Aminosäuren

Aminosäuren (unüblich Aminocarbonsäuren, veraltet Amidosäuren) sind eine Klasse organischer Verbindungen mit mindestens einer Carboxygruppe (–COOH) und einer Aminogruppe (–NH2), gehören also sowohl zur Gruppe der Carbonsäuren, als auch zu jener der Amine. Die Stellung der Aminogruppe zur Carboxygruppe teilt die Klasse der Aminosäuren in Gruppen auf. Die wichtigsten Aminosäuren haben eine endständige Carboxygruppe und in direkter Nachbarschaft die Aminogruppe. Dies nennt man vicinal oder α-ständig; diese Aminosäuren gehören zu den so genannten α-Aminosäuren.

Der Begriff Aminosäuren wird häufig vereinfachend als Synonym für die proteinogenen Aminosäuren verwendet. Diese α-Aminosäuren sind die Bausteine der Proteine. Bisher sind 23 proteinogene Aminosäuren bekannt, das Spektrum der Klasse der Aminosäuren geht aber weit über diese hinaus. So sind bisher 400 nichtproteinogene natürlich vorkommende Aminosäuren bekannt, die biologische Funktionen haben. Die Anzahl der synthetisch erzeugten und die der theoretisch möglichen Aminosäuren ist noch erheblich größer. Eine spezielle Gruppe stellen die vergleichsweise seltenen D-Aminosäuren dar.

Aminosäuren konnten bisher nicht nur auf der Erde, sondern bereits auch auf Kometen, Meteoriten und sogar in Gaswolken im interstellaren Raum nachgewiesen werden.

Gewinnung und Produktion

Aminosäuren werden entweder aus Naturstoffen durch Auftrennung eines hydrolysierten Proteins oder auf synthetischem Wege gewonnen. Als erste Aminosäure wurde 1805 Asparagin isoliert (Louis-Nicolas Vauquelin). Ursprünglich diente die Entwicklung einer Synthese für die diversen Aminosäuren hauptsächlich der Strukturaufklärung. Inzwischen sind diese Strukturfragen gelöst und mit den verschiedenen Synthesen, soweit sie noch aktuell sind, werden gezielt die gewünschten Aminosäuren dargestellt. Bei den Synthesen entstehen zunächst racemische Gemische, die getrennt werden können. Eine Methode hierfür ist beispielsweise eine selektive enzymatische Hydrolyse. Näheres hierzu unter Trennverfahren.

Nachfolgend ein Überblick über diverse Synthesen, die von Chemikern bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden. Einige dieser älteren Synthesen sind wegen geringer Ausbeuten oder sonstiger Probleme nur von historischem Interesse. Allerdings wurden diese alten Verfahren teilweise weiterentwickelt und einige sind auch noch heute zur Darstellung von Aminosäuren aktuell. Weitergehende Einzelheiten zu diesen Synthesen einschließlich der Gleichungen für die Synthesen sind unter den Links zu den Synthesen und den angegebene Aminosäuren angeführt.

Industriell werden Aminosäuren heute nach folgenden Verfahren hergestellt:

Allgemeiner Aufbau der Aminosäuren

Grundstrukturen einiger Aminosäuren
(R bezeichnet die Seitenkette)

Die instabile Carbamidsäure ist keine Aminosäure, sondern ein Carbonsäureamid. Genau genommen ist sie das Monoamid der Kohlensäure. Alle Aminosäuren bestehen aus mindestens zwei Kohlenstoffatomen. Dabei entscheidet das Kohlenstoffatom, an dem sich die Aminogruppe befindet, um welche Klasse von Aminosäuren es sich handelt. Sind im Molekül mehrere Aminogruppen vertreten, so bestimmt dasjenige Kohlenstoff, dessen Aminogruppe dem Carboxy-Kohlenstoff am nächsten steht, um welche Klasse von Aminosäuren es sich handelt.

Die Bezeichnung weiterer Klassen der Aminosäuren ergibt sich nach dem gleichen Schema.

Die Aminosäuren einer Klasse unterscheiden sich durch ihre Seitenkette R. Ist die Seitenkette R verschieden von den anderen Substituenten, die sich am Kohlenstoff mit der Amino-Gruppe befinden, so befindet sich hier ein Stereozentrum und es existieren von der entsprechenden Aminosäure zwei Enantiomere. Enthält die Seitenkette R selbst weitere Stereozentren, so ergeben sich auch Diastereomere und die Zahl möglicher Stereoisomerer nimmt entsprechend zur Anzahl der weiteren Stereozentren zu. Von Aminosäuren mit zwei verschieden substituierten Stereozentren gibt es vier Stereoisomere.

Säure- und Base-Verhalten

Die Abhängigkeit der durchschnittlichen Nettoladung des Glycins vom pH-Wert

Als Feststoffe und in neutralen wässrigen Lösungen liegen Aminosäuren als Zwitterionen vor, das heißt die Aminogruppe ist protoniert und die Carboxygruppe ist deprotoniert. Verallgemeinert lässt sich das Zwitterion so darstellen:

Amino acid betain structure.png

Als Zwitterion kann die protonierte Aminogruppe als Säure (Protonendonator) und die Carboxylatgruppe kann als Base (Protonenakzeptor) reagieren. In sauren Lösungen liegen Aminosäuren als Kationen und in basischen Lösungen als Anionen vor:

Amino acid titration.png

Die Ladung eines Aminosäuremoleküls hängt also vom pH-Wert der Lösung ab. Bei einem Zwitterion ist die Gesamtladung des Moleküls gleich null. Der entsprechende pH-Wert wird als isoelektrischer Punkt (pHI, pI) einer Aminosäure bezeichnet. Am isoelektrischen Punkt ist die Wasserlöslichkeit einer Aminosäure am geringsten.

Proteinogene Aminosäuren

Proteinogene Aminosäure: L-Prolin

  

Nichtproteinogene Aminosäure: D-Prolin

Als proteinogene Aminosäuren werden alle Aminosäuren bezeichnet, die die Bausteine der Proteine von Lebewesen sind. Dabei handelt es sich bei den proteinogenen Aminosäuren stets um α-Aminosäuren. Bis auf die Aminosäure Glycin sind alle proteinogenen Aminosäuren chiral: Es existieren von jeder dieser Aminosäuren zwei Enantiomere, in einigen Fällen (z. B. Hydroxyprolin) mehr. Dabei ist nur die L-Aminosäure proteinogen: der zum Aufbau der Proteine notwendige Apparat – das Ribosom, die tRNA, die Aminoacyl-tRNA Synthetase (diese belädt die tRNA mit Aminosäuren) und andere – sind selbst auch chiral und können nur die L-Variante erkennen.

D-Aminosäuren kommen in Lebewesen vereinzelt vor. Sie werden dann aber unabhängig vom proteinogenen Stoffwechsel synthetisiert und bleiben daher nichtproteinogen. Sie werden zum Beispiel in der bakteriellen Zellwand und kurzen bakteriellen Peptiden wie Valinomycin (siehe Carrier) eingebaut. Ein Beispiel dafür ist D-Alanin.

Kanonische Aminosäuren

20 der proteinogenen Aminosäuren werden durch Codons des genetischen Materials codiert. Sie werden daher als kanonische Aminosäuren oder auch als Standardaminosäuren bezeichnet.

Die kanonische Aminosäure Prolin besitzt, im Gegensatz zu den anderen kanonischen Aminosäuren, keine primäre, sondern eine sekundäre Aminogruppe, und wird daher auch als sekundäre Aminosäure, fälschlicherweise bzw. veraltet oft auch als Iminosäure, bezeichnet.

In Aminosäuresequenzen werden die Aminosäuren meist im Einbuchstabencode oder im Dreibuchstabencode dargestellt.

Die 20 kanonischen Aminosäuren
Aminosäure Dreibuchstabencode Einbuchstabencode Acyl-Gruppe Bemerkung Ø in Proteinen
Alanin Ala A Alanyl- nicht-essentiell 9,0 %
Arginin Arg R Arginyl- semi-essentiell 4,7 %
Asparagin Asn N Asparaginyl- nicht-essentiell 4,4 %
Asparaginsäure Asp D α-Aspartyl- nicht-essentiell 5,5 %
Cystein Cys C Cysteinyl- nicht-essentiell* 2,8 %
Glutamin Gln Q Glutaminyl- nicht-essentiell 3,9 %
Glutaminsäure Glu E α-Glutamyl- nicht-essentiell 6,2 ;%
Glycin Gly G Glycyl- nicht-essentiell 7,5 %
Histidin His H Histidyl- semi-essentiell 2,1 %
Isoleucin Ile I Isoleucyl- essentiell 4,6 %
Leucin Leu L Leucyl- essentiell 7,5 %
Lysin Lys K Lysyl- essentiell 7,0 %
Methionin Met M Methionyl- essentiell 1,7 %
Phenylalanin Phe F Phenylalanyl- essentiell 3,5 %
Prolin Pro P Prolyl- nicht-essentiell 4,6 %
Serin Ser S Seryl- nicht-essentiell 7,1 %
Threonin Thr T Threonyl- essentiell 6,0 %
Tryptophan Trp W Tryptophyl- essentiell 1,1 %
Tyrosin Tyr Y Tyrosyl- nicht-essentiell* 3,5 %
Valin Val V Valyl- essentiell 6,9 %
*Für Kinder und Schwangere essentiell.
 

Zusätzlich zu den oben angegebenen Codes existieren Platzhalter, die benutzt werden, wenn aus der Proteinsequenzierung oder Röntgenstrukturanalyse nicht auf die genaue Aminosäure geschlossen werden kann.

  Dreibuchstabencode Einbuchstabencode
Asparagin oder Asparaginsäure Asx B
Glutamin oder Glutaminsäure Glx Z
Leucin oder Isoleucin Xle J
unbekannte Aminosäure Xaa (selten Unk) X

Nichtkanonische Aminosäuren

Zu den natürlich vorkommenden nichtkanonischen Aminosäuren gehören alle anderen proteinogenen Aminosäuren. Diese wiederum können in drei Klassen eingeteilt werden:

Aminosäure Dreibuchstabencode Einbuchstabencode
Pyrrolysin Pyl O
Selenocystein Sec U

Der Mensch selbst nutzt die 20 kanonischen Aminosäuren sowie Selenocystein. Von den 20 kanonischen Aminosäuren werden 12 vom menschlichen Organismus bzw. durch im menschlichen Verdauungstrakt lebende Mikroorganismen synthetisiert. Die restlichen 8 Aminosäuren sind für den Menschen essentiell, das heißt er muss sie über die Nahrung aufnehmen.

Der Einbau künstlicher, nahezu beliebig gebauter Aminosäuren über die Ersetzung des Liganden in der entsprechenden tRNA-Synthetase ist so weit fortgeschritten, dass damit gezielt bestimmte Proteine eine Markierung erhalten können, die das Protein nach Behandlung mit spezifischen Reagenzien zur Fluoreszenz anregen (Beispiel: Einbau von Norbornen-Aminosäure via Pyrrolysyl-tRNA-Synthetase/Codon CUA). Damit ist eine genaue Lokalisierung des Proteins auch ohne Produktion und Reaktion mit Antikörpern möglich.

Biochemische Bedeutung

Aminosäuren als Bausteine von Proteinen

Die im Menschen natürlich vorkommenden 20 proteinogenen Aminosäuren nach physikalisch-chemischen Eigenschaften gruppiert

L-Aminosäuren sind in der Biochemie von großer Bedeutung, da sie die Bausteine von Peptiden und Proteinen (Eiweißen) sind. Im Allgemeinen werden in der Literatur zwanzig so genannte proteinogene Aminosäuren genannt, das heißt solche, die im Genom für Proteine codiert sind, allerdings sind in letzter Zeit zwei weitere (Selenocystein und Pyrrolysin) hinzugekommen. Bei diesen handelt es sich stets um α-Aminosäuren, da die Aminogruppe am unmittelbar benachbarten Kohlenstoffatom, welches die funktionelle Carboxygruppe trägt, (Cα) gebunden ist. Diese 20 L-Aminosäuren werden durch je drei Nukleinbasen in der DNA codiert. Darüber hinaus gibt es noch weitere Aminosäuren, die Bestandteile von Proteinen sind, jedoch nicht codiert werden.

Aminosäureketten werden in Abhängigkeit von ihrer Länge als Peptide oder Proteine bezeichnet. Aminosäureketten mit einer Länge von unter zirka 100 Aminosäuren werden meist noch als Peptide bezeichnet, erst ab einer größeren Kettenlänge spricht man von Proteinen. Die einzelnen Aminosäuren sind dabei innerhalb der Kette über die so genannte Peptidbindung (Säureamid) verknüpft. Ein automatisiertes Verfahren zur Synthese von Peptiden liefert die Merrifield-Synthese.

In Form von Nahrung aufgenommene Proteine werden bei der Verdauung in L-Aminosäuren zerlegt. In der Leber werden sie weiter verwertet. Entweder werden sie zur Proteinbiosynthese verwendet oder abgebaut. Die wichtigsten Mechanismen des Aminosäurenabbaus sind:

Essentielle Aminosäuren

Hauptartikel: Essentielle Aminosäure

Aminosäuren, die ein tierischer Organismus benötigt, jedoch nicht selbst herstellen kann, heißen essentielle Aminosäuren und müssen mit der Nahrung aufgenommen werden. Alle essentiellen Aminosäuren sind L-α-Aminosäuren. Für Menschen sind Valin, Methionin, Leucin, Isoleucin, Phenylalanin, Tryptophan, Threonin und Lysin essentielle Aminosäuren. Semi-essentielle Aminosäuren müssen nur in bestimmten Situationen mit der Nahrung aufgenommen werden, zum Beispiel während des Wachstums oder bei schweren Verletzungen. Die übrigen Aminosäuren werden entweder direkt synthetisiert oder aus anderen Aminosäuren durch Modifikation gewonnen. Cystein kann aus der essentiellen Aminosäure Methionin synthetisiert werden. Für Kinder ist zusätzlich zu den generell essentiellen Aminosäuren Tyrosin essentiell, da in diesem Lebensalter die Körperfunktion zu dessen Herstellung aus Phenylalanin noch nicht ausgereift ist. Es gibt auch Erkrankungen, die den Aminosäurestoffwechsel beeinträchtigen, dann müssen unter Umständen eigentlich nicht-essentielle Aminosäuren dennoch mit der Nahrung aufgenommen werden. Hühnereier zum Beispiel enthalten alle essentiellen bzw. semi-essentiellen Aminosäuren, die der menschliche Körper benötigt.

Mengendiagramm der Eigenschaften der 20 proteinogenen Aminosäurereste

Pflanzen und Mikroorganismen können alle für sie notwendigen Aminosäuren selbst synthetisieren. Daher gibt es für sie keine essentiellen Aminosäuren.

Chemisch-physikalische Eigenschaften

Die proteinogenen Aminosäuren lassen sich nach ihren Resten in Gruppen aufteilen (siehe Tabellenübersicht der Eigenschaften). Dabei kann eine Aminosäure in verschiedenen Gruppen gleichzeitig auftauchen. In einem Mengendiagramm lassen sich die Überlappungen der Gruppen grafisch darstellen.

Die Eigenschaften der Seitenkette von Cystein betreffend haben die Autoren unterschiedliche Ansichten: Löffler hält sie für polar, während Alberts sie für unpolar hält. Richtigerweise handelt es sich bei Schwefel um ein Heteroatom, folglich gilt: Die Seitenkette von Cystein hat schwach polare Eigenschaften.

Säure- und Basen-Verhalten

Für das Säure-Base-Verhalten proteinogener Aminosäuren ist vor allem das Verhalten der Seitenkette der Aminosäure (fortan mit R bezeichnet) interessant. In Proteinen sind die NH2- und COOH-Gruppen bei physiologischen pH-Wert (um pH 7) wegen der Peptidbindung nicht protonierbar und damit auch nicht titrierbar. Die Ausnahme ist der Amino- und der Carboxy-Terminus des Proteins. Daher ist für das Säure-Base-Verhalten von Proteinen und Peptiden der Seitenkettenrest R maßgeblich.

Das Verhalten der Seitenkette R hängt von ihrer Konstitution ab, das heißt ob die Seitenkette selbst wieder als Protonenakzeptor oder -donator wirken kann. Die proteinogenen Aminosäuren werden nach den funktionellen Gruppen in unpolare oder polare Aminosäureseitenketten eingeteilt und weiter (in nach Polarität sortierte Untergruppen) in aliphatische, aromatische, amidierte, Schwefel-enthaltende, hydroxylierte, basische und saure Aminosäuren unterteilt. Die Seitenketten von Tyrosin und Cystein sind zwar im Vergleich zu den anderen unpolaren Seitenketten relativ sauer, neigen aber erst bei unphysiologisch hohen pH-Werten zum Deprotonieren. Prolin ist eine sekundäre Aminosäure, da der N-Terminus mit der Seitenkette einen fünfatomigen Ring schließt. Innerhalb eines Proteins bindet der Carboxy-Terminus einer vorhergehenden Aminosäure an den Stickstoff des Prolins, welcher aufgrund der bereits erwähnten Peptidbindung nicht protonierbar ist. Histidin, Tyrosin und Methionin kommen jeweils in zwei Untergruppen vor.

pK-Werte von Aminosäure-Seitenketten (für die freien Aminosäurenreste und im Protein)
Aminosäure Bezeichnung frei im Protein
Asp sauer 3,68 3,7–4,0
Glu sauer 4,25 4,2–4,5
His basisch 6,0 6,7–7,1
Cys semisauer 8,33 8,8–9,1
Tyr semisauer 10,07 9,7–10,1
Lys basisch 10,53 9,3–9,5
Arg basisch 12,48

Aliphatische Aminosäureseitenketten

Aromatische Aminosäureseitenketten

Amidierte Aminosäureseitenketten

Schwefel-enthaltende Aminosäureseitenketten

Hydroxylierte Aminosäureseitenketten

Basische Aminosäureseitenketten

Saure Aminosäureseitenketten

Der pK-Wert ist der pH-Wert, bei dem die titrierbaren Gruppen zu gleichen Teilen protoniert und deprotoniert vorliegen. D.h., die titrierbare Gruppe liegt zu gleichen Teilen in ihrer basischen, wie in ihrer sauren Form vor.

Es ist meist üblich, anstatt vom pKS vom pK zu sprechen, das heißt vom pK der Säure. In diesem Sinne müsste allerdings vom pK des Lysins als pKB, also vom pK der Base gesprochen werden. Aus Gründen der Vereinfachung wird diese Notation aber allgemein weggelassen, da sie sich auch aus dem Sinnzusammenhang selbst ergibt (d.h. ob die Gruppe als Base oder Säure wirkt).

Der pK ist keine Konstante, sondern hängt von der Temperatur, der Aktivität, der Ionenstärke und der unmittelbaren Umgebung der titrierbaren Gruppe ab und kann daher stark schwanken.

Ist der pH höher als der pK einer titrierbaren Gruppe, so liegt die titrierbare Gruppe in ihrer basischen (deprotonierten) Form vor. Ist der pH niedriger als der pK der titrierbaren Gruppe, so liegt die titrierbare Gruppe in ihrer sauren (protonierten) Form vor:

Die Seitenketten basischer Aminosäuren sind in ihrer protonierten (sauren) Form einfach positiv geladen und in ihrer deprotonierten (basischen) Form ungeladen. Die Seitenketten der sauren Aminosäuren (einschließlich Cystein und Tyrosin) sind in ihrer protonierten (sauren) Form ungeladen und in ihrer deprotonierten (basischen) Form einfach negativ geladen. Deswegen spielt der pH-Wert für die Eigenschaften der Seitenkette eine so wichtige Rolle, da das Verhalten der Seitenkette ein ganz anderes ist, wenn sie geladen bzw. ungeladen ist.

Die titrierbaren Seitenketten beeinflussen zum Beispiel das Löslichkeitsverhalten der entsprechenden Aminosäure. In polaren Lösungsmitteln gilt: geladene Seitenketten machen die Aminosäure löslicher, ungeladene Seitenketten machen die Aminosäure unlöslicher.

In Proteinen kann das dazu führen, dass bestimmte Abschnitte hydrophiler oder hydrophober werden, wodurch die Faltung und damit die Aktivität von Enzymen vom pH-Wert abhängt. Durch stark saure oder basische Lösungen können Proteine deswegen auch denaturiert werden.

Elektrische Eigenschaften der Aminosäuren
Aminosäure pK2COOH pK1COOH Isoelektrischer
Punkt
pK1NH2 pK2NH2
Alanin 2,3 6,1 9,9
Arginin 2,81 11,76 9,09 13,2
Asparagin 2,02 5,41 8,80
Asparaginsäure 3,65 1,88 2,85 9,60
Cystein 8,33* 1,71 5,05 10,78
Glutamin 2,17 5,65 9,13
Glutaminsäure 4,25 2,19 3,22 9,67
Glycin 2,21 5,97 9,15
Histidin 1,78 7,47 8,97 5,97
Isoleucin 2,32 5,94 9,76
Leucin 2,4 5,98 9,6
Lysin 2,20 9,59 8,90 10,28
Methionin 2,28 5,74 9,21
Phenylalanin 2,58 5,84 9,24
Prolin 1,99 6,3 10,60
Serin 2,21 5,68 9,15
Threonin 2,10 5,60 9,12
Tryptophan 2,15 5,64 9,12
Tyrosin 10,07** 2,20 5,66 9,11
Valin 2,30 5,96 9,60
* Thiolgruppe
** phenolische Hydroxygruppe

Tabellenübersicht der Eigenschaften

Eigenschaften der 20 kanonischen Aminosäuren (R = Seitenkette) nach Taylor.
Aminosäure Abk. Code Aminosäure-Seitenkette (R) Charakter von R Molare Masse von R (g/mol) van-der-Waals-Volumen von R Polarität von R Hydro-
phobi-
zität von R
Acidität oder Basizität von R Säure-Konstante (pKs)
von R
Struktur-
formel
Alanin Ala A –CH3 aliphatisch 15,03 67 unpolar 1,8 neutral L-Alanin
Arginin Arg R –CH2CH2CH2NH-C(NH)NH2 aliphatisch 100,14 148 polar −4,5 basisch (stark) 12,48 L-Arginin
Asparagin Asn N –CH2CONH2 aliphatisch 58,06 96 polar −3,5 neutral L-Asparagin
Asparaginsäure Asp D –CH2COOH aliphatisch 59,04 91 polar −3,5 sauer 3,90 L-Asparaginsäure
Cystein Cys C –CH2SH aliphatisch 47,10 86 polar 2,5 neutral 8,18 L-Cystein
Glutamin Gln Q –CH2CH2CONH2 aliphatisch 72,09 114 polar −3,5 neutral L-Glutamin
Glutaminsäure Glu E –CH2CH2COOH aliphatisch 73,07 109 polar −3,5 sauer 4,07 L-Glutaminsäure
Glycin Gly G –H aliphatisch 1,01 48 unpolar −0,4 neutral L-Glycin
Histidin His H –CH2(C3H3N2) aromatisch 81,1 118 polar −3,2 basisch (schwach) 6,04 L-Histidin
Isoleucin Ile I –CH(CH3)CH2CH3 aliphatisch 57,11 124 unpolar 4,5 neutral L-Isoleucin
Leucin Leu L –CH2CH(CH3)2 aliphatisch 57,11 124 unpolar 3,8 neutral L-leucin
Lysin Lys K –CH2CH2CH2CH2NH2 aliphatisch 72,13 135 polar −3,9 basisch 10,54 L-Lysin
Methionin Met M –CH2CH2SCH3 aliphatisch 75,15 124 unpolar 1,9 neutral L-Methionin
Phenylalanin Phe F –CH2(C6H5) aromatisch 91,13 135 unpolar 2,8 neutral L-Phenylalanin
Prolin Pro P –CH2CH2CH2 heterocyclisch 42,08 90 unpolar −1,6 neutral L-Prolin
Serin Ser S –CH2OH aliphatisch 31,03 73 polar −0,8 neutral L-Serin
Threonin Thr T –CH(OH)CH3 aliphatisch 45,06 93 polar −0,7 neutral L-Threonin
Tryptophan Trp W –CH2(C8H6N) aromatisch 130,16 163 unpolar −0,9 neutral L-Tryptophan
Tyrosin Tyr Y –CH2(C6H4)OH aromatisch 107,13 141 polar −1,3 neutral 10,46 L-Tyrosin
Valin Val V –CH(CH3)2 aliphatisch 43,09 105 unpolar 4,2 neutral L-Valin

Stereochemie

18 der 20 proteinogenen Aminosäuren haben gemäß der Cahn-Ingold-Prelog-Konvention am α-Kohlenstoff-Atom die (S)-Konfiguration, lediglich Cystein besitzt die (R)-Konfiguration, da hier der Kohlenstoff mit der Thiolgruppe eine höhere Priorität als die Carbonsäuregruppe hat. Glycin ist nicht chiral, daher kann keine absolute Konfiguration bestimmt werden.

Zusätzlich zum Stereozentrum am α-C-Atom besitzen Isoleucin und Threonin in ihrem Rest R je ein weiteres stereogenes Zentrum. Proteinogenes Isoleucin [R = –C*H(CH3)CH2CH3] ist dort (S)-konfiguriert, Threonin [R = –C*H(OH)CH3] (R)-konfiguriert.

Nichtproteinogene Aminosäuren

Von den nichtproteinogenen, das heißt nicht in Proteinen vorkommenden, Aminosäuren sind bislang über 400 bekannt, die in Organismen vorkommen. Dazu gehört etwa das L-Thyroxin, ein Hormon der Schilddrüse, L-DOPA, L-Ornithin oder das in fast allen Arten von Cyanobakterien nachgewiesene Neurotoxin β-Methylaminoalanin (BMAA). Die L-Azetidin-2-carbonsäure ist ein toxischer Bestandteil der Rhizome einheimischer Maiglöckchen (Convallaria majalis) und Zuckerrüben. Sie wirkt hemmend auf das Pflanzenwachstum.

Die meisten nichtproteinogenen Aminosäuren leiten sich von den proteinogenen ab, die L-α-Aminosäuren sind. Dennoch können dabei auch β-Aminosäuren (β-Alanin) oder γ-Aminosäuren (GABA) entstehen.

Die nichtproteinogene synthetische Aminosäure (all-S)-endo-cis-2-Azabicyclo-[3.3.0]-octan-3-carbonsäure, ein Strukturelement des Arzneistoffs Ramipril.

Zu den nichtproteinogenen Aminosäuren zählen auch alle D-Enantiomere der proteinogenen L-Aminosäuren. D-Serin wird im Hirn durch die Serin-Racemase aus L-Serin (seinem Enantiomer) erzeugt. Es dient sowohl als Neurotransmitter als auch als Gliotransmitter durch die Aktivierung des NMDA-Rezeptors, was zusammen mit Glutamat die Öffnung des Kanals erlaubt. Zum Öffnen des Ionenkanals muss Glutamat und entweder Glycin oder D-Serin binden. D-Serin ist an der Glycin-Bindungsstelle des Glutamatrezeptors vom NMDA-Typ ein stärkerer Agonist als Glycin selbst, war aber zum Zeitpunkt der Erstbeschreibung der Glycin-Bindungsstelle noch unbekannt. D-Serin ist nach D-Aspartat die zweite D-Aminosäure, die in Menschen gefunden wurde.

Zu den synthetischen Aminosäuren gehört die 2-Amino-5-phosphonovaleriansäure (APV), ein Antagonist des NMDA-Rezeptors und das ökonomisch wichtige D-Phenylglycin [Synonym: (R)-Phenylglycin], das in der Seitenkette vieler semisynthetischer β-Lactamantibiotica als Teilstruktur enthalten ist. (S)- und (R)-tert-Leucin (Synonym: (S)- und (R)-β-Methylvalin) sind synthetische Strukturisomere der proteinogenen Aminosäure (S)-Leucin und werden als Edukt in stereoselektiven Synthesen eingesetzt.

Es gibt auch α-Aminosulfonsäuren [Beispiel: 2-Aminoethansulfonsäure (Synonym: Taurin)], α-Aminophosphonsäuren und α-Aminophosphinsäuren. Das sind auch α-Aminosäuren, jedoch keine α-Aminocarbonsäuren. Statt einer Carboxygruppe (–COOH) ist eine Sulfonsäure-, Phosphonsäure- bzw. Phosphinsäuregruppe in diesen α-Aminosäuren enthalten.

Einige nichtproteinogene Aminosäuren
Aminosäure Biologische Bedeutung
Thyroxin Hormon der Schilddrüse
GABA inhibitorischer Neurotransmitter
L-Homoserin Stoffwechselzwischenprodukt der Argininsynthese
Ornithin Stoffwechselzwischenprodukt im Harnstoffzyklus
Citrullin Stoffwechselzwischenprodukt im Harnstoffzyklus
Argininosuccinat Stoffwechselzwischenprodukt im Harnstoffzyklus
L-DOPA Stoffwechselzwischenprodukt bei der Synthese von Katecholaminen
5-Hydroxytryptophan Stoffwechselzwischenprodukt bei der Serotoninsynthese
β-Alanin Baustein von Coenzym A
β-Methylamino-Alanin Neurotoxin in Cyanobakterien
Ibotensäure Pilzgift
D-Valin Bestandteil des Antibiotikums Valinomycin
D-Alanin Bestandteil in bakteriellen Zellwänden
D-Glutamat Bestandteil in bakteriellen Zellwänden
2,6-Diaminopimelinsäure Bestandteil in bakteriellen Zellwänden

Verwendung

Aminosäuren haben für die Ernährung des Menschen eine fundamentale Bedeutung. In der Regel wird der Bedarf an essentiellen Aminosäuren durch tierische oder eine geeignete Kombination verschiedener pflanzlicher Proteine (etwa aus Getreide und Hülsenfrüchten) vollkommen gedeckt. Pflanzliche Proteine haben meist eine geringere biologische Wertigkeit. Futtermittel in der Nutztierhaltung werden zusätzlich mit Aminosäuren, z.B. DL-Methionin und L-Lysin, angereichert, wodurch deren Nährwert erhöht wird.

Aminosäuren bzw. ihre Derivate finden Verwendung als Zusatz für Lebensmittel, hier insbesondere auch als Geschmacksverstärker (Natriumglutamat), Süßstoff (Aspartam), und sind Vorstufen für bestimmte Aromastoffe, die bei der Zubereitung von Speisen durch die Maillard-Reaktion entstehen.

In der Pharmazie bzw. Medizin werden L-Aminosäure-Infusionslösungen für die parenterale Ernährung angewendet. Daneben werden Aminosäuren auch als Hilfsstoffe eingesetzt, z.B. als Salzbildner, Puffer und Stabilisatoren bei bestimmten Lebererkrankungen. Bei Krankheiten mit einem Mangel von Neurotransmittern verwendet man L-Dopa. Für synthetische Peptidhormone und für die Biosynthese von Antibiotika sind Aminosäuren notwendige Ausgangsstoffe. Magnesium- und Kalium-Aspartate spielen bei der Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen eine Rolle. Cystein, beziehungsweise die Derivate Acetylcystein und Carbocystein, finden zudem eine Anwendung bei infektiösen Bronchialerkrankungen mit erhöhtem Bronchialsekret. Zudem wird L-Cystein als Reduktionsmittel in der Dauerwelle eingesetzt.

Aminosäuren werden in der Kosmetik Hautpflegemitteln und Shampoos zugesetzt.

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Basierend auf einem Artikel in Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 19.03. 2024