Schlüsse aus obigen Begriffen | Inhalt | Schlüsse aus diesen Begriffen

DIE TRANSZENDENTALE ÄSTHETIK

Zweiter Abschnitt

Von der Zeit

27

1. Die Zeit ist kein empirischer Begriff, der von irgendeiner Erfahrung abgezogen wurde. Denn das Zugleichsein oder Aufnanderfolgen würde selbst nicht in die Wahrnehmung kommen, wenn die Vorstellung der Zeit nicht a priori zugrunde läge. Nur unter deren Voraussetzung kann man sich vorstellen, daß einiges zu ein und derselben Zeit (zugleich) oder in verschiedenen Zeiten (nacheinander) sei.

2. Die Zeit ist eine notwendige Vorstellung, die allen Anschauungen zugrunde liegt. Man kann in Ansehung der Erscheinungen

28

überhaupt die Zeit selbst nicht aufheben, obzwar man ganz wohl die Erscheinungen aus der Zeit wegnehmen kann. Die Zeit ist also a priori gegeben. In ihr allein ist alle Wirklichkeit der Erscheinungen möglich. Diese können insgesamt wegfallen, aber sie selbst kann nicht aufgehoben werden.

3. Auf diese Notwendigkeit a priori gründet sich auch die Möglichkeit apodiktischer Grundsätze von den Verhältnissen der Zeit oder Axiomen von der Zeit überhaupt. Sie hat nur eine Dimension: verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern nacheinander (so wie verschiedene Räume nicht nacheinander, sondern zugleich sind). Diese Grundsätze können aus der Erfahrung nicht gezogen werden, denn diese würde weder strenge Allgemeinheit noch apodiktische Gewißheit geben. Wir würden nur sagen können: so lehrt es die gemeine Wahrnehmung, nicht aber, so muß es sich verhalten. Diese Grundsätze gelten als Regeln, unter denen überhaupt Erfahrungen möglich sind, und belehren uns vor denselben und nicht durch dieselben.

4. Die Zeit ist kein diskursiver oder, wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, sondern eine reine Form der sinnlichen Anschauung. Verschiedene Zelten sind nur Teile ebenderselben Zeit. Die Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden kann, ist aber Anschauung. Auch würde sich der Satz, daß verschiedene Zeiten nicht zugleich sein können, aus einem allgemeinen Begriff nicht herleiten lassen. Der Satz ist synthetisch und kann aus Begriffen allein nicht entspringen. Er ist also in der Anschauung und Vorstellung der Zeit unmittelbar enthalten.

5. Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß alle bestimmte Größe der Zeit nur durch Einschränkungen einer einzigen zugrunde liegenden Zeit möglich sei. Daher muß die ursprüngliche Vorstellung Zeit als uneingeschränkt gegeben sein. Wovon aber die Teile selbst und jede Größe eines Gegenstandes nur durch Einschränkung bestimmt vorgestellt werden können, da muß die ganze Vorstellung nicht durch Begriffe gegeben sein (denn da gehen die Teilvorstellungen vorher), sondern es muß ihr unmittelbare Anschauung zugrunde liegen.




Datum der letzten Änderung : Jena, den : 17.06.2014