten Teile der Linie, die vorhergehenden Teile der Zeit oder die nacheinander vorgestellten Einheiten) immer aus den Gedanken verlieren und sie nicht reproduzieren, indem ich zu den folgenden fortgehe, so würden niemals eine ganze Vorstellung und keiner aller vorgenannten Gedanken, ja gar nicht einmal die reinsten und ersten Grundvorstellungen von Raum und Zeit entspringen können.
Die Synthesis der Apprehension ist also mit der Synthesis der Reproduktion unzertrennlich verbunden. Und da jene den transzendentalen Grund der Möglichkeit aller Erkenntnisse überhaupt (nicht bloß der empirischen, sondern auch der reinen a priori) ausmacht, so gehört die reproduktive Synthesis der Einbildungs-
kraft zu den transzendentalen Handlungen des Gemüts, und in Rücksicht auf dieselbe wollen wir dieses Vermögen auch das transzendentale Vermögen der Einbildungskraft nennen.
3. Von der Synthesis der Rekognition im Begriff
Ohne Bewußtsein, daß das, was wir denken, ebendasselbe sei, was wir einen Augenblick zuvor dachten, würde alle Reproduktion in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein. Denn es wäre eine neue Vorstellung im jetzigen Zustand, die zu dem Actus, wodurch sie nach und nach hat erzeugt werden sollen, gar nicht gehörte, und das Mannigfaltige derselben würde immer kein Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelte, die ihm nur das Bewußtsein verschaffen kann. Vergesse ich im Zählen, daß die Einheiten, die mir jetzt vor Sinnen schweben, nach und nach zueinander von mir hinzugetan worden sind, so würde ich nicht die Erzeugung der Menge durch diese sukzessive Hinzutuung von Einem zu Einem, mithin auch nicht die Zahl erkennen; denn dieser Begriff besteht lediglich in dem Bewußtsein dieser Einheit der Synthesis.
Das Wort Begriff könnte uns schon von selbst zu dieser Bemerkung Anleitung geben. Denn dieses eine Bewußtsein ist es, was das Mannigfaltige, nach und nach Angeschaute und dann auch Reproduzierte in eine Vorstellung vereinigt. Dieses Bewußtsein kann oft nur schwach sein, so daß wir es nur in der Wirkung, nicht aber in dem Actus selbst, d. i. unmittelbar mit der Erzeugung der Vorstellung verknüpfen: aber unerachtet dieser Unterschiede muß doch immer ein Bewußtsein angetroffen werden, wenn ihm gleich die hervorstechende Klarheit mangelt, und ohne dasselbe sind Begriffe und mit ihnen Erkenntnis von Gegenständen ganz unmöglich.
Und hier ist es denn notwendig, sich darüber verständlich zu machen, was man denn unter dem Ausdruck eines Gegenstandes der Vorstellungen meine. Wir haben oben gesagt, daß Erscheinungen selbst nichts als sinnliche Vorstellungen sind, die an sich, in ebenderselben Art, nicht als Gegenstände (außer der Vorstellungskraft) müssen angesehen werden. Was versteht man denn, wenn man von einem der Erkenntnis korrespondierenden, mithin auch davon unterschiedenen Gegenstand redet? Es ist leicht einzusehen, daß dieser Gegenstand nur als etwas überhaupt = X müsse gedacht werden, weil wir außer unserer Erkenntnis doch
nichts haben, welches wir dieser Erkenntnis als korrespondierend gegenübersetzen könnten.
Wir finden aber, daß unser Gedanke von der Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand etwas von Notwendigkeit bei sich führe, da nämlich dieser als dasjenige angesehen wird, was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl oder beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimmt seien, weil, indem sie sich auf einen Gegenstand beziehen sollen, sie auch notwendigerweise in Beziehung auf diesen untereinander übereinstimmen, d. i. diejenige Einheit haben müssen, welche den Begriff von einem Gegenstand ausmacht.
Es ist aber klar, daß, da wir es nur mit dem Mannigfaltigen unserer Vorstellungen zu tun haben, und jenes X, was ihnen korrespondiert (der Gegenstand), weil er etwas von allen unsern Vorstellungen Unterschiedenes sein soll, für uns nichts ist, die Einheit, welche der Gegenstand notwendig macht, nichts anderes sein könne als die formale Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen. Alsdann sagen wir, wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben. Diese ist aber unmöglich, wenn die Anschauung nicht durch eine solche Funktion der Synthesis nach einer Regel hat hervorgebracht werden können, welche die Reproduktion des Mannigfaltigen a priori notwendig und einen Begriff, in welchem dieses sich vereinigt, möglich macht. So denken wir uns ein Dreieck als Gegenstand, indem wir uns der Zusammensetzung von drei geraden Linien nach einer Regel bewußt sind, nach welcher eine solche Anschauung jederzeit dargestellt werden kann. Diese Einheit der Regel bestimmt nun alles Mannigfaltige und schränkt es auf Bedingungen ein, welche die Einheit der Apperzeption möglich machen, und der Begriff dieser Einheit ist die Vorstellung vom Gegenstand = X, den ich durch die gedachten Prädikate eines Dreiecks denke.
Alle Erkenntnis erfordert einen Begriff, dieser mag nun so unvollkommen oder so dunkel sein, wie er wolle; dieser aber ist seiner Form nach jederzeit etwas Allgemeines und was zur Regel dient. So dient der Begriff vom Körper nach der Einheit des Mannigfaltigen, welches durch ihn gedacht wird, unserer Erkenntnis äußerer Erscheinungen zur Regel. Eine Regel der Anschauungen kann er aber nur dadurch sein, daß er bei gegebenen Erscheinungen die notwendige Reproduktion des Mannigfaltigen
derselben, mithin die synthetische Einheit in ihrem Bewußtsein, vorstellt. So macht der Begriff des Körpers bei der Wahrnehmung von Etwas außer uns die Vorstellung der Ausdehnung und mit ihr die der Undurchdringlichkeit, der Gestalt usw. notwendig.
Aller Notwendigkeit liegt jederzeit eine transzendentale Bedingung zugrunde. Also muß ein transzendentaler Grund der Einheit des Bewußtseins, in der Synthesis des Mannigfaltigen aller unserer Anschauungen, mithin auch der Begriffe der Objekte überhaupt, folglich auch aller Gegenstände der Erfahrung angetroffen werden, ohne welchen es unmöglich wäre, zu unseren Anschauungen irgendeinen Gegenstand zu denken; denn dieser ist nichts mehr als das Etwas, davon der Begriff eine solche Notwendigkeit der Synthesis ausdrückt.
Diese ursprüngliche und transzendentale Bedingung ist nun keine andere als die transzendentale Apperzeption. Das Bewußtsein seiner Selbst nach den Bestimmungen unseres Zustandes bei der innern Wahrnehmung ist bloß empirisch, jederzeit wandelbar, es kann kein stehendes oder bleibendes Selbst in diesem Fluß innerer Erscheinungen geben und wird gewöhnlich der innere Sinn genannt oder die empirische Apperzeption. Das, was notwendig als numerisch identisch vorgestellt werden soll, kann nicht als ein solches durch empirische Data gedacht werden. Es muß eine Bedingung sein, die vor aller Erfahrung vorhergeht und diese selbst möglich macht, welche eine solche transzendentale Voraussetzung geltend machen soll.
Nun können keine Erkenntnisse in uns stattfinden, keine Verknüpfung und Einheit derselben untereinander, ohne diejenige Einheit des Bewußtseins, welche vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht und worauf in Beziehung alle Vorstellung von Gegenständen allein möglich ist. Dieses reine ursprüngliche, unwandelbare Bewußtsein will ich nun die transzendentale Apperzeption nennen. Daß sie diesen Namen verdiene, erhellt schon daraus, daß selbst die reinste objektive Einheit, nämlich die der Begriffe a priori (Raum und Zeit), nur durch Beziehung der Anschauungen auf sie möglich sind. Die numerische Einheit dieser Apperzeption liegt also a priori allen Begriffen ebensowohl zugrunde wie die Mannigfaltigkeit des Raums und der Zeit den Anschauungen der Sinnlichkeit.
Ebendiese transzendentale Einheit der Apperzeption macht aber aus allen möglichen Erscheinungen, die immer in einer Erfahrung beisammen sein können, einen Zusammenhang aller dieser
Vorstellungen nach Gesetzen. Denn diese Einheit des Bewußtseins wäre unmöglich, wenn nicht das Gemüt in der Erkenntnis des Mannigfaltigen sich der Identität der Funktion bewußt werden könnte, wodurch sie dasselbe synthetisch in einer Erkenntnis verbindet. Also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner Selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen, d. i. nach Regeln, die sie nicht allein notwendig reproduzibel machen, sondern dadurch auch ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen, d. i. den Begriff von etwas, darin sie notwendig zusammenhängen; denn das Gemüt konnte sich unmöglich die Identität seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen, und zwar a priori, denken, wenn es nicht die Identität seiner Handlung vor Augen hätte, welche alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft und ihren Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich macht. Nunmehr werden wir auch unsere Begriffe von einem Gegenstand überhaupt richtiger bestimmen können. Alle Vorstellungen haben als Vorstellungen ihren Gegenstand und können selbst wiederum Gegenstände anderer Vorstellungen sein. Erscheinungen sind die einzigen Gegenstände, die uns unmittelbar gegeben werden können, und das, was sich darin unmittelbar auf den Gegenstand bezieht, heißt Anschauung. Nun sind aber diese Erscheinungen nicht Dinge an sich selbst, sondern selbst nur Vorstellungen, die wiederum ihren Gegenstand haben, der also von uns nicht mehr angeschaut werden kann und daher der nichtempirische, d. i. transzendentale Gegenstand = X genannt werden mag.
Der reine Begriff von diesem transzendentalen Gegenstand (der wirklich bei allen unseren Erkenntnissen immer einerlei = X ist) ist das, was in allen unseren empirischen Begriffen überhaupt Beziehung auf einen Gegenstand, d. i. objektive Realität verschaffen kann. Dieser Begriff kann nun gar keine bestimmte Anschauung enthalten und wird also nichts anderes als diejenige Einheit betreffen, die in einem Mannigfaltigen der Erkenntnis angetroffen werden muß, sofern es in Beziehung auf einen Gegenstand steht. Diese Beziehung aber ist nichts anderes als die notwendige Einheit des Bewußtseins, mithin auch der Synthesis des Mannigfaltigen durch gemeinschaftliche Funktion des Gemüts, es in einer Vorstellung zu verbinden. Da nun diese Einheit als a priori notwendig angesehen werden muß (weil die Erkenntnis sonst ohne
Gegenstand sein würde), so wird die Beziehung auf einen transzendentalen Gegenstand, d. i. die objektive Realität unserer empirischen Erkenntnis, auf dem transzendentalen Gesetz beruhen, daß alle Erscheinungen, sofern uns dadurch Gegenstände gegeben werden sollen, unter Regeln a priori der synthetischen Einheit derselben stehen müssen, nach welchen ihr Verhältnis in der empirischen Anschauung allein möglich ist, d. i. daß sie ebensowohl in der Erfahrung unter Bedingungen der notwendigen Einheit der Apperzeption als in der bloßen Anschauung unter den formalen Bedingungen des Raums und der Zeit stehen müssen, ja daß durch jene jede Erkenntnis allererst möglich werde.
4. Vorläufige Erklärung der Möglichkeit der Kategorien
als Erkentnissen a priori
Es ist nur eine Erfahrung, in welcher alle Wahrnehmungen als im durchgängigen und gesetzmäßigen Zusammenhang vorgestellt werden, ebenso wie nur ein Raum und eine Zeit ist, in welcher alle Formen der Erscheinung und alles Verhältnis des Seins oder Nichtseins stattfinden. Wenn man von verschiedenen Erfahrungen spricht, so sind es nur so viel Wahrnehmungen, sofern solche zu ein und derselben allgemeinen Erfahrung gehören. Die durchgängige und synthetische Einheit der Wahrnehmungen macht nämlich gerade die Form der Erfahrung aus, und sie ist nichts anderes als die synthetische Einheit der Erscheinungen nach Begriffen.
Einheit der Synthesis nach empirischen Begriffen würde ganz zufällig sein, und gründeten diese sich nicht auf einen transzendentalen Grund der Einheit, so würde es möglich sein, daß ein Gewühl von Erscheinungen unsere Seele anfüllte, ohne daß doch daraus jemals Erfahrung werden könnte. Alsdann fiele aber auch alle Beziehung der Erkenntnis auf Gegenstände weg, weil ihr die Verknüpfung nach allgemeinen und notwendigen Gesetzen mangelte, mithin würde sie zwar gedankenlose Anschauung, aber niemals Erkenntnis, also für uns soviel als gar nichts sein.
Die Bedingungen a priori einer möglichen Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung. Nun behaupte ich, die eben angeführten Kategorien sind nichts anderes als die Bedingungen des Denkens zu einer möglichen Erfahrung, so wie Raum und Zeit die Bedingungen der Anschauung zu ebenderselben enthalten. Also sind jene auch
Grundbegriffe, Objekte überhaupt zu den Erscheinungen zu denken, und haben also a priori objektive Gültigkeit; welches dasjenige war, was wir eigentlich wissen wollten.
Die Möglichkeit aber, ja sogar die Notwendigkeit dieser Kategorien beruht auf der Beziehung, welche die gesamte Sinnlichkeit und mit ihr auch alle möglichen Erscheinungen auf die ursprüngliche Apperzeption haben, in welcher alles notwendig den Bedingungen der durchgängigen Einheit des Selbstbewußtseins gemäß sein, d. i. unter allgemeinen Funktionen der Synthesis stehen muß, nämlich der Synthesis nach Begriffen, als worin die Apperzeption allein ihre durchgängige und notwendige Identität a priori beweisen kann. So ist der Begriff einer Ursache nichts anderes als eine Synthesis (dessen, was in der Zeitreihe folgt, mit anderen Erscheinungen) nach Begriffen, und ohne dergleichen Einheit, die ihre Regel a priori hat und die Erscheinungen sich unterwirft, würde durchgängige und allgemeine, mithin notwendige Einheit des Bewußtseins in dem Mannigfaltigen der Wahrnehmungen nicht angetroffen werden. Diese würden aber alsdann auch zu keiner Erfahrung gehören, folglich ohne Objekt und nichts als ein blindes Spiel der Vorstellungen, d. i. weniger als ein Traum sein.
Alle Versuche, jene reinen Verstandesbegriffe von der Erfahrung abzuleiten und ihnen einen bloß empirischen Ursprung zuzuschreiben, sind also ganz eitel und vergeblich. Ich will davon nichts erwähnen, daß z. B. der Begriff einer Ursache den Zug von Notwendigkeit bei sich führt, welche gar keine Erfahrung geben kann, die uns zwar lehrt, daß auf eine Erscheinung gewöhnlichermaßen etwas anderes folge, aber nicht, daß es notwendig darauf folgen müsse, noch daß a priori und ganz allgemein daraus als einer Bedingung auf die Folge könne geschlossen werden. Aber jene empirische Regel der Assoziation, die man doch durchgängig annehmen muß, wenn man sagt, daß alles in der Reihenfolge der Begebenheiten dermaßen unter Regeln stehe, daß niemals etwas geschieht, vor welchem nicht etwas vorhergehe, darauf es jederzeit folge: Dieses, als ein Gesetz der Natur, worauf beruht es, frage ich, und wie ist selbst diese Assoziation möglich? Der Grund der Möglichkeit der Assoziation des Mannigfaltigen, sofern es im Objekt liegt, heißt die Affinität des Mannigfaltigen. Ich frage also: Wie macht ihr euch die durchgängige Affinität der Erscheinungen (dadurch sie unter beständigen Gesetzen stehen und darunter gehören müssen} begreiflich?
Nach meinen Grundsätzen ist sie sehr wohl begreiflich. Alle
möglichen Erscheinungen gehören als Vorstellungen zu dem ganzen möglichen Selbstbewußtsein. Von diesem aber als einer transzendentalen Vorstellung ist die numerische Identität unzertrennlich und a priori gewiß, weil nichts in die Erkenntnis kommen kann ohne durch diese ursprüngliche Apperzeption. Da nun diese Identität notwendig in der Synthesis alles Mannigfaltigen der Erscheinungen, sofern sie empirische Erkenntnis werden soll, hineinkommen muß, so sind die Erscheinungen Bedingungen a priori unterworfen, welchen ihre Synthesis (der Apprehension) durchgängig gemäß sein muß. Nun heißt aber die Vorstellung einer allgemeinen Bedingung, nach welcher ein gewisses Mannigfaltiges (mithin auf einerlei Art) gesetzt werden kann, eine Regel, und wenn es so gesetzt werden muß, ein Gesetz. Also stehen alle Erscheinungen in einer durchgängigen Verknüpfung nach notwendigen Gesetzen und mithin in einer transzendentalen Affinität, woraus die empirische die bloße Folge ist.
Daß die Natur sich nach unserem subjektiven Grund der Apperzeption richten, ja gar davon in Ansehung ihrer Gesetzmäßigkeit abhängen solle, lautet wohl sehr widersinnig und befremdlich. Bedenkt man aber, daß diese Natur an sich nichts als ein Inbegriff von Erscheinungen, mithin kein Ding an sich, sondern bloß eine Menge von Vorstellungen des Gemüts sei, so wird man sich nicht wundern, sie bloß in dem Radikalvermögen aller unserer Erkenntnis, nämlich der transzendentalen Apperzeption in derjenigen Einheit zu sehen, um derentwillen allein sie Objekt aller möglichen Erfahrung, d. i. Natur heißen kann; und daß wir auch ebendarum diese Einheit a priori, mithin auch als notwendig erkennen können, welches wir wohl müßten unterwegs lassen, wäre sie unabhängig von den ersten Quellen unseres Denkens an sich gegeben. Denn da wüßte ich nicht, wo wir die synthetischen Sätze einer solchen allgemeinen Natureinheit hernehmen sollten, weil man sie auf solchen Fall von den Gegenständen der Natur selbst entlehnen müßte. Da dieses aber nur empirisch geschehen könnte, so würde daraus keine andere als bloß zufällige Einheit gezogen werden können, die aber bei weitem an den notwendigen Zusammenhang nicht reicht, den man meint, wenn man Natur nennt.
Datum der letzten Änderung : Jena, den : 05.11. 2014