Poisson-Prozess

Pfade von zwei Poissonprozessen mit konstanter Intensität: einmal 2,4 (blau) und 0,6 (rot). Der blaue Prozess hat eine viermal höhere Intensität und weist auch mit 30 Sprüngen im gezeichneten Zeitintervall [0; 14,9] weit mehr auf als der rote (nur 8). Dies sind fast genau viermal so viele Sprünge, was auch zu erwarten war.
Pfade von zwei kompensierten zusammengesetzten Poisson-Prozessen. Wie oben ist die Intensität (Sprunghäufigkeit) des blauen Prozesses mit 2,4 genau viermal so hoch wie die des roten Prozesses. Im gezeichneten Intervall [0; 35] springt der blaue Prozess 66-mal (erwartet wären 35·2,4=84), der rote 16-mal, also circa viermal so oft. Bei beiden Prozessen sind die Sprünge normalverteilt mit Mittel 0,25. Diese Sprünge nach oben werden durch den negativen Drift genau so ausgeglichen (kompensiert), dass beide Prozesse Martingale sind. Da der blaue Prozess öfter nach oben springt, ist sein negativer Drift stärker.

Ein Poisson-Prozess ist ein nach Siméon Denis Poisson benannter stochastischer Prozess. Er ist ein Erneuerungsprozess, dessen Zuwächse Poisson-verteilt sind.

Die mit einem Poisson-Prozess beschriebenen seltenen Ereignisse besitzen aber typischerweise ein großes Risiko (als Produkt aus Kosten und Wahrscheinlichkeit). Daher werden damit oft im Versicherungswesen zum Beispiel Störfälle an komplexen Industrieanlagen, Flutkatastrophen, Flugzeugabstürze usw. modelliert.

Parameter

Die Verteilung der Zuwächse hat einen Parameter λ, dieser wird als Intensität des Prozesses bezeichnet, da pro Zeiteinheit genau λ Sprünge erwartet werden (Erwartungswert der Poisson-Verteilung ist ebenfalls λ). Die Höhe jedes Sprunges ist eins, die Zeiten zwischen den Sprüngen sind exponentialverteilt. Der Poisson-Prozess ist also ein diskreter Prozess in stetiger (d.h. kontinuierlicher) Zeit.

Definition

Ein Poisson-Punktprozess \eta ist ein zufälliges Maß, genauer gesagt ein Punktprozess, mit einem s-endlichen Intensitätsmaß \lambda auf einem beliebigen Maßraum {\displaystyle (\mathbf {X} ,{\mathcal {X}})}, der folgende beiden Bedingungen erfüllt:

  1. Für jede messbare Menge B ist die Zufallsvariable {\displaystyle \eta (B)} Poisson-verteilt mit Parameter \lambda (B). Das heißt, es gilt {\displaystyle \mathbb {P} (\eta (B)=k)=P_{\lambda (B)}(k)} für alle {\displaystyle k\in \mathbb {N} _{0}}.
  2. Für jede beliebige Anzahl an paarweise disjunkten Mengen {\displaystyle B_{1},\dots ,B_{n}\in {\mathcal {X}}} sind die Zufallsvariablen {\displaystyle \eta (B_{1}),\dotsc ,\eta (B_{n})} unabhängig.

Für einen Poisson-Punktprozess wird auch die Kurzschreibweise {\displaystyle \eta \sim {\text{PPP}}(\lambda )} verwendet. Handelt es sich um einen homogenen (d.h. auch stationären) Poisson Punktprozess, so schreibt man auch {\displaystyle \eta \sim {\text{PPP}}(\lambda \mathrm {d} x)}, wobei damit das \lambda -fache Lebesgue-Maß gemeint ist. Für das Intensitätsmaß gilt {\displaystyle \lambda (B)=\operatorname {E} (\eta (B))}.

Poisson-Punktprozesse können auf beliebigen Räumen betrachtet werden. Häufig interessiert man sich für den Raum {\mathbb  {R}}^{d} oder für die positive reelle Achse {\displaystyle \mathbb {R} _{+}}. Insbesondere wenn man von einem Poisson-Punktprozess auf der reellen Achse spricht, nennt man die zweite Eigenschaft auch unabhängige Inkremente.

Die Terminologie ist leider nicht einheitlich. Manche Autoren sprechen vom Poisson-Prozess und meinen damit den Poisson-Punktprozess, andere wiederum meinen mit Poisson-Prozess den Poisson-Zählprozess, also {\displaystyle N(t)_{t\geq 0}:=\eta ([0,t])_{t\geq 0}}. Letzteres zählt die Anzahl der Punkte des Poisson-Punktprozesses bis zum Zeitpunkt t.

Definition auf {\displaystyle \mathbb {R} _{+}}

Ein stochastischer Prozess mit càdlàg-Pfaden über einem Wahrscheinlichkeitsraum [\Omega ;{\mathfrak  {A}};{\mathbb  {P}}] heißt (homogener) Poisson-Prozess P_{{\lambda ,t}}\, mit Intensität \lambda\, und t\in [0;\infty ), falls folgende drei Bedingungen erfüllt sind:

Für die Definition des inhomogenen Poisson-Prozesses siehe Inhomogener Poisson-Prozess.

Eigenschaften

Alternative Definition

In der obigen Definition wird die Poisson-Verteilung vorausgesetzt, sie lässt sich aber auch aus grundlegenden Eigenschaften eines stochastischen Prozesses (Poissonsche Annahmen) ableiten. Wenn diese Eigenschaften einem Geschehen in guter Näherung zugeordnet werden können, wird die Ereignishäufigkeit Poisson-verteilt sein. Poisson veröffentlichte 1837 seine Gedanken zu dieser Verteilung zusammen mit seiner Wahrscheinlichkeitstheorie in dem Werk „Recherches sur la probabilité des jugements en matières criminelles et en matière civile“ („Untersuchungen zur Wahrscheinlichkeit von Urteilen in Straf- und Zivilsachen“).

Man betrachtet ein Raum- oder Zeitkontinuum w, in dem zählbare Ereignisse mit konstanter mittlerer Anzahl g pro Einheitsintervall stattfinden (ein Bernoulli-Experiment wird sehr oft, sozusagen an jedem Punkt des Kontinuums durchgeführt). Nun richtet man den Blick auf ein genügend kleines Kontinuumsintervall \Delta w, das je nach Experiment einen Bereich, ein Zeitintervall, eine abgegrenzte Strecke, Fläche oder Volumen darstellen kann. Was sich dort ereignet, bestimmt die globale Verteilung auf dem Kontinuum.

Die drei Poissonschen Annahmen lauten:

  1. Innerhalb des Intervalls [w,w + \Delta w] gibt es höchstens ein Ereignis (Seltenheit).
  2. Die Wahrscheinlichkeit, ein Ereignis im Intervall zu finden, ist proportional zur Länge des Intervalls \Delta w. Da g konstant ist, ist es damit auch unabhängig von w.
  3. Das Eintreten eines Ereignisses im Intervall \Delta w wird nicht beeinflusst von Ereignissen, die in der Vorgeschichte stattgefunden haben (Geschichtslosigkeit).

Mit Annahme 1 und 2 ist die Wahrscheinlichkeit, ein Ereignis im Intervall \Delta w zu finden, gegeben als

p_1(\Delta w ) =  g \cdot  \Delta w,

sowie die Wahrscheinlichkeit eines leeren Intervalls durch

p_0(\Delta w ) = 1 - p_1(\Delta w ) = 1 - g \cdot  \Delta w.

Nach Annahme 3 ist die Wahrscheinlichkeit eines leeren Intervalls \Delta w unabhängig vom Auftreten irgendwelcher Ereignisse im Bereich w davor. So berechnet man die Wahrscheinlichkeit für kein Ereignis bis zum Punkt w + \Delta w zu

p_0(w + \Delta w ) = p_0(w) \cdot p_0(\Delta w)= p_0(w) - g \cdot  p_0(w) \cdot \Delta w.

Das ergibt näherungsweise die gewöhnliche Differentialgleichung {\tfrac  {{\mathrm  {d}}p_{0}(w)}{{\mathrm  {d}}w}}=-g\cdot p_{0}(w) mit der Lösung

p_0(w) = \mathrm{e}^{-g  \cdot w}

unter der Anfangsbedingung p_0(0) = 1. Ebenso findet man die Wahrscheinlichkeit für m Ereignisse bis zum Punkt w + \Delta w

p_m(w + \Delta w ) = p_m(w) \cdot p_0(\Delta w) + p_{m-1}(w) \cdot p_1(\Delta w) = p_m(w) - g \cdot  p_m(w) \cdot \Delta w + g \cdot  p_{m-1}(w) \cdot \Delta w.

Jedes angehängte Intervall \Delta w darf nach Annahme 1 nur entweder kein oder ein Ereignis enthalten. Die entsprechende Differentialgleichung {\tfrac  {{\mathrm  {d}}p_{m}(w)}{{\mathrm  {d}}w}}=-g\cdot p_{m}(w)+g\cdot p_{{m-1}}(w) hat die Lösung

p_m(w) = \frac{(g \cdot w)^m}{m!}\mathrm{e}^{-g  \cdot w}.

Identifiziert man nun in diesem Ausdruck, der die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von m Ereignissen im Kontinuumsbereich w beschreibt, die Parameter ( g \cdot w ) mit \lambda und m mit k, stimmt er mit der Formel der Poisson-Verteilung überein. Die Zahl \lambda ergibt sich in vielen Aufgabenstellungen als Produkt einer Rate (Anzahl von Ereignissen pro Einheitsintervall) und einem Vielfachen des Einheitsintervalls.

Zusammengesetzte Poisson-Prozesse

Ist N_{t} ein Poisson-Prozess mit Intensität \mu sowie Y_{1},Y_{2},\ldots unabhängig und identisch verteilte Zufallsvariablen unabhängig von N_{t}, so wird der stochastische Prozess

X_{t}:=\sum _{{n=1}}^{{N_{t}}}Y_{n}

als zusammengesetzter Poisson-Prozess bezeichnet. X_{t} ist dann zusammengesetzt Poisson-Verteilt. Wie der ursprüngliche Poisson-Prozess ist auch X ein Sprungprozess unabhängiger Zuwächse und exponential(µ)-verteilter Abstände zwischen den Sprüngen, mit Sprunghöhen, die nach Y verteilt sind. Gilt Y_{1}=1 f.s., so erhält man wieder einen Poisson-Prozess.

Für den Erwartungswert gilt die Formel von Wald (nach dem Mathematiker Abraham Wald),

{\mathbb  {E}}(X_{t})={\mathbb  {E}}(N_{t}){\mathbb  {E}}(Y_{1})=\mu t{\mathbb  {E}}(Y_{1}).

Für die Varianz gilt die Blackwell-Girshick-Gleichung:

\operatorname {Var}(X_{t})=\mu t\operatorname {E}(Y_{1})^{2}+\mu t\operatorname {Var}(Y_{1}).

Zusammengesetzte Poisson-Prozesse sind Lévy-Prozesse.

Inhomogener Poisson-Prozess

Graph eines inhomogenen Poisson-Prozesses. Die Events sind als schwarze Kreuze markiert. Die Rate {\displaystyle \lambda (t)}, die sich im Laufe der Zeit verändert ist in rot eingezeichnet.

In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, \lambda nicht als Konstante, sondern als Funktion der Zeit aufzufassen. \lambda (t) muss dabei die beiden Bedingungen

erfüllen.

Für einen inhomogenen Poisson-Prozess (P_{{\lambda (t),t}})_{{t\geq 0}} gilt abweichend von einem homogenen Poisson-Prozess:

Cox-Prozess

Ein inhomogener Poisson-Prozess mit stochastischer Intensitätsfunktion \lambda (t) heißt doppelt stochastischer Poisson-Prozess oder nach dem englischen Mathematiker David Cox auch Cox-Prozess. Betrachtet man eine bestimmte Realisierung von \lambda (t), verhält sich ein Cox-Prozess wie ein inhomogener Poisson-Prozess. Für den Erwartungswert von P_{{\lambda (t),t}} gilt

\operatorname {E}(P_{{\lambda (t),t}})=\operatorname {E}\left(\int _{0}^{t}\lambda (u)\,{\mathrm  {d}}u\right).

Anwendungsbeispiele

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 10.05. 2021