Systematische Vorstellung aller synthetischen Grundsätze desselben | Inhalt | B. Zweite Analogie

A. Erste Analogie
Grundsatz der Beharrlichkeit

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Alle Erscheinungen enthalten das Beharrliche (Substanz) als den Gegenstand selbst und das Wandelbare, als dessen bloße Bestimmung, d. i. eine Art, wie der Gegenstand existiert.

Beweis dieser ersten Analogie

Alle Erscheinungen sind in der Zeit. Diese kann auf zweifache Weise das Verhältnis im Dasein derselben bestimmen, entweder sofern sie nacheinander oder zugleich sind. In Betracht der ersteren wird die Zeit als Zeitreihe, in Ansehung der zweiten als Zeitumfang betrachtet.

Unsere Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung ist jederzeit sukzessiv und ist also immer wechselnd. Wir können also dadurch allein niemals bestimmen, ob dieses Mannigfaltige als Gegenstand der Erfahrung zugleich sei oder nacheinander folge, wo an ihr nicht etwas zugrunde liegt, was jederzeit ist, d. i. etwas Bleibendes und Beharrliches, von welchem aller Wechsel und Zugleichsein nichts als so viel Arten (modi der Zeit) sind, wie das Beharrliche existiert. Nur in dem Beharrlichen sind also Zeit­verhältnisse möglich (denn Simultaneität und Sukzession sind die einzigen Verhältnisse in der Zeit), d. i. das Beharrliche ist das Substratum der empirischen Vorstellung der Zeit selbst, an welchem alle Zeitbestimmung allein möglich ist. Die Beharrlichkeit drückt überhaupt die Zeit als das beständige Korrelat alles Da-

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seins der Erscheinungen, alles Wechsels und aller Begleitung aus. Denn der Wechsel trifft die Zeit selbst nicht, sondern nur die Erscheinungen in der Zeit (so wie das Zugleichsein nicht ein modus der Zeit selbst ist, als in welcher gar keine Teile zugleich, sondern alle nacheinander sind). Wollte man der Zeit selbst eine Folge nacheinander beilegen, so müßte man noch eine andere Zeit den­ken, in welcher diese Folge möglich wäre. Durch das Beharrliche allein bekommt das Dasein in verschiedenen Teilen der Zeitreihe nacheinander eine Größe, die man Dauer nennt. Denn in der bloßen Folge allein ist das Dasein immer verschwindend und anhebend und hat niemals die mindeste Größe. Ohne dieses Beharrliche ist also kein Zeitverhältnis. Nun kann die Zeit an sich selbst nicht wahrgenommen werden; mithin ist dieses Beharrliche an den Erscheinungen das Substratum aller Zeitbestimmung, folglich auch die Bedingung der Möglichkeit aller synthetischen Einheit der Wahrnehmungen, d. i. der Erfahrung, und an diesem Beharrlichen kann alles Dasein und aller Wechsel in der Zeit nur als ein modus der Existenz dessen, was bleibt und beharrt, angesehen werden. Also ist in allen Erscheinungen das Beharrliche der Gegenstand selbst, d. i. die Substanz (phaenomenon), alles aber, was wechselt oder wechseln kann, gehört nur zu der Art, wie diese Substanz oder Substanzen existieren, mithin zu ihren Bestimmungen.

Ich finde, daß zu allen Zeiten nicht bloß der Philosoph, sondern selbst der gemeine Verstand diese Beharrlichkeit als ein Substratum alles Wechsels der Erscheinungen vorausgesetzt haben und auch jederzeit als ungezweifelt annehmen werden, nur daß der Philosoph sich hierüber etwas bestimmter ausdrückt, indem er sagt: Bei allen Veränderungen in der Welt bleibt die Substanz, und nur die Akzidenzen wechseln. Ich treffe aber von diesem so synthetischen Satz nirgends auch nur den Versuch von einem Beweis, ja er steht auch nur selten, wie es ihm doch gebührt, an der Spitze der reinen und völlig a priori bestehenden Gesetze der Natur. In der Tat ist der Satz, daß die Substanz be­harrlich sei, tautologisch. Denn bloß diese Beharrlichkeit ist der Grund, warum wir auf die Erscheinung die Kategorie der Substanz anwenden, und man hätte beweisen müssen, daß in allen Erscheinungen etwas Beharrliches sei, an welchem das Wandelbare nichts als Bestimmung seines Daseins ist. Da aber ein solcher Beweis niemals dogmatisch, d. i. aus Begriffen geführt werden kann, weil er einen synthetischen Satz a priori betrifft, und man

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niemals daran dachte, daß dergleichen Sätze nur in Beziehung auf mögliche Erfahrung gültig sein, mithin auch nur durch eine Deduktion der Möglichkeit der letzteren bewiesen werden können, so ist kein Wunder, wenn er zwar bei aller Erfahrung zugrunde gelegt (weil man dessen Bedürfnis bei der empirischen Erkenntnis fühlt), niemals aber bewiesen worden ist.

Ein Philosoph wurde gefragt: »Wieviel wiegt der Rauch?« Er antwortete: »Ziehe vom Gewicht des verbrannten Holzes das Gewicht der übrigbleibenden Asche ab, so hast du das Gewicht des Rauches.« Er setzte also als unwidersprechlich voraus, daß selbst im Feuer die Materie (Substanz) nicht vergehe, sondern nur die Form derselben eine Abänderung erleide. Ebenso war der Satz »Aus nichts wird nichts« nur ein anderer Folgesatz aus dem Grundsatz der Beharrlichkeit oder vielmehr des immerwährenden Daseins des eigentlichen Subjekts an den Erscheinungen. Denn wenn dasjenige an der Erscheinung, was man Substanz nennen will, das eigentliche Substratum aller Zeitbestimmung sein soll, so muß sowohl alles Dasein in der vergangenen als das der künftigen Zeit daran einzig und allein bestimmt werden können. Daher können wir einer Erscheinung nur darum den Namen Substanz geben, weil wir ihr Dasein zu aller Zeit voraussetzen, welches durch das Wort Beharrlichkeit nicht einmal wohl ausgedrückt wird, indem dieses mehr auf künftige Zeit geht. Indessen ist die innere Notwendigkeit zu beharren doch unzertrennlich mit der Notwendigkeit, immer gewesen zu sein, verbunden, und der Ausdruck mag also bleiben. Gigni de nihilo nihil, in nihilum nil posse reverti waren zwei Sätze, welche die Alten unzertrennt verknüpften und die man aus Mißverstand jetzt bisweilen trennt, weil man sich vorstellt, daß sie Dinge an sich selbst angehen und der erstere der Abhängigkeit der Welt von einer obersten Ur­sache (auch sogar ihrer Substanz nach) entgegen sein dürfte, welche Besorgnis unnötig ist, indem hier nur von Erscheinungen im Feld der Erfahrung die Rede ist, deren Einheit niemals möglich sein würde, wenn wir neue Dinge (der Substanz nach) entstehen lassen wollten. Denn alsdann fiele dasjenige weg, welches die Einheit der Zeit allein vorstellen kann, nämlich die Identität des Substratum, als woran aller Wechsel allein durchgängige Einheit hat. Diese Beharrlichkeit ist indes doch weiter nichts als die Art, uns das Dasein der Dinge (in der Erscheinung) vorzustellen.

Die Bestimmungen einer Substanz, die nichts anderes sind als besondere Arten derselben, zu existieren, heißen Akzidenzen. Sie

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sind jederzeit real, weil sie das Dasein der Substanz betreffen (Negationen sind nur Bestimmungen, die das Nichtsein von etwas an der Substanz ausdrücken). Wenn man nun diesem Realen an der Substanz ein besonderes Dasein beilegt (z. B. der Bewegung als einem Akzidenz der Materie), so nennt man dieses Dasein die Inhärenz zum Unterschied vom Dasein der Substanz, das man Subsistenz nennt. Allein hieraus entspringen viel Mißdeutungen, und es ist genauer und richtiger geredet, wenn man das Akzidenz nur durch die Art, wie das Dasein einer Substanz positiv bestimmt ist, bezeichnet. Indessen ist es doch vermöge der Be­dingungen des logischen Gebrauchs unseres Verstandes unvermeidlich, dasjenige, was im Dasein einer Substanz wechseln kann, indessen, daß die Substanz bleibt, gleichsam abzusondern und im Verhältnis auf das eigentlich Beharrliche und Radikale zu be­trachten; daher denn auch diese Kategorie unter dem Titel der Verhältnisse steht, mehr als die Bedingung derselben, als daß sie selbst ein Verhältnis enthielte.

Auf dieser Beharrlichkeit gründet sich nun auch die Berichtigung des Begriffs von Veränderung. Entstehen und Vergehen sind nicht Veränderungen desjenigen, was entsteht oder vergeht. Veränderung ist eine Art zu existieren, welche auf eine andere Art zu existieren ebendesselben Gegenstands erfolgt. Daher ist alles, was sich verändert, bleibend, und nur sein Zustand wechselt, Da dieser Wechsel also nur die Bestimmungen trifft, die aufhören oder auch anheben können, so können wir in einem etwas paradox scheinenden Ausdruck sagen, nur das Beharrliche (die Substanz) wird verändert, das Wandelbare erleidet keine Veränderung, sondern einen Wechsel, da einige Bestimmungen aufhören und andere anheben.

Veränderung kann daher nur an Substanzen wahrgenommen werden, und das Entstehen oder Vergehen schlechthin, ohne daß es bloß eine Bestimmung des Beharrlichen betreffe, kann gar keine mögliche Wahrnehmung sein, weil eben dieses Beharrliche die Vorstellung von dem Übergang aus einem Zustand in den andern und von Nichtsein zum Sein möglich macht, die also nur als wechselnde Bestimmungen dessen, was bleibt, empirisch erkannt werden können. Nehmt an, daß etwas schlechthin anfange zu sein, so müßt ihr einen Zeitpunkt haben, in dem es nicht war. Woran wollt ihr aber diesen heften, wenn nicht an demjenigen, was schon ist? Denn eine leere Zeit, die vorherginge, ist kein Gegenstand der Wahrnehmung; knüpft ihr dieses Entstehen aber an

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Dinge, die vorher waren und bis zu dem, was entsteht, fortdauern, so war das letztere nur eine Bestimmung des ersteren als des Beharrlichen. Ebenso ist es auch mit dem Vergehen: denn dieses setzt die empirische Vorstellung einer Zeit voraus, da eine Erscheinung nicht mehr ist.

Substanzen (in der Erscheinung) sind die Substrate aller Zeit­bestimmungen. Das Entstehen einiger und das Vergehen anderer derselben würde selbst die einzige Bedingung der empirischen Einheit der Zeit aufheben, und die Erscheinungen würden sich alsdann auf zweierlei Zeit beziehen, in denen nebeneinander das Dasein verflösse, welches ungereimt ist. Denn es ist nur eine Zeit, in welcher alle verschiedenen Zeiten nicht zugleich, sondern nacheinander gesetzt werden müssen.

So ist demnach die Beharrlichkeit eine notwendige Bedingung, unter welcher allein Erscheinungen als Dinge oder Gegenstände in einer möglichen Erfahrung bestimmbar sind. Was aber das empirische Kriterium dieser notwendigen Beharrlichkeit und mit ihr die Substantialität der Erscheinungen sei, davon wird uns die Folge Gelegenheit geben, das Nötige anzumerken.


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Datum der letzten Änderung : Jena, den: 11.02. 2016