Von den reinen Verstandeshegriffen oder Kategorien | Inhalt | Von den Prinzipien einer transzendentalen Deduktion überhaupt

Übersicht der Kategorien

56

Dies ist nun die Verzeichnung aller ursprünglich reinen Begriffe der Synthesis, die der Verstand a priori in sich enthält und um derentwillen er auch nur ein reiner Verstand ist; indem er durch sie allein etwas bei dem Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d. i. ein Objekt derselben denken kann. Diese Einteilung ist systematisch aus einem gemeinschaftlichen Prinzip, nämlich dem Vermögen zu urteilen (welches ebensoviel ist wie das Vermögen zu denken) erzeugt und nicht rhapsodistisch, aus einer auf gut Glück unternommenen Aufsuchung reiner Begriffe entstanden, deren Vollzähligkeit man niemals gewiß sein kann, da sie nur durch Induktion geschlossen wird, ohne zu gedenken, daß man noch auf die letztere Art niemals einsieht, warum denn gerade diese und nicht andere Begriffe dem reinen Verstand beiwohnen. Es war ein eines scharfsinnigen Mannes würdiger Anschlag des Aristoteles, diese Grundbegriffe aufzusuchen. Da er aber kein Prinzip hatte, so raffte er sie auf, wie sie ihm aufstießen, und trieb deren zuerst zehn auf, die er Kategorien (Prädikamente) nannte. In der Folge glaubte er noch ihrer fünf aufgefunden zu haben, die er unter dem Namen der Postprädikamente hinzufügte. Allein seine Übersicht blieb noch immer mangelhaft. Außerdem finden sich auch einige Modi der reinen Sinnlichkeit darunter (quando, ubi, situs, imgleichen prius, simul), auch ein empirischer (motus), die in dieses Stammregister des Verstandes gar nicht gehören, oder es sind auch die abgeleiteten Begriffe mit unter die Urbegriffe ge-

57

zählt (actio, passio), und an einigen der letzteren fehlt es gänzlich.

Um der letzteren willen ist also noch zu bemerken, daß die Kategorien als die wahren Stammbegriffe des reinen Verstandes auch ihre ebenso reinen abgeleiteten Begriffe haben, die in einem vollständigen System der Transzendental-Philosophle keineswegs übergangen werden können, mit deren bloßer Erwähnung aber ich in einem bloß kritischen Versuch zufrieden sein kann.

Es sei mir erlaubt, diese reinen, aber abgeleiteten Verstandesbegriffe die Prädikabilien des reinen Verstandes (im Gegensatz der Prädikamente) zu nennen. Wenn man die ursprünglichen und primitiven Begriffe hat, so lassen sich die abgeleiteten und subalternen leicht hinzufügen und der Stammbaum des reinen Verstandes völlig ausmalen. Da es mir hier nicht um die Vollständigkeit des Systems, sondern nur der Prinzipien zu einem System zu tun ist, so erspare ich die Ergänzung auf eine andere Beschäftigung. Man kann aber diese Absicht ziemlich erreichen, wenn man die ontologischen Lehrbücher zur Hand nimmt, und z. B. der Kategorie der Kausalität, die Prädikabilien der Kraft, der Handlung, des Leidens, der der Gemeinschaft, die der Gegenwart, des Widerstandes, den Prädikamenten der Modalität, die des Entstehens, Vergehens, der Veränderung usw. unterordnet. Die Kategorien mit den Modis der reinen Sinnlichkeit oder auch, untereinander verbunden, geben eine große Menge abgeleiteter Begriffe a priori, die zu bemerken und womöglich bis zur Vollständigkeit zu verzeichnen eine nützliche und nicht unangenehme, hier aber entbehrliche Bemühung sein würde.

Der Definitionen dieser Kategorien überhebe ich mich in dieser Abhandlung geflissentlich, obgleich ich im Besitz derselben sein möchte. Ich werde diese Begriffe in der Folge bis auf den Grad zergliedern, der in bezug auf die Methodenlehre, die ich bearbeite, hinreichend ist. In einem System der reinen Vernunft würde man sie mit Recht von mir fordern können: aber hier würden sie nur den Hauptpunkt der Untersuchung aus den Augen bringen, indem sie Zweifel und Angriffe erregten, die man, ohne der wesentlichen Absicht etwas zu entziehen, gar wohl auf eine andere Beschäftigung verweisen kann. Indessen leuchtet doch aus dem wenigen, was ich hiervon angeführt habe, deutlich hervor, daß ein vollständiges Wörterbuch mit allen dazu erforderlichen Erklärungen nicht allein möglich, sondern auch leicht zustande bringen ist. Die Fächer sind einmal da; es ist nur nötig, sie aus-

58

zufüllen, und eine systematische Topik wie die gegenwärtige läßt nicht leicht die Stelle verfehlen, dahin ein jeder Begriff eigentümlich gehört, und zugleich diejenige leicht bemerken, die noch leer ist.




Datum der letzten Änderung : Jena, den : 11.09. 2014