Narr oder Weiser?

Im Museum
Am Rathaus

Von der mittelalterlichen Ausstattung des Rathauses blieb allein die spätgotische Kunstuhr erhalten, die sich seit 1755 an dem damals errichteten Turm befindet. Zentralfigur ist der Kopf eines Narren - "Hans von Jene" - der bei jedem Stundenschlag seinen Mund aufreißt. Der Kopf berindet sich über dem barocken Zifferblatt der Uhr. Seitlich sind die spätgotischen Plastiken eines Pilgers angebracht, der dem Narren beim Stundenschlag eine Kugel entgegenstreckt, und eines Engels, der gleichzeitig ein Glöckchen läutet. Diese szenisch anmutende Zusammenstellung der Figuren geschah erst bei der Umsetzung der Uhr an den Turm und führte zu verschiedenen, z. T. weit hergeholten Deutungen.
Der jetzt gebräuchliche Name für den Narrenkopf "Schnapphans" taucht zum ersten Mal in der Urkunde über den Turmbau auf.
Es gibt bereits seit dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts literarische Erwähnungen des Hans von Jena. Luther nennt ihn zwischen 1530 und 1540 in mehreren Briefen, einer Predigt und einer Tischrede, wenn er dümmliches Maulaufsperren, Gaffen und Staunen volkstümlich illustrieren will. In dem Volksschauspiel von der Magelone, das 1538 im Druck erschien, gilt "Hans von Gehn" als der überall erwünschte närrische Spender guter Laune:

"Dann wo herr Hans von Gehn nicht ist,
Daselbst man aller freuden vorgist,
es ist kein spill so gering und klein,
in welchem gar kein Narr must sein."

Außerdem wird der Kopf des Narren - caput - in dem lateinisch überlieferten Vers von den "Wundern Jenas" erwähnt. Der überlebensgroße Kopf des Hans von Jena zeigt die Züge eines alten, physisch verbrauchten Menschen mit runzeliger Haut, tiefliegenden Augenhöhlen und einem Mund mit ausfallenden Zähnen. Alter, Qual und Bitterkeit des Lebens haben auf diesem Antlitz tiefe Spuren eingegraben und den schmalen Kopf mit der energisch gebogenen Nase und den empfindsamen Augen in eine abstoßende, erschreckende Physiognomie verwandelt.
Dieses Gesicht ist weder das eines dumm gaffenden Menschen noch eines lustigen, leichtsinnigen Narren, wie die zitierten zeitgenössischen Urteile meinen.

Alle Skulpturen sind Kopien; die Originale werden im Stadtmuseum aulbewahrt.

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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 18.11. 2018