Lessing - Ringparabel

Durch die Veröffentlichung der sogenannten "Wolfenbüttler Fragmente" (Teile einer religionskritischen Schrift des verstorbenen Hamburger Orientalisten Professor Samuel Reimarus, 1694-1768, die den Offenbarungscharakter der Bibel angriffen) wird Lessing in schwere literarisch-theologische Auseinandersetzungen um die Freiheit wissenschaftlicher Forschung mit dem Hauptpastor Goeze der Hamburger St.Katharinen-Kirche verwickelt. Als gegen Lessing durch Kabinettsbefehl seines Landesherrn ein Verbot wissenschaftlicher Veröffentlichung ergeht, beschließt er, sich nicht mundtot machen zu lassen und widmet sich wieder dem Theater. In der Nacht zum 11. August 1778 beginnt er die Arbeit am "Nathan". Lessing übernimmt aus der Novelle "Decamerone" des Giovanni Boccaccio (1313-1375) die Parabel von den drei Ringen, wo sie als die dritte Geschichte des ersten Tages von dem Juden Melchisedek und seinen drei Söhnen erzählt wird. In dem dramatischen Gedicht werden in fünffüßigen, ungereimten Jamben ewige Menschheitsfragen diskutiert. (Der Jambus ist ein Versfuß aus einer Senkung und einer Hebung. Der für das deutsche klassische Drama kennzeichnende fünffüßige Jambus, als Blankvers von den Engländern ausgebildet, wurde erstmals von Lessing benutzt.) Die Humanitätsideale des 18 Jahrhunderts werden dargelegt. Für Lessing ist der "Nathan" sein in dramatische Form gegossenes freimaurerisches Glaubensbekenntnis. Er will nicht die Wirklichkeit beschreiben, sondern ein Ideal verkünden. Der Dichter will nicht das Idealbild eines Juden, sondern des wahren Menschen geben, dem Toleranz Herzenzanliegen ist. Es soll nicht der transzendente Gehalt der Religionen diskutiert, sondern die Aufgabe gezeigt werden, die dem frommen Menschen hier auf Erden im Umgang mit dem Nächsten erwächst. Menschenliebe, Hilfsbereitschaft, Toleranz, Mildtätigkeit und Erziehung hierzu werden von Lessing zum Kern des Humanitätsbegriffs gemacht. Lessing sieht allein in echter Herzensgüte das Wesen wirklicher Religiosität. Herder schrieb an Lessing am 1. Juni 1779: "Ich sage Ihnen kein Lob über das Stück; das Werk lobt den Meister, und dies ist Manneswerk." Goethe, der "Nathan den Weisen" sehr bewunderte, sprach den Wunsch aus: "Möge das darin ausgesprochene göttliche Duldungs- und Schonungsgefühl der Nation heilig und wert bleiben!"

Zum Inhalt:

Während des 3. Kreuzzuges kommt es zu einem Konflikt unter den Vertretern der drei goßen Religionen, die in Jerusalem zusammentreffen. Jerusalem ist und war für die drei Offenbarungsreligionen - den Islam, das Judentum und das Christentum - ein heiliger Ort. Die christlichen Heere hatten im Jahr 1099 unter unglaublichen Verlusten Jerusalem erobert und einen guten Teil der jüdischen und mohammedanischen Bevölkerung abgeschlachtet. Im 12 Jahrhundert dehnte wiederum ein mohammedanischer Sultan seine Macht in Ägypten und im Vorderen Orient aus und eroberte 1187 Jerusalem. Dieser Sultan war Saladin. Die dramatische Handlung spielt etwas außerhalb der historischen Chronologie während eines Waffenstillstands zwischen dem Kreuzzügler Richard Löwenherz und Saladin im Jahre 1192.

Der Tempelherr Leu von Filneck, aus vorerst unersichtlichen Gründen von Sultan Saladin begnadigt, rettet aus einem brennenden Haus in Jerusalem die von dem Juden Nathan an Kindes statt angenommene Recha. Im Tempelherren wogen zwiespältige Empfindungen, aufkeimende Liebe und vom eifernden Patriarchen in Jerusalem geschürter orthodoxer Haß gegen das Judentum. Von tiefer Neigung zu ihr ergriffen, bittet er den Juden um ihre Hand, ohne daß er weiß, wer Recha ist. In die Verwicklung wird der Sultan Saladin eingeschaltet, der dem Juden die Frage nach der besten Religion vorlegt. Nathan erzählt die Parabel von den drei Ringen: Ein reicher Mann im Osten besaß einen Ring, der die geheimnisvolle Auswirkung hatte, 'vor Gott und Menschen angenehm zu machen, wer ihn mit Zuversicht trug'. Er hatte drei Söhne und vererbte jedem von ihnen einen Ring, der dem echten völlig gleich war, so daß keiner der Söhne wußte, wer den echten Ring besaß. Alle drei wurden von einem weisen Richter schließlich belehrt, jeder sollte so handeln, als wäre der echte Ring sein eigen: 'Es eifre jeder seiner unbestochenen, von Vorurteilen freien Liebe nach!' Die darin enthaltene Aufforderung zu Menschlichkeit und Toleranz der verschiedenen Religionen und aller Menschen untereinander überwältigt den Sinn des Sultans und läßt ihn zum Freunde Nathans werden. Der Gang der Handlung besteht nun in einer analytischen Aufklärung über die Verwandschaftsverhältnisse der handelnden Personen und in der inneren Läuterung der Leidenschaft des Tempelherrn. Recha ist seine Schwester. Sie beide stammen aus der Ehe des jüngeren Bruders des Sultans Saladin, Assad, mit einer Christin. Dieser Assad verließ das Vaterland und gab seine Religion um seiner Ehe mit der Christin willen auf. Sein Sohn, der Tempelherr, kehrt ins Heilige Land zurück. So wie schon immer der edle Nathan die starren Religionsunterschiede für nichtig erachtet hat, so führt das Leben sie alle zusammen. Über die trennenden Grenzen der Religionen und Kulturen finden sie sich wieder in reiner Menschenachtung. Symbolisch drückt das die in den Dialog eingearbeitete Ringparabel aus.


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Datum der letzten Änderung : Jena, den : 03.12.2012